Ich bin auf der Rückfahrt von einem Seminar. Hungergefühle und der
Wunsch nach einer Toilette fallen zusammen. Wie schön, dass bei der Durchfahrt
durch eine Niedersächsische Kleinstadt ein Schild auf ein italienisches
Restaurant hinweist.
„Da Giovanni“ steht auf dem Schild zu lesen und in der Unterzeile etwas
kleiner „italienische Spezialitäten – durchgehend geöffnet“.
„Das passt!“
Schon 300 Meter weiter lenkt Jörn den Wagen auf den Parkplatz des
Italieners.
Es ist ausgesprochen ruhig im Restaurant, wir sind die einzigen Gäste
am frühen Nachmittag und allem Anschein nach haben sich Giovanni, seine Frau
und alle ihre Angestellten zur Mittagsruhe zurückgezogen.
Ich sehe auf einer Kommode die Speisekarten.
„Na ja, wenn die Karten nicht zu mir kommen, muss ich zu den Karten“,
denke ich und besorge zwei mit den italienischen Farben geschmückte Karten.
Gerade habe ich meine Karte geöffnet, lese „Hier bedient Sie der Chef
persönlich!“ als ein Geräusch, vielleicht von aneinanderschlagenden Töpfen,
durch die hinter dem Tresen geöffnete Tür an mein Ohr dringt.
Wir sind also nicht allein im Haus. Ich gehe zum Tresen und rufe durch
die geöffnete Tür:
„Hallo, ist da jemand?“
Statt einer Antwort höre ich sanft schlurfende Schritte.
Ein grauhaariger Mann vielleicht eben jenseits der 70 kommt vom Tresen
zu uns an den Tisch. Auf seiner Schürze mit deutlichen Arbeitsspuren sind
Italiens Flagge abgebildet und ein fröhliches Porträt mit Kochmütze und dem
Namenszug „Giovanni“.
„Goden Dach, was daafs sein?“
Artig begrüßen wir den Ober in Hauspantoffeln und fragen, ob wir trotz
der späten Stunde noch etwas zu essen bekommen.
„Keen Probleem, se is jümmer tau Huus un, wenn Se wat wüllt, dann geiht
se in´ne Köök un bruzzelt, wat ji wüllt.“
Ich weiß nicht, was mich geritten hat, vielleicht der plattdeutsch
schnackende Giovanni?
„Sagen Sie, in der Karte steht, dass hier der Chef selber bedient. Sünd
Se de Chef hier? Giovanni?“
„Jo, dat bün ick.“
Nun konnte ich irgendwie nicht
anders. Nix mehr mit „prego“, „Carta“, „Vino rosso“ „Quadro Stagioni“ und was
ich sonst so in unserem italienischen Nachbarland oder in den verschiedensten
Pizzabäckereien aufgeschnappt habe. Giovanni schnackt Platt und Platt künnt wi
ook! Besser als italienisch allemal!
„Un Se heet ook Giovanni? Se schnackt Platt as een vun hier.“
Ein verschmitztes Grinsen geht über sein Gesicht. Gerade wollte er das
Geheimnis über den plattschnackenden Giovanni lüften, als sich von der Küche
eine Frauenstimme meldete.
„Giovaaanni, iste da Aabeit für cucina, no?“
„Dat is se, mine Maria. De is för de Köök taustännich. Mien Frau. De
schnackt keen Platt ober jümmer wenn ick wat op Platt vertell, wat se nich
verstohn schall, denn verstoht se dat. Viellicht sünd wi doch schon ganz scheun
lang tohoope.“
„Verstoh ick dat nu richtich, Maria kummt ut Italien, oober Se, Se hört
sick nu partout nich an, as wenn Se ut Italien kümmt?“
Maria kommt aus der Küche herbei, hängt sich bei Giovanni ein und
begrüßt uns mit einem strahlenden Lächeln und zwei goldblitzenden Zähnen im
linken Oberkiefer:
„Buon Giorno signori, gutte Tag. Iste meine Maan, Giovaanni, caro mio.
Ihr könnt alles haben von der Carta oder ich habe noch Tagesgericht. Hast du
schon gefragte, Giovanni Tesoro mio, no?“
„Nee, hebb ick nich.“
„Wat givt denn vun Dooch“, schaltet Jörn sich ein.
„Greunkool mit Swienback, Kassler un Koolwusst för sössföftich.“
Maria verabschiedet sich in Richtung Küche.
„Wat is, Jörn, schööt wi? Scheun Greunkool? Is all ´n ganze Tied her,
dat ick Kool har, bi´n Kooleeten vun Seilvereen. Mool sehn, ob se den Kool ook
so gau trech kreegt as bi uus. Hebt se ook de lüttjen seuten Kantüffeln?“
„Nee“, seggt Giovanni, dat kennt wi hier gor nich. Hebb ick oober all
vun hört. Hier givt den Kool mit Soltkantüffeln.“
Wir verständigen uns mit Blicken über den Tisch.
„Jo, dann bringt Se uus mool twee Portionen Greunkool. Mool seehn, wat
dat givt?“
„Maria, twee Mool Greunkool!“ ruft er zur geöffneten Küchentür.
„Un ook wat tau drinken?“
„Een Wooter“, secht Jörn, „möt jo noch föhrn.“
„Ick har woll geern´n Beer. Wat anners kann ick mi nich vörstilln tau´n
Greunkool.“
Giovanni hat wirklich schöne Pantoffeln aus dickem Filz mit Karomuster
in verschiedenen Brauntönen. Man hört nur ganz leise Schlurfgeräusche als er
sich mit dem Tablett nähert.
„So denn, wohl bekomms. Vun wo kumt ji? Stood?“
Er hatte längst unser Autokennzeichen gesehen.
„Nee, wi woohnt in Freiburg, weet Se dor bi…“, fängt Jörn an zu
erklären.
„Jo, kenn ick. Mit den grooten Silo vun Kühlcke und Pieper. Vun K un P
hebb ick Joohre trüch mool´n LKW Schroot kreegen.“
Nun war es aber endlich an der Zeit für eine Erklärung, Giovanni.
„Nu secht Se doch mool Giovanni, wat mookt Se mit´n LKW Schroot in´ne
Pizzeria?“
Giovanni griemelt.
„Dat weer noch in de Tied, as ick
noch Johannes oder beeter Hannes heeten de, as ick noch Buer weer dor op de
anner Siet vun ´e Stroot.“
„Verstoohst du dat, Jörn?“
Jörn konnte sich auch keinen Reim aus Giovannis Worten machen. Weil
Maria sich noch mit dem Grünkohl abmühte, hatte Giovanni Zeit zum Erzählen.
„Dat weer so. As min erste Frau, mine Else, also Else Plaggenborch, as
de dotbleeben is, dor hebbt Maria un Giovanni sick jümmer üm mi kümmert. Min
Keuk bleev kolt, öber kott oder lang har ick mi nich mool mehr ´n Koffee mookt
morns. Ohne Fröhstück in Kohstall taun melken. Ut´n Stall kun ick seehn, dat
Maria un Giovanni ook all in Gang weern. Un dann bin ick jüst noo´n Melken
jümmer röber in de ehr Keuk. Dor hebt wi dann fröhstückt. Middach kun ick mi´n
Pizza utsöken un Oobens geev dat noch mool warm oder, een twee Joohr looter,
har se denn ook schon Swattbrood för mi köfft. Se weet, wat ick am leevsten
eeten dee. Un an mien 65. Geburtsdach hebt se mi froogt, wat ick denn woll
geern tau Middach hem wull. Eers keem ick nich so richtich rut mit mien Wunsch.
„Dat künnt se doch nich mooken, wat ick wull geern mool eeten wull.“
Dann hebt se mi so lang löchert, bit ick rutkäm mit min Wunsch.
„Greunkool mit Swiensbacke und Kassler.“
Ick hebb jem dat dann verkloort, wo Else dat jümmer mookt hett.
„Null Problemo, Amigo“, war Giovannis Antwort.
„Und, hett de Kool so schmeckt as bi Else?“
„Nee. Oober ick hebb nix secht. Oogen dicht un dör. Se sit blank mi an
Disch un hebbt sick freit, dat eehrn Amiigo vun de anner Strootensiet eehrn
Greunkool eeten de.“
„Nu secht Se oober mool, Maria is verheiroot mit Giovanni oober Se hebt
vörhin vertellt, dat Maria Eehr Frau is. Ick glöv, dat ick irgendwat nich
kapiert haar.“
Giovanni griemelt wieder.
„Daaaf doch?“ fragt er und setzt sich auf den freien Stuhl am Tisch,
ohne eine Antwort abzuwarten. Ein untrüglicher Hinweis, dass die Geschichte
noch eine längere Fortsetzung hat.
„Kööm?“ fragt Giovanni.
„Scheunen Dank. Nee ick moot noch föhrn, du Jörg?“
„Nee, danke, ick ook nich. Dank ook.“
„Also dat weer so. Twee Joohr trüch, ick har den Hoff all an min Söhn Dennis öberschreven, keem Maria ganz
opgerecht öber de Stroot röberjoocht un kuum dat se bi mi in´t Huus weer, röpt
se jümmer „Giovanni is doot, Giovanni is doot!“
Dat hett se natürlich nich op Platt roopen.
Oober dot weer he trotzdem.“
Giovanni macht eine Pause und blickt nachdenklich irgendwo zwischen uns
durch, hinaus auf die Straße.
„Grünkool iste fertich, Giovanni!“
Es ist, als hätte Maria ihn wieder ins Leben zurückgeholt.
„Nee, töv man noch´n beeten. Passt noch nich!“
Giovanni räuspert sich und setzt seine Geschichte fort.
„He har jümmer secht, dat he bi Mudder und Vadder in Eeboli liggen wul.
Dat hett Maria mi vertellt. Eeboli dat liggt noch achter Neaapel. Todenhöft,
dat is uusen Bestatter hier, also Todenhöft hett Giovanni mitsamt sine Kist no
Eeboli föhrt.
Hett woll´n Barch Göld verdeent mit Giovannis letzte Reis.
Ick as gooden Frün nich nur vun Giovanni, ook vun Maria, hebb Maria in
twee lange Dooch mit min ollen Deimler no de Beerdigung in Eeboli fööhrt. Nee,
sowat hebbt ji noch nich beleevt. Dat ganze Dörp weer swatt un ick glöv, dat se
all verwandt weern mit Giovanni.
Weent hebt se tauminst all.“
Giovanni macht eine Pause und lässt uns mit unseren Gedanken über den
Fortgang der Geschichte alleine.
„Und dann, Herr Plaggenborch, was ist dann passiert?“
„Dann sünd wi weller trüchföhrt.
Kannst Giovanni tau mi seggn. Mookt se all hier.
Jo, und dann hebb ick Maria hölpt. Ick har mi Giovannis Schört ümbunnen
und dat „Da Giovanni“ hett brummt as wi vör dat Mallöhr mit Giovannis Infarkt.“
„Oober Giovanni, heetst du nich eegentlich Johannes Plaggenborch. Dor
fehlt mi noch wat“, bohrte ich neugierg geworden in seiner Vergangenheit.
„Letztet Joohr, kott vör Wiehnachten, de letzten Gäst weern all rut,
door sitten Maria und ick mit Beer und Wien an Disch. Ick wull jüst röber no
mien Sloopstuv an de anner Strootensied, door fangt Maria dat Schnacken an.
„Du, Hannes, deine Name iste doch korrekte Johannes?“
„Ja.“
„Iste Johannes nicht wie in Italia Giovanni?“
„Ja, kann sein.“
„Dann bist du die neue Giovanni, Hannes. Willst du nicht bleiben bei
mir? Du bist mein Giovanni und ich bin deine Else.“
„Ich ahne etwas“, sagt Jörn.
„Jo“, sagt Giovanni, „ick bün dann nur noch rööber, miene Plünn tau
holen. In Mai hebbt wi heiroot. Se heet nu Maria Plaggenborch un ick heet
Giovanni Plaggenborch. Wi secht oober nur Maria und Giovanni.“
Giovanni macht eine kleine Pause.
„Maria, kannst den Greunkool bringen. Nu weet se de ganze Geschicht vun
Giovanni un Giovanni!“
„Da Giovanni“ ist wohl das einzige italienische Restaurant, in dem es
Grünkohl mit Schweinebacke, Kohlwurst und Kassler gibt. Und, dass das so ist,
haben wir Giovanni und nicht etwa Giovanni zu verdanken.
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