Meine
Geschichte ist schon ein wenig älter. Was hier beschrieben wird, ist zu einem
Teil ausgedacht. Ein Teil beruht auf Tatsachen, oder, was man so dafür hält,
ich war ja schließlich nicht dabei. Und, wenn auch das eine oder andere
ausgedacht sein mag, diese Geschichte hätte genauso hier in meinem Dorf
passiert sein können.
Sie handelt von einer dreiköpfigen Familie. Da
ist der Familienvater John, der die Woche über mit aufwendigen Rohrkonstruktionen
in der Chemieindustrie beschäftigt ist. Zu ihm gehört Karin, seine fröhliche und
durchaus sehr resolute Frau mit viel Sinn für das Praktische. Der dritte in der
Hausgemeinschaft ist der 8-jährige Wolfhard,
der meist nur Wolli genannt wird. Wolli und Karin gehen tagsüber gerne etwas
spazieren. Gelegentlich entfernt sich der ungestüme, langhaarige Wolli etwas
weiter von Karin, weil irgendetwas am Wegesrand interessanter ist, als der
eintönige Trott neben Karin her. Bemerkt Karin, dass Wolli nicht mehr neben ihr
geht, bleibt sie stehen und versucht mit möglichst energisch klingender Stimme
ihren Wolli zum Kommen zu bewegen.
„Komm zu
Mama, Wolli!“ schallt es dann durch die Büsche, die uns von Karin und Wolli
trennen.
Ganz kritisch wird es,
wenn der kleine Wolli nicht hören will und Karin mit immer eindringlicherer
Stimme „Komm zu Mama!“ rufend auf ihn zu geht.
Es gibt da
immer wieder kleine Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden. Zwischen John und Wolli gibt es die eher nicht. Für Wolli
ist John eine unangezweifelte Autorität. Er reagiert auf die kleinsten
Handzeichen und Kommandos. Während Wolli sich Karin gegenüber provozierend
verweigert, ist das Verhältnis zwischen John und Wolli von beinah schon devoter
Unterwürfigkeit gekennzeichnet.
Eigentlich
hätte das so nicht sein dürfen bei dem Preis, den John und Karin für ihren Wolfhard
bezahlt haben.
Ach ja, das
muss man vielleicht noch wissen, Wolli heißt eigentlich Wolfhard von der
Wachtelburg, also adlig, und er ist ein Deutschlanghaar Rüde, der fix und
fertig zum Jagdhund ausgebildet ins Haus kam.
Und, dass
der Wolli auch bei Karin pariert, dass er zu Mama kommt, wenn Mama ruft, kann man bei dem Geld, das
für ihn auf die Wachtelburg geflossen ist, schon erwarten. Zumal noch ein
kleiner Zuschlag fällig wurde, weil der Wolli nicht nur adlig ist sondern noch
dazu Bundessieger in seinem Jahrgang geworden ist.
Bundessieger!!
Und wir sind Nachbarn von einem Bundessieger!
Genau weiß
ich nicht, wie man bei den Deutschlanghaar zum Bundessieger wird; aber gut und
ein wenig teurer anhören tut es sich schon allemal.
Im Sommer
geht John gerne mal auf die Yacht. Dann nimmt er Karin mit und Wolli,
Bundessieger hin oder her, spielt dann keine Rolle mehr. Er muss zu Hause
bleiben.
Im Winter
geht John auch gern mal auf die Jagd. Dann nimmt er Wolli mit, den
Bundessieger, und Karin muss zu Hause bleiben.
Ja, so hat
alles seine Ordnung in der Familie Taylor.
Dezember,
Treibjagdzeit!
Im Hause Taylor
herrscht nervöse Stimmung. John ist nervös, weil er mit Wolli auf die Jagd
will. Wolli ist nervös, weil er merkt, dass John zur Jagd will. Karin ist
nervös, weil sie vor der Jagd nie weiß, was sie nach der Jagd alles einfrieren
muss.
Es ist so
weit! Wolli kann seine Freude kaum unterdrücken, läuft vor zum Auto, zurück zu John
und, kaum dass der Kofferraumdeckel hochklappt, setzt er mit einem gewaltigen
Sprung ins Auto. John setzt sich ans Steuer, ein flüchtiger Gruß noch zu Karin.
Waidmanns Heil! Die Jagd kann beginnen.
Das erste
Treiben in Allerhöhe zwischen den Ortschaften Hambürden und Friedeberg. In
sicherer Entfernung, geschützt vor den Schrotkugeln, die für die Kombis und
geländegängigen Offroader der Jäger zwar nicht tödlich sind, jedoch hässliche
kleine Löcher und Beulen hinterlassen, werden die Autos der Jagdgesellschaft
abgestellt. Der Jagdinhaber erläutert der versammelten Jagdgesellschaft die
Choreographie des ersten Treibens. Wolli befindet sich in guter Gesellschaft.
Fast jeder Flintenträger hat neben sich einen Deutsch Langhaar. Sie sind extrem
aufgeregt, sie kennen die Jagd und sie sind erregt ob der vielen schmucken
Hündinnen und Rüden um sie herum. Aufgeregt auch die Hundebesitzer vor der
Jagd. Bange Fragen gehen durch die Köpfe. Machen wir ein gutes Bild? Wird sie
beim Büchsenknall ruhig halten oder wieder durchdrehen? Wird er mir gehorchen?
Wird er sich wieder mit Hasso (von der Hasenheide, auch adlig) beißen?
Jagdglück
ist für viele Hundeführer von zweitrangiger Bedeutung. Gutes Bild machen mit dem
Hund und, wenn dann auch noch ein Hase oder Fasan auf der Strecke bleibt, ist
die Jagd wirklich gut gelaufen.
Allein John ist die Ruhe selbst was
zum einen an seiner über den Kanal mitgebrachten britischen Ausgeglichenheit
lag aber zu einem Großteil in der
Tatsache begründet war, dass man bei einem Bundessieger schon davon ausgehen könne,
dass er sich verhält, wie man es erwartet. Etwas neidvoll schielt der eine oder
andere Hundebesitzer hinüber zu John, der kleine Rauchwölkchen paffend die eine Hand am Pfeifenkopf die andere am
Flintenkolben den Instruktionen folgte. Neben ihm liegt Wolli, aufmerksam die
Szenerie beobachtend, unangeleint im Gras.
Ja, ohne Leine!
Kein Laut kommt von ihm, nicht einmal ein
Winseln obwohl die schöne Babs (eigentlich Barbara von den Rabenklippen) nur
zwei Meter entfernt alles daran setzt trotz kurzer Leine einen kleinen
Blitzbesuch bei Wolli zu machen. Ihr Herrchen ist wütend und etwas beschämt.
Ablenkende Gedanken jagen ihm durch den Kopf. Muss das denn jetzt sein? Die anderen gucken
schon alle. Hätte ich doch bloß nicht versucht, meine Babs selbst auszubilden.
Kann mir schon denken, was beim Schüsseltreiben heute Abend passiert. Gut, dass
Henrys Hund auch nicht still hält. Und der Kurzhaar da drüben von dem Hamburger
(das ist kein Adelstitel, gemeint ist der Jagdkamerad aus Hamburg, der hier
heute eingeladen ist) kann auch nichts, jault die ganze Zeit rum.
Jeder begibt
sich auf seine Position. Bis alle Plätze besetzt sind und die Treiberkette sich
auf die Schützen zu bewegt, wird es noch einige Zeit dauern. John hatte es
nicht weit, gut 200m neben Anna Großkopfs Kate stand er etwas geschützt hinter
einer Kopfweide.
Die Sonne
kommt durch, das Wasser in den Treckerspuren auf dem Acker glänzt im
Gegenlicht, Annas Hühner picken sich ohne irgendein erkennbares System durch
Garten. Gleich muss es losgehen. Wenn alles nach Plan läuft, beginnt die Jagd
in wenigen Minuten.
Es ist so
weit. Der Wind treibt die noch fernen Rufe der Treiber über die Felder und
Weiden, hier und da leuchtet schon mal eine signalrote Weste in der
winterlichen Marschenlandschaft. John macht sich bereit obwohl es noch einige
Zeit dauern wird, bis Hase oder Fasan
sich in Schussentfernung auf die Flucht begeben werden. Zwei Schüsse sind vom
Allerhöher Deich her zu hören. Jetzt ist es da, das Jagdfieber. John
konzentriert sich auf sein Schussfeld. Die Treiber nähern sich mit Getöse, sie
sind jetzt schon deutlich zu sehen.
Auch der
Bundessieger weiß, dass er schon in allernächster Zeit gefordert wird, um
erlegtes Wild zu apportieren. Von John unbemerkt hat Wolfhard sich erhoben und
beobachtet das Geschehen mit mindestens gleichgroßer Konzentration, wie sein
Herr. Schüsse von ganz nah künden an, dass es hier jeden Moment losgehen kann.
Geschrei von links: „Foss, Foss, Fuchs!“ John sieht ihn, sieht ihn nicht, sieht
ihn. Kaum im Visier ist er schon wieder verdeckt durch Gräser, Schilf und
Gestrüpp. Noch ist er zu weit entfernt, aber er läuft der Flinte fast genau
entgegen.
Der Bundessieger
fühlt sich angesprochen, steht auf und versucht nervös zitternd den Grund der
Aufregung zu ermitteln. Dann erliegt er einem
folgenschweren Fehler. Anna Großkopfs Hühner durch die nahen Gewehrschüsse
aufgeschreckt, flattern dem Sicherheit versprechenden Stall entgegen. Da haben
sie aber die Kondition eines Bundessiegers vom Format Wollis gründlich
unterschätzt. Am Hühnerloch staut sich das Federvieh, es ist immer nur Platz
für ein Huhn zurzeit. Bekanntlich beißen den Letzten die Hunde. Hier hat es
eine weiße Legehenne mittleren Alters getroffen. Es knackte kaum hörbar und die
Henne war im Hühnerhimmel. Um sicher zu gehen schüttelte Wolli die tote Henne
zwischen den Zähnen noch einige Male kräftig hin und her. Mit vor Stolz
erhobenem Haupt, die Beute im Fang, kehrt Wolli zu seinem Herren zurück, um ihm,
wie in seiner teuren Ausbildung erlernt, das erlegte Wild zu Füßen zu legen.
Zeitgleich
zu dem Drama im Hühnerhof erwartet John den immer näher kommenden Fuchs mit der
Waffe im Anschlag. Was ist das? Noch weit hinter dem Fuchs verfolgt ein
Jagdhund einen Hasen gegen den er, das sollte er eigentlich wissen, keine
Chance hat. Bekanntlich sind ja nur viele Hunde des Hasen Tod!
„Oh, oh, oh“, geht es John durch den Kopf,
„passiert doch jedes Mal, dass ein Hund dem Jagdtrieb nicht widerstehen kann.“
Ein kurzer
Blick zum treuen Wolfhard. Aber da, wo er ihn das letzte Mal noch im Gras neben
sich liegen sah, war nichts mehr. Die Flinte geht runter und, was John, der
seinen Wolfhard suchte, nicht mehr sah, Reinicke Fuchs verließ den Kessel in
bester Schussdistanz um sich in einem sicheren Schilfdickicht seiner
sprichwörtlichen Schläue zu erfreuen.
Schwanzwedelnd
nähert sich Wolfhard vom Anwesen Großkopf seinem Herren. Von der anderen Seite
kommt Hansi Funck, die Flinte schon umgehängt und ein Hase an den Hinterläufen von
Hansis großer Hand gepackt, schaukelt im Rhythmus der Schritte. Es tropft noch
etwas Blut aus dem Hasenmund. Dieses Treiben war vorbei. Mit der Sonne kamen
einige Treiber. Alle zusammen konnten teilhaben an der Freude des Bundessiegers
als der seine gefiederte Beute mit sichtbar zur Schau getragenem Stolz
apportierte.
Wolfhard war etwas irritiert. Etwas
mehr Freude und Anerkennung von seinem Herren hatte er eigentlich schon
erwartet. Wo blieben diesmal die lobenden Worte und das angenehme Kraulen durch
Johns Hand im langen, braunen, deutschen Nackenhaar des Deutsch Langhaars. Nichts
davon! Stattdessen von allen Seiten fröhliche Kommentare, ironisch gemeinte
Glückwünsche und Hansi Funck, der immer noch nicht verstehen konnte, warum John
den Fuchs nicht gekriegt hat:
„Mensch, besser kann man ihn doch gar
nicht serviert bekommen. Warum hast du nicht abgedrückt?“
Das
Schüsseltreiben verließ John früher als sonst. Sein Missgeschick war das Thema
in der Runde. Die Wiederholungen störten die Jagdgesellschaft nicht im
Geringsten. Mit steigendem Alkoholpegel erreichte die Fröhlichkeit für John ein
unerträgliches Ausmaß. Als dann auch noch Hansi Funck aufstand und ein weiteres
Mal die Strecke des Tages verkündete, nach Nennung der 27 Hasen eine kleine
Pause einlegte und mit vor Lachen fast erstickter Stimme hervorbrachte „…und eine weiße Legehenne!“
verabschiedete sich John, kaum dass sich das Gelächter im Raum gelegt hatte mit
den Worten: „Muss morgen früh raus.“
Zu Hause
angekommen folgte Wolfhard immer noch nicht verstehend, was da heute schief
gegangen war, eingeschnappt Johns
Aufforderung in den Zwinger zu gehen. Karin zeigte sich etwas erstaunt über die
frühe Rückkehr ihres Mannes und fragte ihn in ihrem Heimatdialekt: „Na, wo
haste denn die Viecher hinjelecht?“
John
berichtet von seiner großen Enttäuschung über Wolfhards Fehlverhalten.
„Weißt du, Karin,
ich hatte mich so auf ihn verlassen, ohne Leine, weißt du. Bundessieger und
dann so etwas.“
Er tat Karin schon ein wenig leid als
ihr ein Gedanke durch den Kopf schoss.
„Und was is nu mit dem Huhn? Wo haste
dat jelassen?“
„Das habe ich zu Großkopf gebracht.“
„Und, wat hat die jesacht? Hat se
jeschimpft?“
Wer Anna Großkopf kennt, ahnt, was
sich da abgespielt hat.
„Und ob. Sch..jägerei hat sie gesagt.
Das kommt dabei raus. Mein bestes Huhn. Natürlich ihr bestes Huhn. Würde mich
nicht wundern, wenn das schon gar keine Eier mehr gelegt hätte. Sie hat
rumgezetert und ließ mich gar nicht zu Wort kommen.“
„Ja, und was haste jemacht?“
„Ich hab´ ihr zehn Mark in die Hand
gedrückt und dann hat sie den Mund gehalten.“
„Zehn Mark für´ne alte Henne, sach
mal spinnst du? Haste denn dat Huhn wenichstens mitjebracht?“
Nee, das hatte er natürlich nicht. Und
als Karin ihn losschicken wollte, das Huhn zu holen, das er ja schließlich
bezahlt habe, soll er kräftig auf den Tisch gehauen haben. Er wollte mit der
ganzen Geschichte nichts mehr zu tun haben. Das konnte ich gut verstehen und Karin
kannte ihren John auch gut genug, um nicht weiter davon zu reden.
Woher ich das alles weiß?
Na ja, man hört ja so einiges im Dorf
und meine Frau spielt einmal im Monat Bridge mit Karin. Das ist dann auch immer
schön für mich, wenn ich am nächsten Morgen beim Frühstück die Geschichten aus
der Bridgerunde höre.
„Du glaubst es nicht, Karin war immer
noch empört über die Kurzsichtigkeit ihres Mannes. Nee, was haben wir gelacht.
Nur Karin konnte immer noch nicht mitlachen. „Zehn Mark bezahlt für dat blöde Huhn un nich
ma mitjebracht, gibt´s denn so wat?!““
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