„Strandgut“ oder „Es kommt ein
Dixi-Klo ge…“
Zur Erinnerung an einen Höhepunkt unseres gemeinsamen Berufslebens für
meinen Freund Klaus-Dieter Melahn
Dezember 2013
Sturmfluten
sind bei uns ja keine Seltenheit. Wenn es ganz schlimm kam, brachen die Deiche,
Vieh und Menschen ertranken und es dauerte bisweilen Jahre bis die Wunden an
den Deichen und in den Seelen der Überlebenden vernarbt waren.
Gott sei
Dank erleben wir diese Fluten, die sogenannten Jahrhundertfluten, nicht so oft.
Meistens steigt das Wasser nur bis an den Deichfuß und, wenn es mal sehr heftig
kommt, bis zur Deichmitte. Ist das Wasser wieder abgelaufen, findet sich
entlang des Deiches allerlei Strandgut. Das war schon immer so und schon immer
gab es großes Interesse der Küstenbewohner, brauchbares Strandgut in ihren
Besitz zu bringen, bevor die Obrigkeit in Gestalt eines Strandvogtes oder
Deichgrafen ein öffentliches Interesse am Strandgut verkündet.
Spektakulär
sind Wracks mit zum Teil noch brauchbarer Ladung oder die Überreste des Schiffes
selbst. Immer wieder sind es Decksladungen, heute zum Teil ganze Container, und
jede Menge Treibholz, das sich als Bau- oder Brennholz verwerten lässt.
Für große
Aufregung sorgten einst einige ägyptische Mumien, die nach einer
Schiffsstrandung in der Elbmündung am Baljer Elbdeich antrieben. Wie enttäuscht
mögen die Strandräuber gewesen sein, als sie feststellten, dass die Mumien keine
Schätze bargen.
Ebenfalls
für Aufregung sorgte gegen Ende des letzten Jahrhunderts ein völlig anderes
Strandgut: Ein hellgrünes Plastik Klo, ein sogenanntes Dixi Klo.
Ortswechsel:
Große Pause
in der Freiburger Schule. Unser Schulleiter schiebt mir und meinem Kollegen
Klaus-Dieter einen Zettel zu. „Klaus-Dieter/Jörg, Klo Haus in Hörne
angetrieben, Rückfragen an 0475392..Ida“.
Ida war
unsere Schulsekretärin.
„Was wollt
ihr denn mit einem Klo Haus?“ fragte uns unser Schulleiter mit sichtbar
irritiertem Blick. Er war ja schon einiges mit uns gewöhnt. Aber nun? Ein Klo
Haus?
Ja, was
sollen wir denn damit? Wir haben die Telefonnummer angerufen. An der anderen
Seite eine etwas ältere Frauenstimme.
„Ja, er is
scha nu nich mehr da; aber er hat gesacht an´n Deich liecht ´n Klo. So eins,
wie ihr da in´n Middelalterdorf habt. Und da hat er gesacht, tu mal inne Schule
anrufen. Die müssen ja auch maa nach Tante Meyer in´n Middelalter Dorf.“
„Und, hat er
auch gesagt, wo es liegt?“
„Nee,
irgendwo in Hörne.“
„Danke für
den Anruf, Tschüß.“
Ja, unser
guter Informant hat bestimmt schon den Transporter von Mirkens und Glaser
gesehen, der im Sommer regelmäßig das Mittelalterdorf in Hörne ansteuert um die
Dixi-Toiletten auszutauschen. Hier, wo im Sommer Schulkinder tageweise in
unserem schuleigenen Mittelalterdorf Geschichte spielerisch erfahren, haben wir
zwei Miettoiletten für teures Geld im Einsatz.
Ein Klo für
das Mittelalterdorf, das macht Sinn! Da hat doch echt jemand („er!“) in Hörne
mitgedacht.
Noch am
selben Nachmittag sind Klaus-Dieter und ich nach Hörne am Deich entlang auf
verbotenen Wegen. An jeder zweiten Deichüberfahrt kurz auf die Deichkuppe und
einen Blick nach rechts und links. Ein Dixi Klo ist eigentlich doch
unübersehbar. Und richtig, kurz vor dem historischen Baljer Leuchtturm, hatten
wir es entdeckt.
Raus aus dem
Auto. Der Orkan war vorüber; aber es wehte immer noch ein starker, unangehm
kalter Wind.
„Die Farbe
passt nicht zu dem anderen“, meinte ich.
„Na und?“
Wo er Recht
hat, hat er Recht. Die Inspektion ergab, dass das Klo fast unbeschädigt war.
Ein bisschen Chemie in den Tank, Rolle Klopapier und fertig ist das „Eigenklo“.
„Guck mal,
hier klebt ein Schild drin von einer Hamburger Baufirma“, meint Klaus-Dieter
und war schon dabei, die Folie abzuziehen.
Irgendwo
hatte ich gelesen, dass man seinen Anspruch auf Strandgut geltend macht, indem
man einen Pflock einschlägt und das gefundene Teil daran mit einem Band fest
bindet. Das versuchte ich meinem Freund zu erklären seinen befremdlichen Blick
bemerkend, als ich nach kurzer Suche im Treibselstreifen mit einer dünnen Leiste
zurückkehrte.
Ich drückte
die Leiste in den weichen Deich und verband „unser“ Dixi Klo mit einem
Stückchen Nylonband aus einem angeschwemmten Fischernetz mit der Leiste.
„So“, meinte
ich, „jetzt sind wir auf der sicheren Seite!“
Er lachte
und auch ich musste lachen bei dem Gedanken, dass uns jemand bei der Sicherung
unseres Klos beobachtet.
„Und nun?“
„Nun“,
meinte ich, „nun fahren wir nach Freiburg, holen einen Anhänger und bringen das
Klo ins Mittelalterdorf. Vorher fahren wir aber noch bei Klaus Schmoldt vorbei,
dem Deichgrafen.“
Der Hof des
Deichgrafen lag direkt an der Straße nach Freiburg im Krummendeicher Ortsteil
Wechtern. Ich kannte ihn gut, wir haben viele Jahre im Deichverband zusammengearbeitet.
Klaus-Dieter:
„Muss das sein?“
„Sicher ist sicher“,
war meine Antwort, „könnte ja sonst passieren, dass man uns vorwirft, wir
hätten uns am Eigentum des Landes Niedersachsen vergriffen.“
Aus dieser
Äußerung war schon reichlich Zweifel an der aktuellen Rechtmäßigkeit meiner
Pflockaktion am Elbdeich heraus zu hören.
Es war schon
dunkel als wir auf den Hof vor dem Altenteil unseres Deichgrafen fuhren.
Klaus-Dieter kannte ihn noch nicht und ich nutzte noch schnell die Gelegenheit,
ihn auf eine gewisse Verschrobenheit des Alten einzustimmen.
Klingel gefunden,
es klingelt auch draußen laut vernehmbar und schon kurze Zeit später Schritte
zur Tür und die Außenbeleuchtung geht an. Ein Schlüssel dreht im Schloss und
die Tür öffnet sich einen Spalt. Frau Schmoldt begrüßt uns mit einem „Ja?“
Ich begrüße
sie und bringe mich als den Lehrer ihrer Enkelkinder Klaus und Anne in
Erinnerung, stelle meinen Kollegen, Herrn Melahn, vor. Die Tür öffnet sich eine
Nuance weiter. Die erste Unsicherheit ist verflogen ein gewisses Misstrauen
bleibt, bis wir unsere Geschichte von dem Dixi Klo am Deich erzählt hatten.
„Und nun
wollen wir gerne mit ihrem Mann besprechen, ob wir das Klo haben dürfen“,
erklärte ich ihr.
„Mein Mann ,
der arbeitet gerade, aber ich kann ihn ja mal Fragen“, sagte sie, drehte den
Kopf in den Flur und rief: „Klaus hier sind zwei Lehrer aus Freiburg. Die
wollen was von dir wegen ein..Klo am Deich, können die rein?“
„Was?“
schallt es aus den Tiefen des Hauses. Unser Deichgraf konnte nicht mehr so gut
hören oder er war einfach zu weit weg.
„Komm doch
selbst mal her, und sie kommen erstmal rein.“
Na endlich!
Nun standen
wir im Flur und hörten, wie Frau Schmoldt ihrem Mann eine Geschichte von zwei
Männern aus Freiburg, von einer Schule, „du weißt doch, Anne und Klaus Lehrer“,
von einem Dixi Klo, das die haben wollen, erzählt.
Ihn näher
kommend hörten wir ihn sagen: „Und was hab´ ich denn damit zu tun?“
Sein
Interesse am Besuch war entfacht, es war an der Zeit, dass der Deichgraf sich
persönlich ein Bild von der Lage macht.
„Ach Sie
sind das, Herr Peters, kommen sie doch rein.“ Die Unterschlagung der letzten
beiden Buchstaben meines Namens wundert mich schon lange nicht mehr. Scheint
eine regionaltypische Eigenart der Menschen hier zu sein. Habe ich bei anderer
Gelegenheit auch schon erlebt.
Wir folgen
ihm in sein Arbeitszimmer.
Kaum dass
wir alle sitzen, steht er auf und redet auf uns ein immer lauter werdend und
sein Kopf wird immer roter.
„Das macht
mich sowas von wütend, so verrückt, die spinnen doch alle!“
Klaus-Dieter
und ich sehen uns etwas ratlos an; aber schon bald gibt es Entwarnung. Er
meinte nicht uns und unsere Dixi Klo Geschichte. Er steckte gedanklich noch in
dem Problem, das er gerade beackerte. Klaus Schmoldt arbeitete an einem
Leserbrief für das Stader Tageblatt. Grund für seine Erregung war der Umstand,
dass der Wachtelkönig, bislang nur als Autobahnbremse im Bullenbruch bei
Buxtehude im Kreisgebiet wahrgenommen wurde nun plötzlich auch in Nordkehdingen
im Außendeich vermutet wurde. Als aufmerksamer Zeitungsleser und
Kommunalpolitiker war mir natürlich sofort klar, dass mit dem Nachweis der
Existenz eines Wachtelkönigs im Außendeich dort sämtliche Veränderungen bis zum
St. Nimmerleinstag unmöglich sind.
„Keiner hat
ihn gesehen, kräch, kräch soll er gemacht haben. Hier! Bei uns im Außendeich!
Das ist ja lächerlich, kann ja nicht ´mal richtig fliegen und dann aus Afrika!
Ein weiteres verächtliches „Kräch, Kräch“ ausstoßend wirft er die Arme hoch und
wendet sich uns zu.
Jetzt oder
nie denke ich.
„Wir
brauchen Sie als unseren Deichgrafen.“
In Gedanken
noch beim Wachtelkönig, dem größten „Untier“ des Universums, scheint er seinen
Besuch zu registrieren.
Wir erzählen
ihm von unserem Fund am Deich und, dass wir das Klo so gut für unser
Mittelalterdorf gebrauchen können. Langsam bekommt, was ihm seine Frau in Kürze
mitteilen wollte, einen Sinn.
„Tscha“,
spricht er nach der ganzen Geschichte mehr zu sich selbst, als zu uns, „tscha,
eigentlich gehört es ja dem Land Niedersachsen, wenn das sonst niemandem
gehört. Steht da denn was drauf, ein Schild oder so was?“
„Ja“,
schaltet sich Klaus-Dieter ein, „ein Aufkleber ist da dran.“
„Müsst ihr
abmachen, dann gehört es niemanden mehr. Und was soll das Land Niedersachsen
mit´m Dixi Klo, die haben ja alle Toiletten zu Hause.“
Was immer er
meinte mit denen allen, die ja Toiletten zu Hause haben. Die
Landtagsabgeordneten, den Ministerpräsidenten oder all die anderen
Niedersachsen?
Ist ja auch
egal! Seit diesem Abend ist die Schule stolze Besitzerin eines Dixi Klos.
Nicht so
spektakulär, wie die einst angeschwemmten Mumien, dafür aber viel brauchbarer.
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