9. November 2009 im STADER TAGEBLATT
Ich nehme meine Tageszeitung zur Hand, STADER TAGEBLATT, und
sehe die Meldungen der ersten Seite. Der HSV hat´s bei Hannover 96 vergeigt, es
gibt einen Gipfel zur Schweinegrippe, Rund 130 Tote bei US – Einsatz in Afghanistan.
Dann feierte ein Weltuntergangsfilm in Berlin Premiere und – natürlich das
Topereignis – Einheit – heute wird
gefeiert. Seite 2, die Welt schaut auf Berlin! Die Großen der Welt
feiern sich und – ein bisschen auch das Ereignis des Mauerfalls!
Ein Freund bringt mich drauf: Heute vor 71 Jahren, am 9.
November 1938, hätten die Großen der Welt schon einmal Gelegenheit gehabt, ihre
Blicke auf Berlin und Deutschland zu richten. Sie haben es nicht getan,
zumindest nicht spürbar.
Heute beseitigen Angestellte der Berliner Stadtwerke Berge
von Müll an den Stätten öffentlichen Gedenkens an den Mauerfall. Heute vor 71
Jahren haben in ganz Deutschland Bürger jüdischer Abstammung Scherben ihrer
zertrümmerten Schaufenster- und Wohnungsscheiben aufgefegt. Verwüstete und
ausgeplünderte Geschäfte, noch rauchende Brandstellen der meisten Synagogen zeugten von staatlich verordneter
Zerstörungswut. Tränen der Trauer, der Wut und der Fassungslosigkeit
begleiteten damals die Aufräumarbeiten. Tränen wegen verschleppter Familienmitglieder,
die zum Teil nie wiederkehrten, in irgendwelchen Polizeikellern zu Tode kamen.
Tränen über die Häme der Gaffer, Tränen der Fassungslosigkeit ob des
Wegschauens der alten Freunde und guten Nachbarn. Fassungslosigkeit darüber,
Opfer eines Pogromes inmitten ihres Heimatlandes geworden zu sein.
71 Jahre später ein großes Freudenfest in Berlin. Die Großen
der Welt feiern sich und den Mauerfall. Der Fall der Mauer ist ein guter Grund
zu feiern. Mit ihr verschwand ein weiteres Unrechtssystem von Deutschem Boden,
die Menschen des anderen Deutschlands hatten von einem Tag zum anderen viele
der so sehr und so lang vermissten Freiheiten.
10. November 2009, ich blättere durch das TAGEBLATT. „Berlin
und die Welt feiern“ lautet die Topmeldung. Etwas kleiner dann „Aufruf gegen
Kinderarmut“ und „Mehr Kindergeld“. Ich blättere weiter und finde viele Größen
dieser Welt. Seite 3: „Tränen der Rührung überall“. Überall? Was denken die Überlebenden
des Pogroms vom 9. November 1938? Es
gibt sie, die Überlebenden. Sie waren damals Kinder oder junge Erwachsene.
Dieser Tag damals und die folgenden Ereignisse in Deutschland haben ein
lebenslanges Trauma bei ihnen
hinterlassen.
Vielleicht weinten sie auch – gestern oder heute? Vielleicht
weinen sie immer noch.
Ich blättere weiter im TAGEBLATT und finde nicht einen
klitzekleinen Hinweis auf die Ereignisse 1938. Nicht in der Dienstagsausgabe,
nicht in der Montagsausgabe. Vielleicht übersehen?
Hat vielleicht einer der Staatsgäste zum Gedenken an das vor
71 Jahren stattgefundene Pogrom irgendwo in Berlin einen Kranz niedergelegt?
Ich habe nichts darüber gehört.
Und mein TAGEBLATT? Wird es vielleicht doch noch daran
denken, dass es am 9. November auch noch andere gedenkenswerte Ereignisse gab?
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