Es war die
Zeit, als Lena noch ritt und wir mindestens zweimal in der Woche Hannas Stute
Windora vom Hof Holthusen in Baljerdorf zur Reithalle nach Freiburg fahren mussten.
Windora war damals eine junge Hannoveraner Stute, die sich gut reiten ließ, gut
aussah und auch ganz gute Lernfortschritte unter Hanna und Lena machte. Nur auf
den Hänger mochte sie nicht gerne. Da änderte sich auch nichts dran, wenn Opa
Holthusen, Hannas Vater Klaus, Babs oder Willi Koppelmann halfen. Lena und ich
brauchten bis zu 5 Versuchen oder mehr.
An einem Montag war es wieder so
weit. Die Reitstunde war vorüber und Windora war so weit fertig für die
Verladung. Sie ging noch mit den Vorderhufen auf die Hängerklappe um sie dann
jedoch knapp am Hänger vorbei wieder zu verlassen. Heinrich Heinsohn,
Pferdezüchter vom Hof Feldmark in Freiburg, kam dazu und erfasste sofort die
Situation. Er nahm Lena die Zügel aus der Hand, marschierte zielstrebig auf die
Hängerklappe. Gerade wollte das Pferd sich steif machen und den Verladevorgang
abbrechen als Heinrich Heinsohn seine Bemühungen lautstark mit dem Satz „Höger
ropp, Johann“, was auf Hochdeutsch nichts anderes als „höher rauf, Johann“,
bedeutet, untermalte. Was immer es gewesen sein mag, Windora ließ sich
widerstandslos bis vorne in den Pferdehänger ziehen.
Heinrich
Heinsohn hatte eben ein Händchen für Pferde, wie kaum ein anderer.
Während Lena sich um das Pferd
kümmerte, ging ich zu Heinsohn, um mich zu bedanken.
„Ja, manchmal sind sie ´n büschen
zickig“, meinte er zu mir.
„Manchmal? Windora macht fast jedes
Mal Zicken. Warum haben Sie Johann zur Stute gesagt?“
„Ach, das sagt man doch hier so,
also, wenn etwas eben rauf soll. So´n beeten Platt schnackt Se doch ook,
Schoolmeester?!“
„Klingt aber doch ein bisschen
merkwürdig, oder?“
„Ich kenn das schon so lange, wie ich
denken kann. Sie interessieren sich ja auch für Geschichte. Soll ja noch aus
der Zeit stammen, als da unten bei Horwege der Galgenberg war. Und bei der
letzten Hinrichtung da hatten sie einen Henker mit Namen Johann, der sich etwas
ungeschickt anstellte. Die Hinrichtung wollte nicht so recht klappen. Der
Übeltäter mit der Schlinge um den Hals konnte den Dilettantismus nicht länger
ertragen und soll dem Henker den Tipp: „Höger ropp, Johann!“ gegeben haben. Na
ja, dann hat es wohl geklappt.“
Öffentliche Hinrichtungen gab es dann
nicht mehr und auch der Galgenberg – vielleicht eine kleine Erhebung, auf der
der Galgen stand, ist verschwunden. Ja, sogar Heinrich Heinsohn, dem ich diese
schöne Anekdote verdanke, ist nicht mehr am Leben.
Geblieben ist der letzte Satz des
letzten in Freiburg zum Galgentod Verurteilten. Manchmal benutze ich ihn im
Selbstgespräch beim Arbeiten. Dann denke ich an Heinrich Heinsohn, den kleinen,
abgearbeiteten voller Lebensweisheit steckenden Pferdezüchter vom Hof Feldmark.
Niemand mehr benutzt den Spruch an den Henker, wenn etwas ein wenig „höher
rauf“ soll. Ich muss mein Wissen zu Papier bringen, sonst stirbt es mit mir.
„Höger ropp, Johann!“ Danke, Heinrich
Heinsohn, für die kleine Geschichtsstunde.
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