53°52‘
N, 09°05‘S
Der Baljer Leuchtturm von 1904
Die
Geschichte von der Rettung eines maritimen Baudenkmals
3500 Menschen haben 2012 den alten
Leuchtturm in Balje Hörne besucht. Noch vor zwei Jahren wäre das undenkbar
gewesen. Der Turm steht in einem Gebiet mit sehr hohen Naturschutzauflagen und
es gab ein ganzjähriges Betretungsverbot. Im Jahre 1980 hatte man das Gebäude
als maritimes und technisches Denkmal anerkannt und es in die Liste der Baudenkmale
des Landkreises aufgenommen. Der Schutzstatus allein ist allerdings, wie viele
andere Baudenkmale zeigen, noch kein Garant, fürs Überleben. Der Landkreis
Stade nutzte das Gebäude eine Zeit als Domizil für den Vogelwart im
Schutzgebiet. Im Laufe der Jahre blätterte die Farbe und Feuchtigkeit, der Tod
aller Bauwerke, begann durch Risse im Mauerwerk in das Gebäude einzudringen. Zeitweilig
gab es sogar ein Betretungsverbot wegen Baufälligkeit. Das Interesse, Geld in
das abgelegene Gebäude ohne spürbares öffentliches Interesse zu investieren,
hielt sich im sehr überschaubaren Rahmen.
Das änderte sich ab 2004. Waltraud Gebhard, gebürtige
Hörnerin und seit einigen Jahren wieder in ihr Elternhaus nach Hörne
zurückgekehrt, bekam von ihrem Neffen zu ihrem Geburtstag einen Becher mit den
Abbildungen des Baljer Ober- und Leitfeuers. „Sieh ´mal“, meinte der Neffe,
„der Turm ist ja 100 Jahre alt, wollt ihr das nicht feiern?“ Waltraud Gebhardt
griff die Idee auf und begann im Dorf für eine Leuchtturm Geburtstagsparty zu
werben. Der Erfolg hielt sich in Grenzen, selbst die freiwillige Feuerwehr, die
den Leuchtturm auf ihrer Standarte trägt, war nicht zu begeistern. So schnell
ließ Waltraud Gebhard sich nicht entmutigen und richtete privat in ihrem Garten
eine Feier zum 100jährigen Geburtstag des Baljer Leuchtfeuers aus. 30 Nachbarn
und Freunde folgten der Einladung und hatten sogar die Erlaubnis vom Landkreis
für einen kurzen Turmbesuch im Schutzgebiet bekommen.
Die Geburtstagsgesellschaft war sich bald einig darüber,
dass man dieses maritime Bau- und Kulturdenkmal in ihrer Gemeinde nicht länger
dem Verfall und der Nutzungslosigkeit preisgeben dürfe. Schnell waren die 7
notwendigen Personen gefunden, um 2005 den „Förderverein Baljer Leuchtturm von
1904 e.V.“ mit der Zielsetzung, den alten Leuchtturm zu erhalten und ihn einer
sinnvollen Nutzung zuzuführen. Der erste Vorsitzende des Vereines war Gerhard
Gebhardt, der auch heute noch sehr interessiert und engagiert die Geschicke des
Turmes begleitet.
Unter seiner Leitung
begann der Verein ein Nutzungskonzept für den Turm zu entwickeln und für
Freunde nicht nur in der Öffentlichkeit sondern besonders auch bei der Gemeinde,
Samtgemeinde und dem Landkreis zu werben. Die Gemeinde unter Federführung von
Bürgermeister Hermann Bösch und die Samtgemeinde mit Bürgermeister Edgar
Goedecke waren schnell im Boot. Schwieriger gestalteten sich die Verhandlungen
mit dem Landkreis als Eigentümer mit den zuständigen Ämtern für Denkmal- und
Naturschutzangelegenheiten.
Zwei Gründe
sorgten für einen Sinneswandel der zuständigen Ämter:
·
Die Aktiven des Fördervereines ließen sich nicht
entmutigen. Die Drochterser und Harsefelder Briefmarkenfreunde richteten ein
Sonderpostamt mit einem eigenen Stempel anlässlich des hundertjährigen
Leuchtturm Geburtstages ein. Immer wieder sorgte das Ehepaar Gebhardt und seine
Mitstreiter mit Vorträgen, Ausstellungen und Presseartikeln dafür, dass sich bald
schon ein unübersehbares öffentliches Interesse für das fast schon vergessene
Baudenkmal am Elbufer entwickelte.
·
EU-Förderprogramme boten eine Chance, die Kosten
für eine Turmsanierung aufzubringen.
Mit der
Bewilligung der Fördermittel rückte der Förderverein Baljer Leuchtturm von 2004
e.V. seinem Ziel, das historische Bauwerk zu erhalten, einen großen Schritt
näher. Es blieb das Problem des öffentlichen Zugangs durch das Schutzgebiet. 2011
gab der Landkreis Stade den Turm an sechs Wochenenden im Juli und August zur
Begehung frei. Für 2012 wurde dann zwischen allen Interessensvertretern ein
Kompromiss ausgehandelt, mit dem der Förderverein gut leben kann: Im Juli und August, außerhalb der Brut- und Setzzeiten
sowie nach Abflug der Rastvögel und vor deren Rückkehr ab September ist der Turm
täglich, außer montags und freitags, von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Das ist auch
für Dr. Uwe Andreas, den Naturschutzwart des Landkreises Stade, eine Lösung,
die im Einklang mit den Interessen von Brut- und Rastvögeln steht.
Außerhalb dieser Zeiten gilt weiterhin das strikte
Betretungsverbot selbst für den Förderverein. Der 1. Vorsitzende, Eckard
Klitzing, und seine Vereinsmitglieder sind mit dieser Regelung zufrieden.
Klitzing: „Wir wollen uns ja auch an der Natur erfreuen. Deshalb tragen auch wir
von uns aus dazu bei, unsere Gäste auf ein naturverträgliches Verhalten
hinzuweisen.“ Dazu gehört, dass nicht von der Zuwegung abgewichen wird, kein Müll
anfällt und das Schutzgebiet ausschließlich in der Absicht betreten wird, den
Turm zu besuchen.
Bei der Innensanierung und der Ausgestaltung des
Turmes mit Hinweistafeln und Exponaten haben Vereinsmitglieder viele Stunden
Eigenleistung eingebracht. Die Betreuung des Turmes und der Besucher haben die
Mitglieder des „Förderverein Baljer Leuchtturm von 1904 e.V.“ übernommen. Zu Beginn des Jahres wirbt der
Verein in seiner Mitgliederschaft ehrenamtliche LeuchtturmwärterInnen an. Sie
sorgen während der Öffnungszeiten für die Aufsicht im Turm und stehen besonders
den fremden Gästen für Auskünfte zur Verfügung. Ilse und Herbert Bruns haben
diese Aufgabe 2012 ausgeübt und sich auch schon wieder für 2013 einteilen
lassen. „Es war hier keinen Moment langweilig“, meinte Ilse Bruns, „wenn keine
Gäste hier waren, konnte man sich an der Natur satt sehen.“
Naturfreunde und Geschichtsinteressierte kommen hier
ebenso auf ihre Kosten wie Liebhaber der großen und kleinen Schiffe, die ohne
Pause am Leuchtturm vorüberziehen. Kaum irgendwo anders auf der Welt dürfte es
eine derartige Schiffsdichte geben wie gerade an dieser Stelle. Sämtlicher
Verkehr, der durch den Nord-Ostsee-Kanal geht sowie der gesamte Schiffsverkehr
nach und von Hamburg kann von diesem trockenen, erhöhten Platz aus nächster
Nähe erlebt werden. Schautafeln helfen auch den Binnenländern zu verstehen, was
sie sehen.
Die Naturfreunde blicken direkt auf das Wattufer, wo
sich die heimische und ortstypische Vogelwelt ungestört von den Beobachtern auf
ständiger Nahrungssuche befinden. Bildtafeln im Leuchtturm erklären den
Lebensraum und zeigen Abbildungen von den hier beheimateten Vogelarten.
Den historisch interessierten Gästen wird in den
einzelnen Etagen dargestellt, welch bescheidenes und einsames Leben die
Leuchtturmwärter fern des Dorfes hinter dem Deich hatten. Besonders bei
Sturmfluten mit länger anhaltenden „Landunter-Phasen“ gab es keine Verbindung
zur Familie und zum Dorf. Die Brandung rüttelt an den Fundamenten und bevor die
unteren Fenster zugemauert waren, lief manches Mal das Erdgeschoss voll Wasser.
Besonders schlimm war es am Abend des 16.Februar 1962. Das Wasser stieg so hoch
wie niemals zuvor, und der Sturm wollte nicht aufhören. Die Wellen zerstörten die
Telefonleitung, zerschlugen den Windfang vor der Eingangstür und rissen die
Gasflaschen vom unteren Balkon und das Leuchtfeuer erlosch. Um Mitternacht
wurde es ganz dramatisch. Ein vor Brunsbüttel vor Anker liegendes Schiff, die
Silona, riss sich los und trieb manövrierunfähig auf den Turm zu. Der
diensthabende Leuchtturmwärter, Walter Drygala, hat Blut und Wasser geschwitzt.
Er hatte bereits die Schwimmweste angelegt und wollte im Moment der Kollision vom
oberen Balkon aufs Schiffsdeck springen, bevor ihn der zusammenbrechende Turm
mit in die Fluten reißen würde. Soweit kam es dann nicht. Die Silona trieb
knapp am Leuchtturm vorbei und strandete mitten im überfluteten
Außendeichsgelände. Für das Schiff gab es von hier kein Zurück ins Wasser, es
wurde an Ort und Stelle abgewrackt.
Die Geschichte des Leuchtturmes
1903 wurde der Baljer Leuchtturm bau- und zeitgleich mit
dem Belumer Turm gebaut. Damals sah es ganz anders aus als heute. Dort, wo
heute der neue Landesschutzdeich verläuft, war zur Bauzeit die Wattkante. Ein
etwa 4 km langer Pfad führte von der damaligen ersten Deichlinie in Balje Hörne
durch die Außendeichsweiden, Gräben und kleinere Priele mussten über schmale
und wackelige Stege gequert werden. Ein Erreichen der Baustelle von Landseite
wäre nur unter erschwerten Bedingungen möglich gewesen. Man entschied sich, die
Baumaterialien auf dem Seeweg heranzuschaffen. Der Turm stand zu damaliger Zeit
im Watt und ein 350 m langer Faschinendamm, der bei mittlerem Hochwasser gerade
frei vom Wasser blieb, bildete die Verbindung zum Außendeich.
Am 1.3.1904 wurde der Turm als Leit- und
Quermarkenfeuer gezündet. Die erste Inbetriebnahme erfolgte mit
Petroleum-Glühlicht, einer Gürtellinse mit 250 mm Brennweite und Otterblenden
mit Antrieb durch ein Gewichtsuhrwerk. Bereits 20 Jahre später gab es eine
dreijährige Betriebspause für den Baljer Leuchtturm, eine Richtfeuerlinie auf
dem Hullen ersetzte vorübergehend das 1904 in Dienst gestellte Leuchtfeuer.
Weitere
Stationen in der über 100jährigen Geschichte des Baljer Leuchtturmes:
·
1929 Umstellung von Petroleum auf Flüssiggas. Neben dem
Turm wurde ein Gastank aufgestellt
·
1931 erhielt die Optik eine 2. Gürtellinse mit 500mm
Brennweite.
·
1959 Umstellung auf Flaschengas. Der Gastank wurde
abgebaut.
·
1962 Umstellung auf automatischen Betrieb mit elektrischen
Glühlampen. Ab jetzt wurde das Feuer ferngesteuert, die Ära der
Leuchtturmwärter war beendet.
·
1980 am 15. Dez. wurde das Feuer im Turm gelöscht, ein
neuer Turm übernahm seine Aufgabe.
Aktuelle Informationen über den Förderverein Baljer
Leuchtturm von 1904 e.V. und besonders auch die aktuellen Begehungszeiten für
das Jahr 2014 sind auf der Homepage des Vereines www.foerderverein-baljer-leuchtturm.de
zu finden.
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