Wo fange ich an? Um diese Geschichte verstehen zu können, muss man einiges wissen über das Grünkohlessen der Seglervereinigung, über Peter Willi und seinen Freund Friedrich von Issendorf.
Herrenkohlessen der Segler Vereinigung Freiburg |
Solange ich zurück denken kann, bin ich im Februar zum
Herrengrünkohlessen der Seglervereinigung Freiburg gegangen. Zuerst fand es in
Beckmanns Hotel statt und später im größeren Saal im Kehdinger Hof. Alles, was
in Freiburg Rang und Namen und dazu das richtige, also das männliche Geschlecht
hat, trifft sich einmal im Jahr im festlich geschmückten Saal mit Delegationen
befreundeter Segelvereine aus den übrigen Unterelbhäfen. Es gibt Reden,
Grußworte, Auszeichnungen verdienter Segelkameraden, mal ein Film, mal
Lichtbilder, es gibt Kohl mit all dem fetten Fleisch und reichlich Bier, später
auch Köm.
Hier gibt es alles, was Spaß macht, nur keine Frauen.
Ist ja klar, heißt ja nicht umsonst Herrengrünkohlessen.
Und nun zu Peter Willi, selig, Bootseigner und Mitglied im Segelverein,
seinerzeit Elektromeister mit einem Geschäft neben dem Kehdinger Hof, wo heute
keiner mehr einkauft, weil es dort statt des Geschäftes nur noch Parkplätze
gibt. Peter Willi war ein sehr interessierter Mensch, sehr belesen und sehr
diskussionsfreudig. Er fehlte auf keiner Informationsveranstaltung und
überraschte die Anwesenden immer wieder aufs Neue mit kompliziertesten
Argumentationsketten oder irgendwelchen abstrusen Verschwörungstheorien. Dabei
immer sehr gutmütig und auf gewisse Art liebenswert.
Peter Willi wohnte damals überm Laden mit seiner Frau Helga und seinem
Wellensittich, dem ich hier mal den Namen „Butschi“ verpasse, weil die meisten
Wellensittiche, die ich kennen gelernt habe „Butschi“ hießen. Kinder gab es
auch bei Helga und Peter Willi. Als sich diese Geschichte ereignete, waren die
Kinder längst schon aus dem Haus, „Butschi“ war nun an deren Stelle gerückt.
Damit meine Geschichte wirklich verstanden werden kann, kommt nun noch
Friedrich von Issendorf ins Spiel. Friedrich stammte von einem Hof an der
Landesstraße kurz vor der Abzweigung des Eschweges. Er hatte studiert und
irgendwo in Frankfurt gearbeitet und gelebt. Der Hof war verpachtet und das
Wohnhaus vermietet. Mindestens zwei Mal im Jahr kam Friedrich nach Freiburg
nach dem Rechten zu sehen, Freiburger Heimatluft atmen. Einmal reiste er im
Sommer an und einmal im Februar zum Herrenkohlessen der Freiburger Segler.
Wenn die Zeit wieder nahte, mietete er sich und seinen Rauhaardackel in
Beckmann´s Hotel (gesprochen Beeeckmann)
ein. Das hatte mehrere Vorteile. Beim Kohlessen hatte er es nicht so weit zum
Bett und an den anderen Abenden stellte es sich als großer Vorteil heraus, dass
der Weg von der Gaststube bis in seine Schlafstube in fast jedem Zustand noch zu bewältigen war.
Friedrich ist mir schon aufgefallen, bevor ich ihn erstmals bewusst auf
dem Kohlessen getroffen hatte. Für mich war er ein Fremder und Fremde fallen in
unserem Dorf ziemlich schnell auf. Eine seiner Besonderheiten war die Raucherei, ich habe ihn nie ohne
Zigarette gesehen. Scheinbar hat es weder ihm noch dem Dackel etwas ausgemacht.
Ein anderes Alleinstellungsmerkmal von Friedrich von Issendorf war seine Angewohnheit im Sommer wie im
Winter zu sonst angemessener, meist gediegener Kleidung in Sandalen
rumzulaufen. Im Sommer mit nackten Füßen, im Winter mit dicken grauen
Wollsocken. Auch zum Kohlessen trat er
mit Anzug, Schlips und Kragen an und eben diesen Sandalen, in denen die
dicken grauen Wollsocken steckten.
Zu seinen Angewohnheiten zählte auch, dass er am Nachmittag vor dem großen
Kohlessen gemeinsam mit seinem Rauhaardackel seinen Schulfreund Peter Willi
besuchte.
Nun müsste das Grundwissen über die handelnden Personen und Spielorte
vorhanden sein: Kohlessen, Kehdinger Hof, Butschi, Peter Willi, Rauhaardackel
und Friedrich von Issendorf.
Herrenkohlessen der Seglervereinigung Freiburg. Ich war schon etwas
früher auf dem Saal, um sicher zu stellen, dass ich auch da einen Sitzplatz
finden würde, wo ich ihn haben wollte. Der Vorstand empfing die langsam
eintreffenden Gäste am Eingang. Der Saal war recht überschaubar. Einige Tische
weiter sehe ich Friedrich von Issendorf, seinen Dackel hat er wohl im Zimmer
gelassen, und neben ihm mit hängendem Kopf Peter Willi. Es war noch Zeit genug
und ich beschloss, die beiden eben zu begrüßen.
Beide hatten schon ein halb geleertes Bierglas vor sich.
„Nabend, ihr beiden“, spreche ich sie an und reiche Friedrich die Hand
zum Gruß. Peter Willi schaut immer noch nicht hoch, auch nicht, als ich ihn
noch einmal mit seinem Namen anspreche.
„Lass man, Peter Willi is in Trauer“, sagt Friedrich mit gedämpfter
Stimme.
„Oh, tut mir leid. Was ist denn passiert?“ hauche ich zurück.
„Heute Nachmittag war ich bei ihm zum Kaffee, wie jedes Jahr und mein
Strupp war mit, lag mit der Schnauze auf meinen Füßen unterm Tisch.“
„Ja und, wieso traurig?“
„Also außer uns war da noch Butschi, weißt ja Peter Willis
Wellensittich.“ Ich wusste gar nichts, war ja noch nie in Peter Willis Wohnung.
„Der ist in` ne Mauser, hüpfte da so über den Teppich.“
Peter Willi hebt den Kopf, blickt durch mich durch, trinkt einen
Schluck und lässt den Kopf wieder fast bis auf die Tischplatte sinken.
„Na, und denn hör ich plötzlich wie Strupp schnappt, es knackt etwas,
Strupp kaut. Ich guck untern Tisch und sehe noch die Reste von Butschi aus
Strupps Maul gucken.“
„Oh Gott“, sage ich, „das ist ja schrecklich, kannst du ihm nicht einen
neuen Butschi kaufen?“
„Ja, hab´ ich ihm auch gleich gesagt. Du Peter Willi, ich kauf dir
Montag einen neuen Butschi.“
„Und, hat er angenommen?“
„Nö. Er hat nur gesagt:
„Ach lass maa, der hatte ja
sowieso schon keine Federn mehr.““
Nun verstehe ich Peter Willis Apathie an diesem Abend. Auch, dass er
trotzdem zum Kohlessen wollte. Wäre er zu Hause geblieben, er hätte nicht nur
um Butschi getrauert sondern zusätzlich noch um den entgangenen Kohl mit allem,
was dazu gehört.
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