Zwei Geschichten, die im ersten Moment nicht zusammen passen wollen
Das hätte ganz schön schief gehen
können!
Ich war Chef
der SPD Samtgemeinderatsfraktion. Zusammen mit Heiner von Ahn und Jan Seebeck von
der Freien Wählergemeinschaft haben wir eine Koalition gebildet und konnten so
mit knapper Mehrheit den Bürgermeister stellen. Zur Beratung im Rat stand ein
Umweltproblem an, zu dem die Opposition eine ganz andere Meinung hatte, als
wir. Es kam also auf jede Stimme an. Wir machten eine gemeinsame
Fraktionssitzung mit Heiner und Jan. Sehr lange wurde über unseren Antrag
diskutiert bis er endlich ausformuliert war und in eine Probeabstimmung ging.
Nicht alle schienen das Verfahren auf Anhieb verstanden zu haben. Zwei
Probeabstimmungen waren nötig und dann stimmte das Ergebnis so, wie ich es mir
gewünscht hatte.
Wir
verabschiedeten uns bis zur Ratssitzung mit der Versicherung, dass wir selbstverständlich
alle für unseren Antrag stimmen würden.
Am Tag der
Ratssitzung lief alles nach Plan. Wir waren vollzählig, niemand von uns war
krank. Ich trug die Argumente für unseren Antrag vor und wurde durch einem
Beitrag der WG unterstützt. Der Friedeberger Bürgermeister hielt ein flammendes
Plädoyer gegen unseren Antrag als ginge es um das weitere Bestehen der
Menschheit auf Erden.
Der Ratsvorsitzende rief zur
Abstimmung auf. Siegessicher ließ ich meinen Blick über die Fraktion schweifen.
Was ist denn
das, Gottfrieds Arm bleibt unten. Ich versuche es mit Zeichensprache.
Vergebens, er scheint mich nicht wahrzunehmen. Dann die Gegenprobe. Alle Arme
der Opposition gehen nach oben und mit ihnen auch der von Gottfried.
Der erste Schreck war weg, als das
Wahlergebnis verkündet wurde. Bei der Opposition fehlte ein Ratsherr. Gott sei
Dank!
Sitzungspause vor dem
nichtöffentlichen Teil. Ich begebe mich sofort zu meinem abtrünnigen Kollegen.
„Gottfried, wie konnte das denn
passieren, wir hatten doch alles genau besprochen. Warum hast du mit denen
gestimmt?“
Gottfried guckt mich mit unschuldigem
Blick an und meint ganz ruhig:
„Ich bin
gegen Umwelt!“
Ja, so ist das nun einmal in der
Demokratie. Jeder ist nur sich selbst gegenüber verantwortlich. Und, wenn die
ganze Fraktion „für Umwelt“ ist hat ein Ratsherr immer noch das Recht „gegen
Umwelt“ zu sein.
Ich bin ja „für Umwelt“, und das nicht nur in dieser
einen Abstimmung! Ich bin immer für Umwelt – na ja, fast immer für Umwelt.
Was ich zum
Beispiel gar nicht gut leiden kann ist, wenn jemand seinen Müll unter sich
fallen lässt oder ihn in der Natur entsorgt. Das kann mich richtig wütend
machen.
So war es zum Beispiel als Kalli B.
einen Tag und eine Nacht und einen Tag über Pfingsten am Fischteich saß und angelte.
Nicht nur, dass er fast unter meinem Schlafzimmer Fenster saß. Ständig, Tag und
Nacht bekam er Besuch von seinen „Kumpels“, die nur mal eben mit dem Auto oder
Moped angerauscht kamen, um zu hören, ob Kalli schon einen Biss gehabt hätte.
Einige Besucher haben laut das Autoradio weiter laufen lassen.
Ich verstehe nicht viel vom Angeln.
Vielleicht beißen sie ja mit Musik besser, die Fische. Mir hat es jedenfalls
nicht gut getan.
Ich kannte Kalli noch gut aus der
Schule. Es gab niemanden an der ganzen Schule, der so verrückte Erklärungen für
nicht angefertigte Hausaufgaben vorbrachte, wie er. „Mein Hund ist damit
abgehaun!“ war noch eine der harmlosen. Kalli
rauchte in der Schule, störte den Unterricht und nun ist er schon einige Jahre
aus der Schule und er nervt hier immer
noch, nur wenige Meter von meinem Haus.
Ich gehe zu ihm und versuche ihm mein
Unbehagen zu erklären. Kalli nickt verständig. Er sitzt in der Mittagssonne mit
nacktem Oberkörper in der Sonne, Zigarette im Mundwinkel nimmt den letzten
Schluck aus seiner Halbliter Holsten Dose, die er anschließend auf den Leergut Hümpel
neben sich entsorgt.
„Weiß auch nicht, warum die heut
nicht beißen!“
Damit war für Kalli der Fall
erledigt. Nicht für mich. An der Situation am Teichufer änderte sich wenig bis
Kalli am nächsten Morgen in der Frühe beschloss, die nächsten Stunden in seinem
Bett zu verbringen.
Alles klar?
Nichts war klar, als ich mit dem Hund
an Kallis Angelplatz vorbeikam, lagen all seine geleerten Holstendosen im Gras.
Also das, genau das, kann mich so richtig wütend machen!
Ich hatte eine Idee und begann sie
sofort in die Tat umzusetzen.
Ich packte alle Dosen und noch einen
leeren Magarinepott in einen Karton, brachte ihn zur Post und schickte ihn per
Nachnahme an Kalli. Als Nachnahme hatte ich die Höhe des Portos eingetragen.
Doris am Schalter schüttelte den Kopf.
„Kannst du doch auch so vorbei
bringen!“ murmelte sie während sie die
Papiere für die Nachnahme ausfüllte.
„Nee, hat alles schon seinen Sinn.“
„Ja, wenn´s denn so ist.“
Ich verließ die Post von Zweifeln
geplagt. Was ist, wenn er die Nachnahme nicht annimmt? Dann habe ich mich über
seinen Krach, die Dosen und dann, zu guter Letzt, auch noch über das
überflüssig ausgegebene Porto aufgeregt. Zurückholen? Nein, ich kann mich jetzt
nicht vor Doris zum Deppen machen.
Ich bekam das Paket nicht zurück und
blieb auch nicht auf dem Porto sitzen.
Die Unruhe blieb. Sie blieb über viele Jahre,
besonders, wenn ich an Kallis Haus vorbei kam oder wenn ich ihn irgendwo einmal
sah.
Dann passierte, was irgendeinmal
passieren musste. Ich komme in den Friedeberger Hof und da sitzt Kalli am
Tresen.
„Na, Schulmeister, trinkst du´n Bier
mit mir?“
„Muss eigentlich gleich weiter.“
„Na los, Karin, noch mal zwei Schnelle.“
„Na gut.“
Ich setze mich auf den Hocker neben
ihm, Helmuts Hund kommt gucken, wer da neu in die Gaststube gekommen ist.
Das Bier steht vor uns.
„Na, denn“, sagt Kalli, „hau wech den
Kram!“
„Prost, und danke noch mal“, sage ich
und nehme einen tiefen Schluck.
Kalli wischt sich mit seinen
grauschwarzen Mechanikerhänden den Schaum vom Mund, sieht mich an und sagt:
„Das warst du damals?“
Ich wusste genau, was er meinte und
er wusste genau, dass ich es war. Stand ja schließlich auf der Nachnahme.
„Was?“
„Na mit die Dosen, die meine Mudder
angenommen hat.“
Abstreiten war zwecklos. Zugeben und
fluchtbereit halten! Kalli war groß, stark und neigte zu Problemlösungen, die
mir fremd und unangenehm sind - bis zum heutigen Tag.
„Ja“, sag ich in äußerster
Anspannung.
Aber Kalli hat sich anscheinend seit
damals weiter entwickelt. Nach einem weiteren Schluck fragt Kalli:
„Und warum?“
Ich weiß nicht, warum mir gerade da Gottfried
in den Sinn kam.
„Weil, weil ich für Umwelt bin.“
„Ach so“, sagt Kalli. „Machst du uns
noch mal zwei Schnelle, Karin, er muss ja gleich los.“
„Die gehen aber auf mich, Karin.“
Das hätte nämlich auch ganz schön
schief gehen können, ich kenn doch Kalli.