Montag, 1. Februar 2016

Let´s go, Kate! Eine unglaubliche Geschichte




Wir wollten uns schon ganz lange mit Kate und William treffen. Immer wieder kam etwas dazwischen. Richtig traurig waren wir darüber, dass wir nicht an ihrer Hochzeit teilnehmen konnten. So ist das eben, wenn man billig reisen will, wie wir, dann muss man sehr frühzeitig buchen. Als uns im Herbst 2010 die Einladung zur Trauungszeremonie in Westminster Abbey erreichte, hatten wir gerade eine Reise nach Marokko gebucht. Weil es sich um ein absolutes Billigangebot handelte, konnten wir die Reise nicht ohne Totalverlust abblasen.
Schweren Herzens habe ich den beiden abgesagt.
Gefreut habe ich mich dann aber über die Antwort von Kate. Sie zeigte sich sehr verständnisvoll. Als sie hörte, dass wir auf dem Rückweg von Marrakesch genau am Tag nach der königlichen Trauung in London zwischenlanden würden, hatte sie eine großartige Idee.
"Wie wäre es", meinte sie, "wenn wir uns auf dem Flughafen treffen würden?"
Eine gute Idee. Es passte alles. Wir hatten zwei Stunden Aufenthalt in London und Kate und William konnten auf dem Weg in die Flitterwochen irgendwo in der Karibik ein paar Minuten für uns abzweigen.
Das Schöne an den beiden ist, dass sie so herrlich unkompliziert sind. Es fühlte sich vom ersten Moment so an, als würden wir uns schon ewig kennen. Sie fragten noch, wie unsere Reise verlaufen sei und ob wir etwas von der Bombe in Marrakesch mitbekommen hätten. Und wir wollten natürlich wissen, wie die Hochzeit am Vortage abgelaufen sei. Die wenigen Minuten, die wir hatten, verstrichen wie im Fluge. William schaute schon immer auf seine Uhr und als Kate anfing, Ulla von ihrem Hochzeitskleid und dem bescheuerten Geschenk von Tante Fergie zu erzählen, mahnte der Prinz zum Aufbruch, weil sie andernfalls vielleicht noch ihren Flieger verpassen würden.
Es war eine kurze Begegnung aber so nett, dass wir uns fest gelobten, uns bald bei ihnen oder bei uns Freiburg wiederzusehen. William meinte Freiburg zu kennen. Dann war er aber ganz erstaunt, dass es noch ein anderes Freiburg an der Elbe gibt. Als ich ihm dann noch erzählte, dass er bei uns vielleicht mit Jeff auf Entenjagd gehen könnte, leuchteten seine Augen.
Ein Blick auf die Uhr.
„Kate, let´s go!“
Gerade konnte ich das sympathische Paar noch für ein Erinnerungsfoto gewinnen. Leider ist nur Ulla neben den beiden zu sehen. Ich sah niemanden, den ich hätte bitten können ein Bild mit meinem Fotoapparat zu machen.
Nicht so schlimm, wir werden uns ja wiedersehen.
Kate und William drehten sich noch einmal am Gate um und winkten uns lächelnd zu.
„Nein, sind die nett“, meinte Ulla.
Ja, das sind sie wirklich und kein bisschen affektiert. Das hat man selten bei Menschen aus vergleichbaren Randgruppen mit einem derart harten sozialen Background.

Nur etwa 45 Minuten später saßen wir im Easy Jet, der uns nach Hamburg bringen sollte. Kurz vor dem Abschluss des Boardings näherte sich uns eine junge Frau durch den Mittelgang. Ihr Blick geht über die Platzanzeige. In unserer Reihe hat sie ihr Ziel erreicht. Das Handgepäck verschwindet im Gepäckfach und sie lässt sich erleichtert und erschöpft in den Sitz neben mir fallen.
„Können Sie bitte…?“
Natürlich konnte ich. Ein leichtes Anheben meines Hinterteiles genügte schon und sie konnte ihren Gurt zu sich herüberziehen.
Das Flugzeug hatte soeben seine Reisehöhe erreicht. Ich las in einer Zeitschrift, die ich mir in Gatwick gekauft hatte, als ein ganz sanftes Seufzen zu hören war. Kurze Zeit später erneut. Als das Geräusch zum dritten Mal an mein Ohr drang, musste ich mich vergewissern, ob bei meiner Nachbarin vielleicht ein Notfall eingetreten war, der möglicherweise sogar ein beherztes Handeln meinerseits erfordern würde.
Ein Blick zur Seite und ich erfasste blitzschnell, dass die Geräusche in direktem Zusammenhang mit den Bildern stehen mussten, durch die sich meine Nachbarin auf ihrem Smartphone scrollte. Plötzlich bemerkte sie, dass ich zu ihr blickte. Sie wandte mir ihr Gesicht zu und lächelte mit feuchten Augen.
„Das war so schön“, hauchte sie mehr, als dass sie sprach.
Ich sagte nichts; aber mein Blick verriet ihr wohl, dass ihre Worte bei mir eher neue Fragen aufwarfen statt für Klarheit zu sorgen.
„Kate und William. Da sind sie in der Kutsche“, erklärt sie mir mit dem Finger auf das winzige Display zeigend.
Ich konnte selbst mit meiner Lesebrille nur eine bunte Menschenmenge sehen.
„Da, in der Mitte. Das sind sie. Man kann auch die Pferde sehen.“
Ich konnte weder die Pferde noch Kate und William sehen.
„Seit einem halben Jahr hatte ich auf diesen Moment gewartet und gestern war es endlich so weit. Ich habe sechs Stunden oben auf einem Eisenzaun gestanden und mich an einem Laternenpfahl festgehalten. Manchmal konnte ich mich kaum noch halten. Runtersteigen ging auch nicht. Der gute Platz wäre sonst futsch. Und, als sie dann kamen habe ich diese Fotoserie gemacht. Wollen Sie ´mal sehen?“
Meine Antwort nicht abwartend hielt sie mir ihr Handy unter die Nase. Ein „Nein“ wäre aus ihrer Sicht ohnehin undenkbar gewesen. Nun, aus der Nähe konnte ich tatsächlich einige Male die Kutsche in den Menschenmassen erkennen. Ob da aber Kate und William drinnen saßen oder der Papst mit Angela Merkel war beim besten Willen nicht zu erkennen.
„Waren Sie auch da?“
Was war nur wieder mit mir los? Warum konnte ich nicht einfach die Klappe halten?
„Äh, nein, wir waren verhindert. Aber wir haben Kate und William vor zwei Stunden am Flughafen getroffen.“
„Nein! Nein! Hier? In Gatwick meine ich?“
So ein Gesicht habe ich, so glaube ich jedenfalls, bisher nur ein einziges Mal gesehen, als Thekla Waller mich mitten in der Nacht im Nachtzug nach Lindau bemerkte, obwohl sie doch mit eigenen Augen gesehen hatte, dass der Zug in Hamburg ohne mich abgefahren war. Das ist aber eine andere Geschichte.
„Ja, in Gatwick. Vor dem Duty Free Shop in der Halle bei den Gates 23 – 38.“
„27 war unser Gate! Warum habe ich das nicht mitbekommen?“
„Ich zeige Ihnen mal das Erinnerungsbild, das ich von den beiden zusammen mit meiner Frau gemacht habe.“
Das Bild auf dem Display meiner Kamera war auch nicht größer als das auf ihrem Handy. Da aber nur 3 Personen formatfüllend zu sehen waren konnte man sehr gut Ulla und das Prinzenpaar erkennen. „Ich glaub das nicht! Ist ja megacool und ich hab´s  nicht mitbekommen. Das war die Chance. Wie waren die denn so? Also wirklich, irres Bild!“
„Ganz nett, so.“
„Wie? Was?“
„Na ja, Sie fragten doch eben, wie die so wären. Und da habe ich gesagt `ganz nett´.“
„Und die waren da einfach so?“
„Natürlich nicht einfach so. Die waren ja auf dem Weg in die Flitterwochen und da hat William ihr wohl noch schnell etwas im Duty Free Shop gekauft.“
„Ne, nech?! Hätte ich nu nich geglaubt, dass die da auch einkaufen.“
„Ich auch nicht“, sagte ich zu ihr und dachte, dass es an der Zeit sei, die Geschichte aufzulösen.
„Schauen Sie sich die beiden doch mal ganz genau an. Fällt ihnen nichts auf?“
„Die haben kein Handgepäck und keine Jacken.“
Mir lag schon auf der Zunge zu sagen, dass sie in der Karibik ja auch nichts brauchen, besann mich dann aber noch im letzten Moment. Ich wollte ja schließlich aus dieser Nummer herauskommen und den Fall nicht noch komplizierter werden lassen.
„Gucken Sie doch noch mal genauer.“
„Die sind größer als Ihre Frau. Die glänzen ja so.“
„Ja. Wenn Sie genau hinschauen, können Sie sehen, dass es sich bei den beiden um einen Pappaufsteller handelt.“
Ich war auf alle möglichen Reaktionen gefasst, hatte mir schon einige Strategien bereitgelegt.
Wie so oft im Leben kam es dann wieder ganz anders.
„Gott sei Dank! Da bin ich aber froh, dass ich Kate und William nicht in Gatwick verpasst habe.“
Von London nach Hamburg ist es nicht weit. Die Maschine befand sich schon im Sinkflug.

„Ich weiß nie, was ich dir glauben soll“, sagte Simone, als ich ihr diese Geschichte erzählt hatte.
Wir waren gerade aus Stockholm zurückgekommen, wo wir zufällig in die Hochzeitsfeierlichkeiten von Prinz Carl Philip und Sofia hineingeraten sind.
„Ach Simone“, habe ich ihr geantwortet, „ich weiß doch selber schon gar nicht mehr, was ich mir noch glauben soll.“
Dabei stimmt ganz, ganz viel an dieser Geschichte und, wer es nicht glaubt, kann ja Ulla fragen.

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