Samstag, 5. April 2014

Worin ich glaubte wirklich gut zu sein


In einer langewährenden Beziehung gibt es Absprachen und Regeln, über die nie gesprochen wird und die dennoch so fest stehen, als seien sie in einem Ehevertrag festgehalten.

Kommt dir das irgendwie bekannt vor?

Um nur ein Beispiel zu nennen: Fahren meine Frau und ich gemeinsam im Auto, habe ich an der Heizungsanlage nichts mehr verloren. Sie bestimmt, wann es zieht, wann es zu warm oder zu kalt ist, ob und welche Luft von oben, aus der Mitte oder von unten in das Wageninnere strömt. Sehr früh schon hat sich in unserer Beziehung gezeigt, dass hier jegliche Einmischung zwecklos ist. Also habe ich es sehr schnell aufgegeben.

Ein anderes Beispiel: Auswahl des Hotelbettes! Das Bett mit dem kürzesten Weg zum Bad ist ihr Bett. Kombiniert mit einem weiteren ungeschriebenen Gesetz, nämlich dem, dass jegliches Licht gelöscht sein muss, damit sie schlafen kann, hat sich bei mir eine unschlagbare Fähigkeit entwickelt. Ich präge mir sofort in fremder Umgebung den Weg vom Bett zum Klo ein, um ihn dann auch bei absoluter Finsternis problemlos bewältigen zu können. Wenn es einmal nicht klappt, liegt es meistens nicht an mir. Dann hat sie, nachdem ich eingeschlafen bin, noch etwas in meiner "Laufbahn" abgestellt. Schuhe oder Taschen sind beliebte Stolperfallen. Schmerzlaute, wenn der kleine Zeh sich aufgehängt hat, oder Stolpergeräusche werden dann von einem schlaftrunkenen: "Was machst du denn da?" kommentiert.

Aber das ist ja nur die Ausnahme. Passiert nur ausgesprochen selten. In Riga zum Beispiel vor einigen Jahren. Wir hatten Quartier in einer ehemaligen Kammgarnspinnerei bezogen, die liebe- und stilvoll in ein Hotel umgebaut worden war. Da wir nicht sehr anspruchsvoll sind und wir lieber Geld für andere Genüsse während des Reisens ausgeben, begnügen wir uns meist mit den einfacheren Zimmern. So auch hier. Das Zimmer war sehr nett und sauber; aber es war recht klein. Der Koffer, nur zum Teil ausgeräumt, weil es aus dem Schrank nach uns ungewohnter Chemie roch, verengte den Weg von meinem Bett zum Bad noch zusätzlich.

Vor dem Schlafengehen speichere ich unterbewusst den Gang zum Bad in meinem Hirn ab: Um das Fußende vom Bett herum, am Stuhl mit der Kleiderablage vorbei, Kofferecke ragt in den Weg, Fernseher in Kopfhöhe bedenken, geradeaus 2 Meter, Bad Tür links. Es lagen keine Schuhe und keine Rucksäcke oder Taschen im Weg, ich konnte mich beruhigt zur Ruhe begeben.

Es kam, wie es kommen musste. Der Weckreiz funktionierte perfekt und ich begab mich im Halbschlaf auf den Weg zum Bad. Zwei Schritte am Bett entlang, um das Fußende, den Stuhl ertastet, weiter geradeaus, Vorsicht Kofferecke! und, jetzt die Meisterleistung, den Fernseher in Kopfhöhe mitbedacht, und schon war ich im Bad.

Und nun in umgekehrter Reihenfolge wieder zurück. Fast hätte es mit dem Fernseher nicht geklappt, ich habe ihn schon etwas am Kopf gespürt. Koffer geht klar, Stuhl links ertastet und nur noch zwei Schritte. Da trat er ein, der seltene Fall. Der kleine Zeh des rechten Fußes hängt sich am Bettpfosten auf. Ein kurzer Schmerzruf wird von tiefem Stöhnen abgelöst.

Aus ihrem Bett kommt mit hellwacher Stimme:
"Kannst du auch nicht schlafen?"

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen