In meinen
Kindheitserinnerungen spielten Schlachtungen bei uns auf dem Hof eine große
Rolle. Der Tod von Tieren, deren Heranwachsen meine Geschwister und ich
erlebten, verursachte eine Mischung aus
Schauer und Faszination. Bis heute begleiten mich Bilder von Hühnern, die mit
einem kurzen Beilhieb auf dem Hauklotz ihren Kopf verloren. Die Hand unserer
Mutter oder Haushaltshilfe öffnet sich um die Hühnerbeine und das enthauptete
Huhn begann seinen kopflosen Tanz über den Hofplatz bis die ungesteuerten
Nerven ihren Dienst gänzlich einstellten und das Tier kein Lebenszeichen mehr
von sich gab.
Einige Jahre
später lernte ich an meiner Hamburger Grundschule die Sage vom Seeräuber Klaus
Störtebeker kennen, der sich vor seiner Hinrichtung auf dem Grasbrook
ausbedungen hatte, dass alle seine Gefährten, an denen er kopflos vorübergehen
konnte, die Freiheit erhalten sollten. Im Gegensatz zu meinen städtischen
Schulkameraden überraschte es mich nicht, dass der gefährliche Seeräuber noch
etliche seiner Spießgesellen vor dem sicheren Tod bewahrt hatte. Sie hatten
eben noch nie ihrer Mutter beim Schlachten eines Huhnes zugesehen.
Von Enten
und Gänsen entsinne ich keine Schlachtszenen. Ich habe nur Bilder vom Rupfen
und Abflämmen der Federkiele über einer brennenden Spirituspfütze auf dem
Kehrblech in Erinnerung. Die Köpfe hatten sie, anders als die Hühner und Klaus
Störtebeker, noch dran. Anscheinend hat man die Tötung dieser Tiere ohne
Anwesenheit von Kindern durchgeführt.
Eines der
größten Ereignisse auf dem Hof war die Schlachtung eines Schweines. Tagelang
liefen die Vorbereitungen. Ein Termin mit dem Schlachter musste vereinbart,
Helferinnen und Helfer mussten organisiert werden, um das zerlegte Tier bis zum
letzten verwertbaren Teil zu verarbeiten. Ich entsinne Frauenarme, blutrot bis
fast zu den Ellenbogen vom steten umrühren des Blutes in einer großen Schüssel.
Wurst wurde bereitet, in Dosen gefüllt die dann mit dem Bollerwagen zum
Dorfschmied gebracht wurden. Der hatte eine Maschine, die, für mich damals
unerklärlich, Deckel auf die Dosen „zaubern“ konnte. Schinken, Speckseiten und
Mettwürste wurden in die Räucherkate gebracht und mit Namensschildern versehen
in den Rauch gehängt. Die alte Frau Hamann, die in der Räucherkate lebte und
das Buchenspanfeuer immer am Brennen hielt, hatte eine Gesichtshaut runzelig,
wie die Mettwürste, die sie mit einer langen Hakenstange nach wochenlangem
Räucherprozess aus dem Rauch nahm. Außer der runzeligen Haut hatte sie auch das
Aroma der ihr anvertrauten Würste.
Bevor es
aber so weit kam, musste das Schwein erst noch sein Leben lassen. Ein
Schlachter aus dem Nachbarort reiste mit einem Satz sehr scharfer Messer an.
Ich meine zu erinnern, dass das Tier, das seinen Tod ahnend ein Mordsgeschrei
verursachte, mit einem Bolzenschussgerät getötete wurde. Mein Schulfreund Ulli
Radke, den ich kürzlich nach über 50 Jahren wiedertraf, besteht darauf, dass
der Schlachter eine Axt benutzte, um das Tier zu töten. War es einmal tot, kam
das scharfe Messer zum Einsatz. Ein Schnitt durch die Kehle und ein Blutschwall
ergoss sich in die bereitgehaltenen Gefäße. Ein wichtiger Rohstoff nicht nur
für die beliebte Blutwurst.
Alles
mordsmäßig interessant gesehen mit Kinderaugen und - völlig normal.
Das
ausgeblutete Schwein nahm nun sein wohl einziges und letztes Bad in einem
hölzernen Trog. Es wurde mit heißem Wasser abgebrüht und der Schlachter begann
mit einem glockenförmigen, scharfen Schaber die Borsten von der Haut der Sau zu
entfernen. Hat er seine Arbeit schlecht gemacht, fischte man noch Wochen und
Monate später Schweineborsten aus Presskopf, Leber- oder Blutwurst. Im nächsten
Schritt wurde das Schwein kopfüber an eine Leiter gehängt, die mit den oberen
Holmen gegen die Hauswand lehnte. Wieder kam das scharfe Messer zum Einsatz und
trennte das Schwein der Länge nach auf. Die Eingeweide fielen heraus und wurden
in Wannen aufgefangen. Fast alles einschließlich der Därme fand später noch
Verwendung.
Bis das Schwein nun weiter verarbeitet werden konnte, musste es abhängen und den Besuch des Fleischbeschauers abwarten. Der Fleischbeschauer Wille war eine „Amtsperson“ und staatlich bestellt, damit kein mit Trichinen verseuchtes Fleisch zu Lebensmitteln verarbeitet wird. Mächtig beeindruckend, wenn er von seinem Fahrrad stieg, seine Brille aufsetzte und aus seiner Holzkiste ein Mikroskop nahm und es auf einem Tisch abstellte. Mehrere kleine Fleischschippselchen wurden aufmerksam unter dem Mikroskop betrachtet. Griff Wille dann zu seinem Stempelkasten, konnten die Eltern aufatmen. Die Trichinenfreiheit wurde mit einem blauen Stempel auf der Schweinehaut bestätigt. Spuren des Stempelabdrucks tauchten manchmal Wochen später auf einem Stück Schwarte wieder im Essen auf.
Bis das Schwein nun weiter verarbeitet werden konnte, musste es abhängen und den Besuch des Fleischbeschauers abwarten. Der Fleischbeschauer Wille war eine „Amtsperson“ und staatlich bestellt, damit kein mit Trichinen verseuchtes Fleisch zu Lebensmitteln verarbeitet wird. Mächtig beeindruckend, wenn er von seinem Fahrrad stieg, seine Brille aufsetzte und aus seiner Holzkiste ein Mikroskop nahm und es auf einem Tisch abstellte. Mehrere kleine Fleischschippselchen wurden aufmerksam unter dem Mikroskop betrachtet. Griff Wille dann zu seinem Stempelkasten, konnten die Eltern aufatmen. Die Trichinenfreiheit wurde mit einem blauen Stempel auf der Schweinehaut bestätigt. Spuren des Stempelabdrucks tauchten manchmal Wochen später auf einem Stück Schwarte wieder im Essen auf.
Hier nun der
Anlass aus dem Jahre 1956, der meiner Geschichte ihren Namen gab.
Unser Vater
hatte sich schweren Herzens von seiner Vorkriegsbriefmarkensammlung getrennt,
weil er dringend Geld für Investitionen in den Betrieb benötigte. Der Erlös war
nicht sonderlich üppig, reichte jedoch für die Anschaffung des ersten
Elektrozaunes nicht nur des Hermannhofes sondern des ganzen Dorfes. Es war
wieder einmal Schlachtzeit, die Sau hing ausgenommen und glattrasiert an der
Leiter und wartete auf „Doktor“ Wille, der mit Sicherheit kein Doktor war.
Kaum, dass die Menschen auf dem Hof anderen Beschäftigungen nachgingen, erregte
das aufgehängte Schwein das Interesse der freilaufenden Hühner. Mein Vater war
es leid, die Hühner ständig vom Schwein zu verscheuchen. Er hatte ja
schließlich auch noch andere Dinge zu tun. Hier kam nun der neue Elektrozaun
zum Einsatz. Über alle vier Holme der Leiter stülpte unser Vater Gummistiefel
zum Isolieren. Dann verband er die Sau mit der Batterie des Zaunes und
beobachtete mit sichtlicher Befriedigung, wie die Hühner mit großem Gezeter und
Geflatter auf die Stromstöße reagierten, wenn sie am Schwein pickten.
Die Hühner sind nicht so blöd, wie oftmals angenommen. Sie haben schnell
gelernt und sich lieber wieder der Suche nach Regenwürmern zugewandt. Auch der
zufriedene Bauer konnte sich neuen Beschäftigungen zuwenden.
Am späten
Nachmittag kam Dr. Wille mit seinem Fahrrad und Mikroskop über das holperige
Pflaster der Lindenallee auf den Hof geradelt. Zielstrebig lenkte er sein Rad
um das Wohnhaus. Über die Jahre hat das Schwein immer neben dem Eingang zur
Küche gehangen und so war es auch dieses Mal. Er lehnte sein Rad an die
Hauswand, nahm seinen Kasten mit Mikroskop, Messer, Notizbuch und Stempel vom
Gepäckträger und begann unter großer Anteilnahme einiger Kinder, die auf dem
Hof spielten, mit seiner Amtshandlung. Mit elektrisierten Schweinen völlig
unvertraut, machte Wille drei Anläufe, sich eine Probe aus dem Schwein zu
schneiden. Zu unserer Freude zuckte er jedes Mal mit einem kleinen Aufschrei
zurück. Dann verstaute er seine Utensilien wieder auf dem Fahrrad. An mich
gewandt sagte er beim Aufsteigen: „Vertell dien Vadder, dat Swien foot ick nich
noch mool an!“
Nur kurze
Zeit später erschien mein Vater wieder und fragte, ob Dr. Wille noch nicht da
gewesen sei.
„Doch“,
sagte ich, „aber er hat immer „einen gewischt“ bekommen und ich soll dir sagen,
dass er das Schwein nicht mehr anfasst.“
Ja, so ist
das manchmal mit genialen Erfindungen. Der Strom aus dem neuen Weidezaun hat
nicht nur die Hühner verjagt sondern den Fleischbeschauer gleich mit.
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