Opa war aus Hamburg Berne raus aufs Dorf gekommen, die
Familie seines Sohnes zu besuchen. Vielleicht auch nur, um einmal wieder
richtig satt zu werden. Auf dem elterlichen Hof gab es dafür eigentlich auch
kaum genug, obwohl die ganz schlechte Zeit nun nach der Währungsreform gerade
vorbei schien. Nicht so für Opa Henry. Genau genommen sollten sich die Zeiten
für Opa noch einmal vorübergehend dramatisch verschlechtern.
Aus welchem Anlass unser Opa zu Inge Hildebrandt ins
Wirtshaus ging, ist mir nicht überliefert. Sicher ist nur, dass er dort war,
recht lange. Sicher ist auch, dass er nicht wusste, wie er zurückgekommen war
und ganz sicher waren sich er und alle anderen aus der Familie, dass er mit
seinen Zähnen aufgebrochen war und nun definitiv ohne Zähne aus seinem Rausch
aufgewacht war.
Ohne Zähne zu sein ist an sich schon sehr unangenehm, sieht
nicht gut aus, kannst nicht anständig sprechen und vom Essen zu reden brauchen wir gar nicht erst anzufangen. Nun
magst du vielleicht denken: „Ist doch nicht so schlimm! Wenn es ohnehin nicht
so viel zu beißen gibt. Spart doch wieder Essen!“
Das kann man so auch wieder nicht sagen. Wenn du nämlich
wenig zu beißen hast, kannst du ohne Zähne gar nichts beißen und das ist,
versteht sich von selbst, überhaupt nicht mehr lustig.
Opa Henry
war noch aus einem anderen Grund totunglücklich. Damals konnte man nicht mal
eben zum Zahnarzt und drei Tage später gibt es die neuen Zähne. Kriegsbedingt
gab es noch wenige Zahnärzte und Dentallabors. Außerdem war man froh,
wenn man sein weniges Geld nicht für die Zähne anlegen musste sondern in Essen
investieren konnte.
Es folgten
ein zwei Tage schlechter Stimmung und Ernährung - nur mit den
unterschiedlichsten Breisorten, Milch und Säften.
Und dann,
noch vor Opas Abreise nach Hamburg, die große Entspannung. Mit einem Lächeln im
Gesicht, das zwei strahlendweiße Zahnreihen sichtbar machte, trat der Opa in
die Stube. Überglücklich berichtete er davon, wie er seine Zähne auf dem Weg
zum Plumpsklo im dunklen Keller auf dem
Absatz eines Kellerfensters wiedergefunden hatte. Dabei hätte er schwören
können, dass er dort schon einmal nach seinen Zähnen gesucht hatte.
Was soll´s!
Hauptsache die Zähne waren wieder da.
Was Opa Henry nicht wusste: Jeden Freitag wurde der Klo Eimer auf dem
Gartenland geleert. An dem Freitag, der dem Opa die Wiedervereinigung mit
seinen Zähnen bescherte, tauchte das Gebiss zwischen den Rhabarber Stauden auf.
Dobbertin, der die undankbare Aufgabe hatte, den „Goldeimer“ zu leeren, wusste
natürlich wie alle Menschen der Hofgemeinschaft, was dem Besucher aus Hamburg
widerfahren war. Für Opa Henry unsichtbar gelangten die Zähne ins Haus. Nachdem
sie geschrubbt und abgekocht waren, musste nur noch ein Platz gefunden werden,
an dem der zahnlose Opa ganz „zufällig“ sein Gebiss wiederfinden konnte.
Opa Henry freute sich über seine wiederhergestellte Kaufähigkeit und
reiste überglücklich heim zur Oma. Zurück blieb das Familiengeheimnis. Ein
Geheimnis, das mir erst viele Jahre nach dem Tod von Opa Henry und Oma Gretel durch
meine Mutter anvertraut wurde.
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