Sonntag, 27. April 2014

Die Ostfriesen Amerikas



The Polish people
oder
Die Ostfriesen der USA

Indian Summer, stundenlang geht es durch die gold-gelb-roten Wälder Neuenglands und Vermonts. Diese Natur macht benommen, berauscht. Die Autofahrt endet an einem kleinen See. So klein, dass man ihn bequem in 15 Minuten umrunden kann. Fünf oder sechs Häuser liegen am Seeufer, keines so nah an dem anderen, dass man sich gestört fühlen könnte. Eines dieser Häuser gehört der Familie unserer Amerikanischen Verwandtschaft. Hier, fern jeder Großstadthektik mitten im goldenen Herbstwald waren wir zu einer Familienfeier eingeladen. Am Vorabend des Festes saßen alle bereits angereisten Gäste im großen Wohnzimmer beisammen, als das Telefon klingelte.
„Es waren die Sondergelds, unsere Nachbarn“, sagte unser Gastgeber, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte. „Als sie hörten, dass die Deutschen hier sind, fragten sie, ob sie dazu kommen könnten. Sie werden gleich hier sein.“
Mr. Sondergeld zählt zu der inzwischen fast ausgestorbenen Gruppe von Immigranten, die es irgendwie noch geschafft haben, dem menschenverachtenden Nazideutschland  den Rücken zu kehren, bevor es nicht mehr möglich war -  die Wege nicht mehr ins Exil, sondern nur noch in den Tod führten. Er hat Deutschland noch als Kind, vielleicht als Jugendlicher in Erinnerung behalten. Dieser Mann hat die Angst vor Verfolgung, Demütigungen, Verlust der Heimat, schwierigen Neuanfang im Exil und ganz besonders den unbegreiflichen Holocaust erleben und verarbeiten müssen. Freunde und Verwandte, denen sich kein Schlupfloch aus der Hölle bot, sind irgendwo in den Vernichtungslagern ihrer arischen Landsleute hingemordet worden.
Jeder versteht, dass das Erlebte tiefe Traumata hinterlassen hat, dass Traurigkeit, Verbitterung, Misstrauen,  Zorn bis hin zum tiefen Hass das Verhältnis zu Deutschland und den Deutschen bestimmt.

Sowohl aus der Literatur als auch aus realen Begegnungen sind mir auch ganz andere Erfahrungen präsent. Ich weiß nichts über das persönliche Familienschicksal von Mr. Sondergeld. Tatsache ist nur, dass ihn ein Gemisch aus Neugier und Kindheitserinnerungen bewegt hat, sich noch am späteren Abend auf den Weg zu machen, um den Deutschen Besuch seiner Nachbarn und Freunde kennenzulernen. Sofort füllte er den Raum aus mit seiner lauten Herz- und Fröhlichkeit. Es dauerte nicht lange und Mr. Sondergeld fand wieder in die Sprache seiner Kindheit zurück. Durchmischt mit vielen Worten auf Englisch ergab sich schnell eine lebhafte Unterhaltung, die ihren Reiz auch durch den liebenswerten Sprachenmix erlangte.
Nach einigen Getränken fragte Mr. Sondergeld mich, ob es in Deutschland noch „die Jokes von die dumme Menschen aus Friiislend gäbe“.
„Oh, Sie meinen die Ostfriesenwitze?“
„Yes, diese Ostfriese. We have Ostfrieses too. Sie heißen in America Polish People.“
„Aha.“
„Ich erzähl dir eine Joke von eine polish scientist, wie sagen du auf deutsch?“
„Wissenschaftler.“
„Danke. Eine polish Wissensch, also eine scientist bekommt die Job, ihm soll find out how far jump eine Frog, was sagen du zu frog?“
„Frosch.“
„Soll find out, how far jump die Frosch mit vier legs, äh Bein. Die scientist nimmt die Frosch and says zu Frosch mit vier Bein „Frosch jump!“ Die Frosch jump 80 cm. Die scientist nimmt ein paper and writes: „Frosch mit 4 Bein jumps 80 cm.“
Dann soll die Scientist find out, how far jump die Frosch mit drei Bein. Er nimmt ein knife, ein Messer, and cut off one leg. Zu die frog mit drei Bein sagt ihm again: „Frog jump!“ Die Frosch jump 70 cm. Die polish man schreibt auf sein paper.
Dann soll die Scientist find out, how far jump die frog mit two legs. Die frog jump 68 cm. Nächstes task, wie far jump die frog mit one leg. Er sagt zu die frog: „Frog jump!“ Die frog jump 15 cm, nix sehr straight. Nächstes task was, how far spring die frog ohne legs. Die scientist cut off die letzte Bein und sagt zu die frog ohne legs: „Frog jump!“ Die frog springt nicht. Ihm sagt noch einmal „Frog jump!“ aber die frog jump nicht. Da bekommt die Scientist sehr böse und sagt noch einmal:  „Frog jump!“ Die frog jump nicht.
Da schreibt diese polish scientist in sein paper: „Frog without Bein can not hören!“
Mr. Sondergeld belohnt sich für diese gelungene Pointe mit lautem Lachen, in das die Runde einfällt.

Wieder zurück in Deutschland hält dieser polnische Ostfriesenwitz, viele Male von mir weitererzählt, die Erinnerung an Mr. Sondergeld am kleinen See im fernen Vermont, wach. Vielleicht zehn Jahre später, es war das Jahr der Fußballweltmeisterschaft in Südkorea, kam ich noch einmal in das gastliche Haus an dem kleinen See. Wir saßen in der Runde und es wurde sich angeregt unterhalten, als mir Mr. Sondergeld einfiel.
„Sagt mal, gibt es eigentlich Familie Sondergeld noch? Es war so witzig mit ihm als wir das letzte Mal hier waren?“
Ja, es gab sie noch und sie bewohnten auch gerade wieder ihr Zweithaus am See. Trotz der späten Stunde rief unser Gastgeber bei den Sondergelds an, um ihnen vom deutschen Besuch zu berichten und fragte, ob sie nicht Lust hätten, zu kommen. Es vergingen nur wenige Minuten und Mrs. Und Mr. Sondergeld erschienen im Bademantel – sie hatten sich schon zur Ruhe begeben. Mr. Sondergeld war etwas älter geworden aber ich erkannte ihn sofort wieder. Nach kurzer Vorstellung wer wir waren und wann und wo es schon einmal eine Begegnung zwischen uns gab, befanden wir uns wieder in angeregter Unterhaltung. Es wurde getrunken und viel gelacht. Irgendwann erzählte ich, dass er mir all die Jahre gut in Erinnerung geblieben ist, weil ich seinen Witz mit „die polish scientist“ mit großem Erfolg mindestens 1000 Schulkindern  in Deutschland weiter erzählt hätte.
„Was für eine Witz war das?“
„Na, der Witz mit dem Frog und dem Wissenschaftler.“
„Kenn ich nicht, kannst du erzählen?“
Und ob ich konnte. Es gab keinen Witz in den vergangenen 10 Jahren, den ich häufiger erzählt hatte. Nur in dieser Variante hatte ich Mr. Sondergelds Rolle und den Sprachenmix weggelassen.
Kaum, dass die Pointe heraus war, brach Mr. Sondergeld in das für ihn typische schallende Gelächter aus.
„Diese Joke ist wonderful, ich werde mir merken diese Witz“, brachte er immer noch lachend heraus.
Bevor er sich verabschiedete, wandte Mr. Sondergeld sich mir noch einmal zu.
„Ich will dir geben noch eine Joke für deine Students in Deutschland. Wir haben hier Jokes von die fair-haired Frauen. Du weißt fair?“
Man half mir aus der Runde mit der passenden Vokabel: „blond“.
Also auch in Amerika kannte man die Witze über blonde Dummchen, vielleicht  sind sie auch von dort über den Atlantik geschwappt, wie so viele andere unnütze, blöde oder bisweilen auch sinnvolle und nützliche Dinge und Angewohnheiten.
„Also, ein fair Frau wollte fly from L.A. to Miami mit second class ticket. Die fair Frau mit second class setzt sich auf eine seat von first class. Sagt die Stewardess in first class zu die fair Frau: „Du kannst nicht sitzen auf first class mit second class ticket.“ Die fair Frau doesn´t move. Kommt ein andere Stewardess und sagt zu die fair Frau: „Du kannst nicht sitzen auf first class mit second class ticket.“ Die fair Frau doesn´t move. Dann gehen die Stewardessen to the captain und tell him, that the fair Frau mit second class setzt sich auf eine seat von first class und nicht wechseln will.
Sagt die Captain: „Let me do.“
Ihm geht nach die fair Frau, whispers in ihr Ohren. Die fair Frau mit second class ticket gets up und geht nach second class. Wenn die Stewardessen das gesehen, sie gehen to the Captain und ask him wie ihn das gemakt hat. Hat der Captain gesagt:
„Ich hab die fair Frau gesagt: First Class fliegt nicht nach Miami!“
Wie schon vor zehn Jahren war Mr. Sondergeld sehr erfolgreich mit seinem Witz, die Runde belohnte ihn mit ausgiebigem Gelächter.
„So, nun kannst du deine Students eine neue Joke von America erzählen und in 10 years du kommst nach Vermont und erzählst mir diese Joke, damit ich kann lachen!“
Für diesen Joke bedankte sich Mr. Sondergeld noch einmal bei sich selbst mit seinem fröhlichen Lachen und verabschiedete sich.
Das liegt nun schon 12 Jahre zurück. Der Joke mit der fair Frau hat nie die Erfolge feiern können, wie der Joke mit „die polish Scientist“. Trotzdem habe ich ihn gemocht,  besonders in Verbindung mit der Erinnerung an diesen fröhlichen, alten Mann in den Wäldern Vermonts, den wehmütige Kindheitserinnerungen dazu bewegt haben, nachts im Bademantel durch den Wald zu laufen, um mit den „Germans“ zu reden. Vielleicht wird mich das Schicksal noch einmal an den kleinen See in Vermont führen. Auf Mr. Sondergeld werde ich wohl vergebens warten. Seine Witze werden mir bestimmt wieder einfallen. Und, wenn ich sie erzählen werde, werde ich daran denken, dass es ja eigentlich Mr. Sondergeld war, der darum gebeten hatte, dass ich ihm seinen Witz von der „fair Frau“ erzähle.

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