The Polish people
oder
Die Ostfriesen der USA
Indian
Summer, stundenlang geht es durch die gold-gelb-roten Wälder Neuenglands und
Vermonts. Diese Natur macht benommen, berauscht. Die Autofahrt endet an einem
kleinen See. So klein, dass man ihn bequem in 15 Minuten umrunden kann. Fünf
oder sechs Häuser liegen am Seeufer, keines so nah an dem anderen, dass man
sich gestört fühlen könnte. Eines dieser Häuser gehört der Familie unserer
Amerikanischen Verwandtschaft. Hier, fern jeder Großstadthektik mitten im goldenen
Herbstwald waren wir zu einer Familienfeier eingeladen. Am Vorabend des Festes
saßen alle bereits angereisten Gäste im großen Wohnzimmer beisammen, als das
Telefon klingelte.
„Es waren
die Sondergelds, unsere Nachbarn“, sagte unser Gastgeber, nachdem er den Hörer
aufgelegt hatte. „Als sie hörten, dass die Deutschen hier sind, fragten sie, ob
sie dazu kommen könnten. Sie werden gleich hier sein.“
Mr.
Sondergeld zählt zu der inzwischen fast ausgestorbenen Gruppe von Immigranten,
die es irgendwie noch geschafft haben, dem menschenverachtenden Nazideutschland
den Rücken zu kehren, bevor es nicht
mehr möglich war - die Wege nicht mehr
ins Exil, sondern nur noch in den Tod führten. Er hat Deutschland noch als
Kind, vielleicht als Jugendlicher in Erinnerung behalten. Dieser Mann hat die
Angst vor Verfolgung, Demütigungen, Verlust der Heimat, schwierigen Neuanfang
im Exil und ganz besonders den unbegreiflichen Holocaust erleben und
verarbeiten müssen. Freunde und Verwandte, denen sich kein Schlupfloch aus der
Hölle bot, sind irgendwo in den Vernichtungslagern ihrer arischen Landsleute
hingemordet worden.
Jeder
versteht, dass das Erlebte tiefe Traumata hinterlassen hat, dass Traurigkeit,
Verbitterung, Misstrauen, Zorn bis hin
zum tiefen Hass das Verhältnis zu Deutschland und den Deutschen bestimmt.
Sowohl aus
der Literatur als auch aus realen Begegnungen sind mir auch ganz andere
Erfahrungen präsent. Ich weiß nichts über das persönliche Familienschicksal von
Mr. Sondergeld. Tatsache ist nur, dass ihn ein Gemisch aus Neugier und
Kindheitserinnerungen bewegt hat, sich noch am späteren Abend auf den Weg zu
machen, um den Deutschen Besuch seiner Nachbarn und Freunde kennenzulernen.
Sofort füllte er den Raum aus mit seiner lauten Herz- und Fröhlichkeit. Es
dauerte nicht lange und Mr. Sondergeld fand wieder in die Sprache seiner
Kindheit zurück. Durchmischt mit vielen Worten auf Englisch ergab sich schnell
eine lebhafte Unterhaltung, die ihren Reiz auch durch den liebenswerten
Sprachenmix erlangte.
Nach einigen
Getränken fragte Mr. Sondergeld mich, ob es in Deutschland noch „die Jokes von
die dumme Menschen aus Friiislend gäbe“.
„Oh, Sie
meinen die Ostfriesenwitze?“
„Yes, diese
Ostfriese. We have Ostfrieses too. Sie heißen in America Polish People.“
„Aha.“
„Ich erzähl
dir eine Joke von eine polish scientist, wie sagen du auf deutsch?“
„Wissenschaftler.“
„Danke. Eine
polish Wissensch, also eine scientist bekommt die Job, ihm soll find out how
far jump eine Frog, was sagen du zu frog?“
„Frosch.“
„Soll find
out, how far jump die Frosch mit vier legs, äh Bein. Die scientist nimmt die
Frosch and says zu Frosch mit vier Bein „Frosch jump!“ Die Frosch jump 80 cm.
Die scientist nimmt ein paper and writes: „Frosch mit 4 Bein jumps 80 cm.“
Dann soll
die Scientist find out, how far jump die Frosch mit drei Bein. Er nimmt ein
knife, ein Messer, and cut off one leg. Zu die frog mit drei Bein sagt ihm
again: „Frog jump!“ Die Frosch jump 70 cm. Die polish man schreibt auf sein
paper.
Dann soll
die Scientist find out, how far jump die frog mit two legs. Die frog jump 68
cm. Nächstes task, wie far jump die frog mit one leg. Er sagt zu die frog:
„Frog jump!“ Die frog jump 15 cm, nix sehr straight. Nächstes task was, how far
spring die frog ohne legs. Die scientist cut off die letzte Bein und sagt zu
die frog ohne legs: „Frog jump!“ Die frog springt nicht. Ihm sagt noch einmal „Frog
jump!“ aber die frog jump nicht. Da bekommt die Scientist sehr böse und sagt
noch einmal: „Frog jump!“ Die frog jump
nicht.
Da schreibt
diese polish scientist in sein paper: „Frog without Bein can not hören!“
Mr.
Sondergeld belohnt sich für diese gelungene Pointe mit lautem Lachen, in das
die Runde einfällt.
Wieder zurück
in Deutschland hält dieser polnische Ostfriesenwitz, viele Male von mir
weitererzählt, die Erinnerung an Mr. Sondergeld am kleinen See im fernen
Vermont, wach. Vielleicht zehn Jahre später, es war das Jahr der
Fußballweltmeisterschaft in Südkorea, kam ich noch einmal in das gastliche Haus
an dem kleinen See. Wir saßen in der Runde und es wurde sich angeregt
unterhalten, als mir Mr. Sondergeld einfiel.
„Sagt mal,
gibt es eigentlich Familie Sondergeld noch? Es war so witzig mit ihm als wir
das letzte Mal hier waren?“
Ja, es gab
sie noch und sie bewohnten auch gerade wieder ihr Zweithaus am See. Trotz der
späten Stunde rief unser Gastgeber bei den Sondergelds an, um ihnen vom
deutschen Besuch zu berichten und fragte, ob sie nicht Lust hätten, zu kommen.
Es vergingen nur wenige Minuten und Mrs. Und Mr. Sondergeld erschienen im
Bademantel – sie hatten sich schon zur Ruhe begeben. Mr. Sondergeld war etwas
älter geworden aber ich erkannte ihn sofort wieder. Nach kurzer Vorstellung wer
wir waren und wann und wo es schon einmal eine Begegnung zwischen uns gab,
befanden wir uns wieder in angeregter Unterhaltung. Es wurde getrunken und viel
gelacht. Irgendwann erzählte ich, dass er mir all die Jahre gut in Erinnerung
geblieben ist, weil ich seinen Witz mit „die polish scientist“ mit großem
Erfolg mindestens 1000 Schulkindern in
Deutschland weiter erzählt hätte.
„Was für
eine Witz war das?“
„Na, der
Witz mit dem Frog und dem Wissenschaftler.“
„Kenn ich
nicht, kannst du erzählen?“
Und ob ich
konnte. Es gab keinen Witz in den vergangenen 10 Jahren, den ich häufiger
erzählt hatte. Nur in dieser Variante hatte ich Mr. Sondergelds Rolle und den
Sprachenmix weggelassen.
Kaum, dass
die Pointe heraus war, brach Mr. Sondergeld in das für ihn typische schallende
Gelächter aus.
„Diese Joke
ist wonderful, ich werde mir merken diese Witz“, brachte er immer noch lachend
heraus.
Bevor er
sich verabschiedete, wandte Mr. Sondergeld sich mir noch einmal zu.
„Ich will
dir geben noch eine Joke für deine Students in Deutschland. Wir haben hier
Jokes von die fair-haired Frauen. Du weißt fair?“
Man half mir
aus der Runde mit der passenden Vokabel: „blond“.
Also auch in
Amerika kannte man die Witze über blonde Dummchen, vielleicht sind sie
auch von dort über den Atlantik geschwappt, wie so viele andere unnütze, blöde oder bisweilen auch sinnvolle und nützliche Dinge und Angewohnheiten.
„Also, ein fair Frau wollte fly from
L.A. to Miami mit second class ticket. Die fair Frau mit second class
setzt sich auf eine seat von first class. Sagt die Stewardess in first class zu
die fair Frau: „Du kannst nicht sitzen auf first class mit second class ticket.“
Die fair Frau doesn´t move. Kommt ein andere Stewardess und sagt zu die fair
Frau: „Du kannst nicht sitzen auf first class mit second class ticket.“ Die
fair Frau doesn´t move. Dann gehen die Stewardessen to the captain und tell
him, that the fair Frau mit second class setzt sich auf eine seat von first
class und nicht wechseln will.
Sagt die Captain: „Let me do.“
Ihm geht
nach die fair Frau, whispers in ihr Ohren. Die fair Frau mit second class ticket gets up und geht nach second
class. Wenn die Stewardessen das gesehen, sie gehen to the Captain und
ask him wie ihn das gemakt hat. Hat der Captain gesagt:
„Ich hab die
fair Frau gesagt: First Class fliegt nicht nach Miami!“
Wie schon
vor zehn Jahren war Mr. Sondergeld sehr erfolgreich mit seinem Witz, die Runde
belohnte ihn mit ausgiebigem Gelächter.
„So, nun
kannst du deine Students eine neue Joke von America erzählen und in 10 years du
kommst nach Vermont und erzählst mir diese Joke, damit ich kann lachen!“
Für diesen
Joke bedankte sich Mr. Sondergeld noch einmal bei sich selbst mit seinem
fröhlichen Lachen und verabschiedete sich.
Das liegt
nun schon 12 Jahre zurück. Der Joke mit der fair Frau hat nie die Erfolge
feiern können, wie der Joke mit „die polish Scientist“. Trotzdem habe ich ihn
gemocht, besonders in Verbindung mit der
Erinnerung an diesen fröhlichen, alten Mann in den Wäldern Vermonts, den
wehmütige Kindheitserinnerungen dazu bewegt haben, nachts im Bademantel durch
den Wald zu laufen, um mit den „Germans“ zu reden. Vielleicht wird mich das
Schicksal noch einmal an den kleinen See in Vermont führen. Auf Mr. Sondergeld
werde ich wohl vergebens warten. Seine Witze werden mir bestimmt wieder
einfallen. Und, wenn ich sie erzählen werde, werde ich daran denken, dass es ja
eigentlich Mr. Sondergeld war, der darum gebeten hatte, dass ich ihm seinen
Witz von der „fair Frau“ erzähle.