Montag, 10. Februar 2014

Strandgut



„Strandgut“ oder „Es kommt ein Dixi-Klo ge…“
Zur Erinnerung an einen Höhepunkt unseres gemeinsamen Berufslebens für meinen Freund Klaus-Dieter Melahn
Dezember 2013

Sturmfluten sind bei uns ja keine Seltenheit. Wenn es ganz schlimm kam, brachen die Deiche, Vieh und Menschen ertranken und es dauerte bisweilen Jahre bis die Wunden an den Deichen und in den Seelen der Überlebenden vernarbt waren.
Gott sei Dank erleben wir diese Fluten, die sogenannten Jahrhundertfluten, nicht so oft. Meistens steigt das Wasser nur bis an den Deichfuß und, wenn es mal sehr heftig kommt, bis zur Deichmitte. Ist das Wasser wieder abgelaufen, findet sich entlang des Deiches allerlei Strandgut. Das war schon immer so und schon immer gab es großes Interesse der Küstenbewohner, brauchbares Strandgut in ihren Besitz zu bringen, bevor die Obrigkeit in Gestalt eines Strandvogtes oder Deichgrafen ein öffentliches Interesse am Strandgut verkündet.
Spektakulär sind Wracks mit zum Teil noch brauchbarer Ladung oder die Überreste des Schiffes selbst. Immer wieder sind es Decksladungen, heute zum Teil ganze Container, und jede Menge Treibholz, das sich als Bau- oder Brennholz verwerten lässt.
Für große Aufregung sorgten einst einige ägyptische Mumien, die nach einer Schiffsstrandung in der Elbmündung am Baljer Elbdeich antrieben. Wie enttäuscht mögen die Strandräuber gewesen sein, als sie feststellten, dass die Mumien keine Schätze bargen.
Ebenfalls für Aufregung sorgte gegen Ende des letzten Jahrhunderts ein völlig anderes Strandgut: Ein hellgrünes Plastik Klo, ein sogenanntes Dixi Klo.

Ortswechsel:
Große Pause in der Freiburger Schule. Unser Schulleiter schiebt mir und meinem Kollegen Klaus-Dieter einen Zettel zu. „Klaus-Dieter/Jörg, Klo Haus in Hörne angetrieben, Rückfragen an 0475392..Ida“.
Ida war unsere Schulsekretärin.
„Was wollt ihr denn mit einem Klo Haus?“ fragte uns unser Schulleiter mit sichtbar irritiertem Blick. Er war ja schon einiges mit uns gewöhnt. Aber nun? Ein Klo Haus?
Ja, was sollen wir denn damit? Wir haben die Telefonnummer angerufen. An der anderen Seite eine etwas ältere Frauenstimme.
„Ja, er is scha nu nich mehr da; aber er hat gesacht an´n Deich liecht ´n Klo. So eins, wie ihr da in´n Middelalterdorf habt. Und da hat er gesacht, tu mal inne Schule anrufen. Die müssen ja auch maa nach Tante Meyer in´n Middelalter Dorf.“
„Und, hat er auch gesagt, wo es liegt?“
„Nee, irgendwo in Hörne.“
„Danke für den Anruf, Tschüß.“

Ja, unser guter Informant hat bestimmt schon den Transporter von Mirkens und Glaser gesehen, der im Sommer regelmäßig das Mittelalterdorf in Hörne ansteuert um die Dixi-Toiletten auszutauschen. Hier, wo im Sommer Schulkinder tageweise in unserem schuleigenen Mittelalterdorf Geschichte spielerisch erfahren, haben wir zwei Miettoiletten für teures Geld im Einsatz.
Ein Klo für das Mittelalterdorf, das macht Sinn! Da hat doch echt jemand („er!“) in Hörne mitgedacht.
Noch am selben Nachmittag sind Klaus-Dieter und ich nach Hörne am Deich entlang auf verbotenen Wegen. An jeder zweiten Deichüberfahrt kurz auf die Deichkuppe und einen Blick nach rechts und links. Ein Dixi Klo ist eigentlich doch unübersehbar. Und richtig, kurz vor dem historischen Baljer Leuchtturm, hatten wir es entdeckt.
Raus aus dem Auto. Der Orkan war vorüber; aber es wehte immer noch ein starker, unangehm kalter Wind.
„Die Farbe passt nicht zu dem anderen“, meinte ich.
„Na und?“
Wo er Recht hat, hat er Recht. Die Inspektion ergab, dass das Klo fast unbeschädigt war. Ein bisschen Chemie in den Tank, Rolle Klopapier und fertig ist das „Eigenklo“.
„Guck mal, hier klebt ein Schild drin von einer Hamburger Baufirma“, meint Klaus-Dieter und war schon dabei, die Folie abzuziehen.
Irgendwo hatte ich gelesen, dass man seinen Anspruch auf Strandgut geltend macht, indem man einen Pflock einschlägt und das gefundene Teil daran mit einem Band fest bindet. Das versuchte ich meinem Freund zu erklären seinen befremdlichen Blick bemerkend, als ich nach kurzer Suche im Treibselstreifen mit einer dünnen Leiste zurückkehrte.
Ich drückte die Leiste in den weichen Deich und verband „unser“ Dixi Klo mit einem Stückchen Nylonband aus einem angeschwemmten Fischernetz mit der Leiste.
„So“, meinte ich, „jetzt sind wir auf der sicheren Seite!“
Er lachte und auch ich musste lachen bei dem Gedanken, dass uns jemand bei der Sicherung unseres Klos beobachtet.
„Und nun?“
„Nun“, meinte ich, „nun fahren wir nach Freiburg, holen einen Anhänger und bringen das Klo ins Mittelalterdorf. Vorher fahren wir aber noch bei Klaus Schmoldt vorbei, dem Deichgrafen.“
Der Hof des Deichgrafen lag direkt an der Straße nach Freiburg im Krummendeicher Ortsteil Wechtern. Ich kannte ihn gut, wir haben viele Jahre  im Deichverband zusammengearbeitet.
Klaus-Dieter: „Muss das sein?“
„Sicher ist sicher“, war meine Antwort, „könnte ja sonst passieren, dass man uns vorwirft, wir hätten uns am Eigentum des Landes Niedersachsen vergriffen.“
Aus dieser Äußerung war schon reichlich Zweifel an der aktuellen Rechtmäßigkeit meiner Pflockaktion am Elbdeich heraus zu hören.
Es war schon dunkel als wir auf den Hof vor dem Altenteil unseres Deichgrafen fuhren. Klaus-Dieter kannte ihn noch nicht und ich nutzte noch schnell die Gelegenheit, ihn auf eine gewisse Verschrobenheit des Alten einzustimmen.
Klingel gefunden, es klingelt auch draußen laut vernehmbar und schon kurze Zeit später Schritte zur Tür und die Außenbeleuchtung geht an. Ein Schlüssel dreht im Schloss und die Tür öffnet sich einen Spalt. Frau Schmoldt begrüßt uns mit einem „Ja?“
Ich begrüße sie und bringe mich als den Lehrer ihrer Enkelkinder Klaus und Anne in Erinnerung, stelle meinen Kollegen, Herrn Melahn, vor. Die Tür öffnet sich eine Nuance weiter. Die erste Unsicherheit ist verflogen ein gewisses Misstrauen bleibt, bis wir unsere Geschichte von dem Dixi Klo am Deich erzählt hatten.
„Und nun wollen wir gerne mit ihrem Mann besprechen, ob wir das Klo haben dürfen“, erklärte ich ihr.
„Mein Mann , der arbeitet gerade, aber ich kann ihn ja mal Fragen“, sagte sie, drehte den Kopf in den Flur und rief: „Klaus hier sind zwei Lehrer aus Freiburg. Die wollen was von dir wegen ein..Klo am Deich, können die rein?“
„Was?“ schallt es aus den Tiefen des Hauses. Unser Deichgraf konnte nicht mehr so gut hören oder er war einfach zu weit weg.
„Komm doch selbst mal her, und sie kommen erstmal rein.“
Na endlich!
Nun standen wir im Flur und hörten, wie Frau Schmoldt ihrem Mann eine Geschichte von zwei Männern aus Freiburg, von einer Schule, „du weißt doch, Anne und Klaus Lehrer“, von einem Dixi Klo, das die haben wollen, erzählt.
Ihn näher kommend hörten wir ihn sagen: „Und was hab´ ich denn damit zu tun?“
Sein Interesse am Besuch war entfacht, es war an der Zeit, dass der Deichgraf sich persönlich ein Bild von der Lage macht.
„Ach Sie sind das, Herr Peters, kommen sie doch rein.“ Die Unterschlagung der letzten beiden Buchstaben meines Namens wundert mich schon lange nicht mehr. Scheint eine regionaltypische Eigenart der Menschen hier zu sein. Habe ich bei anderer Gelegenheit auch schon erlebt.
Wir folgen ihm in sein Arbeitszimmer.
Kaum dass wir alle sitzen, steht er auf und redet auf uns ein immer lauter werdend und sein Kopf wird immer roter.
„Das macht mich sowas von wütend, so verrückt, die spinnen doch alle!“
Klaus-Dieter und ich sehen uns etwas ratlos an; aber schon bald gibt es Entwarnung. Er meinte nicht uns und unsere Dixi Klo Geschichte. Er steckte gedanklich noch in dem Problem, das er gerade beackerte. Klaus Schmoldt arbeitete an einem Leserbrief für das Stader Tageblatt. Grund für seine Erregung war der Umstand, dass der Wachtelkönig, bislang nur als Autobahnbremse im Bullenbruch bei Buxtehude im Kreisgebiet wahrgenommen wurde nun plötzlich auch in Nordkehdingen im Außendeich vermutet wurde. Als aufmerksamer Zeitungsleser und Kommunalpolitiker war mir natürlich sofort klar, dass mit dem Nachweis der Existenz eines Wachtelkönigs im Außendeich dort sämtliche Veränderungen bis zum St. Nimmerleinstag  unmöglich sind.
„Keiner hat ihn gesehen, kräch, kräch soll er gemacht haben. Hier! Bei uns im Außendeich! Das ist ja lächerlich, kann ja nicht ´mal richtig fliegen und dann aus Afrika! Ein weiteres verächtliches „Kräch, Kräch“ ausstoßend wirft er die Arme hoch und wendet sich uns zu.
Jetzt oder nie denke ich.
„Wir brauchen Sie als unseren Deichgrafen.“
In Gedanken noch beim Wachtelkönig, dem größten „Untier“ des Universums, scheint er seinen Besuch zu registrieren.
Wir erzählen ihm von unserem Fund am Deich und, dass wir das Klo so gut für unser Mittelalterdorf gebrauchen können. Langsam bekommt, was ihm seine Frau in Kürze mitteilen wollte, einen Sinn.
„Tscha“, spricht er nach der ganzen Geschichte mehr zu sich selbst, als zu uns, „tscha, eigentlich gehört es ja dem Land Niedersachsen, wenn das sonst niemandem gehört. Steht da denn was drauf, ein Schild oder so was?“
„Ja“, schaltet sich Klaus-Dieter ein, „ein Aufkleber ist da dran.“
„Müsst ihr abmachen, dann gehört es niemanden mehr. Und was soll das Land Niedersachsen mit´m Dixi Klo, die haben ja alle Toiletten zu Hause.“
Was immer er meinte mit denen allen, die ja Toiletten zu Hause haben. Die Landtagsabgeordneten, den Ministerpräsidenten oder all die anderen Niedersachsen?
Ist ja auch egal! Seit diesem Abend ist die Schule stolze Besitzerin eines Dixi Klos.
Nicht so spektakulär, wie die einst angeschwemmten Mumien, dafür aber viel brauchbarer.

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