Montag, 24. März 2014

Graue Panther und goldener Bernstein



Graue Panther und goldener Bernstein

Kurische Nehrung, Sommer 2006

Beobachtet, erlebt und erfunden 



 Nida/Nidden Kurische Nehrung
Pantherreisen, Neustadt, Fax, Fon und E-Mail stehen auch noch auf dem Bus, das Kennzeichen ist litauisch!
Das sieht man häufig heutzutage in diesem Lande,  abgelegte Personenwagen, Stadtbusse, Lastkraftwagen, Lieferfahrzeuge und eben diese Busse aus Deutschland.  Reisebusse, deren deutsche Firmenaufschrift verrät, dass sie einst Kaffeefahrten in die Lüneburger Heide oder Bildungsreisen über die Alpen machten. Ja, diese bunten Riesen der veralteten Busgeneration haben die uniformen Busse sowjetischer Bauart abgelöst und verkünden den auch sonst überall spürbaren Wunsch dieses kleinen Ostseestaates, den Anschluss an den Westen Europas zu finden.

Pantherreisen! Est nomen omen?
Was hat der Bus soeben vor dem Bernsteinmuseum in Nidden ausgespuckt?
Es könnte ein Gruppenausflug der „Grauen Panther“ sein. Sie sprechen deutsch, wie einst vor ihnen die Kaffeefahrer. Die meisten haben das Rentenalter seit langem erreicht, einige wenige, die „Jungen“, stehen unmittelbar vor der Rente. Aber auch sie unterscheiden sich  kaum von den Alten – nicht einmal in der Haarfarbe.
Schon reichlich hochgegriffen  kommt ein Mann auf drei Frauen!

Warum nur haben wir die radelnde Reisegruppe aus Deutschland abwarten müssen, um uns ungestört im Museum umsehen zu können?

Nichts war mehr umkehrbar. Gleich einem Holzstückchen in der reißenden Strömung wurden wir von ca. 50 „Panthern“ in die drei kleinen Räume des Museums hineingeschwemmt.
„In zwanzig Minuten treffen wir uns am Bus!“
Das war die Stimme der jungen Reiseleiterin in fast akzentfreiem Deutsch.
„Gertraud, wo ist hier das Klo, haste mal Papier, man weiß ja nie?“
Ein Bündel Papier wechselt von einem Handtaschenungetüm ins nächste.
Mit Bernstein war nun nichts mehr, weil Annemarie – so hieß die Frau mit dem laut geäußerten Bedürfnis – so lange am Klo anstehen musste.
Nicht so schlimm, es war ja auch so schon eng genug, war doch die Grundfläche des Museums nur unwesentlich größer als die des Busses! Und, nicht zu vergessen, wir beiden Individualreisenden ( Ulla und ich ) waren ja auch noch im Museum, wenn auch durch verschiedene Ströme in unterschiedliche Räume gespült.

Drei junge Mädchen kümmern sich um die „Grauen“. In gutem Deutsch berichten sie über Bernsteinverarbeitung und die ergiebigsten Funde im Baltikum. Kaum einer hört zu, das Gerangel um eine Kopfbreite vor den Schmuckvitrinen ist bereits in vollem Gange. Der Vortrag ist zuende - oder wurde er abgebrochen?
Der Verkauf setzt ein, vorübergehend ergaben sich kleine Lücken vor den Vitrinen, ich kann einen Elefanten aus goldgelbem Bernstein erkennen.

Es riecht nach Mottenkugeln!

Ein Schritt zur nächsten Vitrine, vielleicht kann ich hier besser sehen!
Auch hier riecht es nach Mottenkugeln.
Ist es der mit dem vom Kameragurt verzogenen Jackett oder ist es eine der beiden Frauen, die mich gerade in die zweite Reihe gedrängt haben?

Da! Ein Platz am nächsten Schaukasten wird frei und noch nichts bisher gesehen.
Ich muss in die Lücke bevor die zwei stämmigen Frauen, die mich eben schon abdrängten, mir zuvor kommen.

Das schiefe Jackett drückt sich an meine andere Seite. Als ich gerade den in Silber gefassten Bernstein, vielleicht ein Geburtstagsgeschenk für Ulla, in Augenschein nehme, werde ich sanft von einer prallen Handtasche beiseite geschoben.

Es war eine der beiden!

Der Mottengeruch ist wieder da!

 Die Graue mit der Handtasche oder die verrutschte Jacke?
Die rosa Bluse kann es nicht sein, sie steht immer noch an der vorherigen Vitrine, sie scheidet aus!

Mein Gott – dieser Geruch!

Ich sehe mich nach einem ungestörten Platz um,  ein Moment nur der Unachtsamkeit, die rosa Bluse ist nachgerückt. Ihr Platz wiederum wurde von dem schwerhörigen Ehepaar eingenommen, das immer wieder nach der Busabfahrtzeit fragte und vor lauter Sorge, die Abfahrt zu verpassen, nichts vom Bernstein sah.
„Sieh mal Hanna,“ sagt die rosa Bluse zur Handtasche, „genau so, wie der Schmuck, der meiner Mutter auf der Flucht geklaut wurde.“
Die Tasche: „Kann das nicht sein!“
„Nee, glaub´ich auch nicht!“ ( die Bluse )
Eigentlich will ich weg, aber die Tasche und die Bluse bücken sich zum Schmuck und ich bin in der Ecke gefangen von zwei mächtigen  Hinterteilen.
Die beiden Frauen wechseln zum Verkauf, ich höre die Stimme der Bluse.
„Verkaufen Sie auch gebrauchte Stücke?“
„Nein das tu-en wir nicht machen, alles nur neue Handwerkskunst aus Litau-en“, antwortet die junge litauische Verkäuferin und man glaubt ihrem Gesicht ansehen zu können, dass sie immer noch rätselte, ob sie die rosa Bluse richtig verstanden hat.

Eine Vierergruppe schiebt auf mich zu.
„Wenn du jetzt hier nicht raus kommst“, schießt es mir durch den Kopf, „bleibst du in der Ecke, bis der Bus abfährt.“
Ich also raus, zur Tür in den Garten.
Das ist ja nett! Der Zufall hat mich an eine in das Erdreich eingelassene Vitrine geführt, in der Kopien des jungsteinzeitlichen Bernsteinschmuckes von Juodkrante (Schwarzort) ausgestellt waren. Ich hatte davon in einem der Reiseführer gelesen.
„Sind nur Kopien.“
Ich hatte niemanden über das Gras kommen hören.
Die „Motte“!
Ich drehte mich zur Stimme und richtig, der Graue mit dem verrutschten Jackett und der Kamera.
Mein Gott, es muss doch noch etwas anderes gegen diese Viecher  geben!
Ich wollte Abstand, drehte mich um, meine Augen suchten nach Ulla, die ich schon länger nicht mehr gesehen hatte.
Ein Schritt und wie die Schlinge eines Lassos holte mich der „Mottengeruch“ zurück.
Warum musste er nur so nah kommen?
Mit einer Verschwörerstimme, als wollte er mir die unmittelbar bevorstehende Wiedereingliederung des Memellandes in die Bundesrepublik Deutschland mitteilen, erzählte er mir, dass er Studienrat für Latein und Geschichte gewesen und eigentlich nur wegen dieser Exponate ins Museum gekommen sei.
Ich mache einen Schritt zurück, der Graue setzt nach, packt mich am Arm.
„Vorsicht, die Blumen.“
  „Danke!“
Dabei meinte ich ganz bestimmt nicht den Mottengeruch, der sich mit seiner Nähe wieder unangenehm bemerkbar machte.
„Wir müssen!“
Das war die rettende Stimme der Reiseleitung, zwanzig Minuten, mehr ließ der Zeitplan nicht zu.
„Na denn, noch eine gute Reise!“
Mit einer letzten Kostprobe seines Geruches von Mottenkugeln wandte sich der Graue mit dem verrutschten Jackett seiner Gruppe zu.

Ich folgte ihm in sicherem Abstand ins Museum, es war fast leer! Ja, es war fast schon ein wenig langweilig so ganz allein vor den ganzen Bernsteinen. Dann aber wurde es auf einen Schlag wieder spannend. Eine Stimme im vertrauten Litauerdeutsch.
„In drrreißig Minuten am grrroßen Platz, Mittagspause!“
Ich sah aus dem Fenster.
Fröhlich – Reisen stand auf dem Bus, irgendwo aus Friesland, und , wie sollte es anders sein, er hatte ein Kennzeichen von Litauen.

P.S.:
Eigentlich will ich euch noch mehr Geschichten schreiben, vom Thomas Mann Haus in Nida.
Oder von der „Studiosusgruppe“ beim Frühstücksbuffet im Hotel.
Eigentlich.
Ich lass es, die Geschichten würden sich zu sehr ähneln!

Sonntag, 23. März 2014

Inge Deutschkron






Freiburg an der Elbe
08. Januar 2014


Jörg Petersen
Eschenhof 11
21729 Freiburg/Elbe


Liebe Frau Deutschkron,
am Montag habe ich die ARD Dokumentation „Ein blinder Held- die Liebe des Otto Weidt“ gesehen.  Eigentlich war ich schon viel zu müde zum Schauen. Bereits nach wenigen Szenen des Filmes war dann jegliche Müdigkeit verflogen.

Der Film hat mich völlig unabhängig davon, wie gut die von Ihnen miterlebte Geschichte filmisch umgesetzt worden ist, sehr berührt. Das menschenverachtende Verhalten meiner Vorfahren hat mich wieder einmal bis zu ohnmächtiger und beklemmender Atemnot gebracht.
Ich bin 1950 geboren. Wut, Trauer und Scham waren meine Empfindungen während der Filmbetrachtung. Ein Hoffnungsschimmer auch für zukünftige Zeiten: Selbst in den finstersten Zeiten unserer jüngsten Geschichte hat es Menschen, wie Otto Weidt, gegeben, die keine Scheu hatten, sich ohne Rücksicht auf mögliche Konsequenzen für das eigene Leben, die eigene Sicherheit  gegen das menschenverachtende Regime zu stellen. Otto Weidt hat in seinem Bemühen, Menschen vor dem absehbaren Tod durch das Mördersystem zu bewahren, ein musterhaftes Beispiel für Zivilcourage gegeben.

Als Lehrer, und die letzten 12 Berufsjahre als verantwortlicher Schulleiter, einer Schule bis zum 10. Jahrgang war es mir immer ein zentrales Anliegen, Kinder zu Demokratie, Gewaltfreiheit und Toleranz zu erziehen. Besonders  im Geschichtsunterricht habe ich immer wieder versucht eine Betroffenheit zu erzeugen über den Umweg von Einzelschicksalen, in die sich die jungen Menschen leichter hinein denken können, als in eine historische Abhandlung in den Lehrbüchern.
Diese Dokumentation hätte ich gerne zur Hilfe gehabt. Ich kann mir vorstellen, dass es durch die Betrachtung und Nachbereitung dieses Filmes bestimmt gut gelingt, Jugendlichen einen leichteren Zugang zu den unfassbaren Realitäten zu ermöglichen.

Mich hat der Film dazu gebracht, Ihren Namen bei Google einzugeben. Bei der Recherche stoße ich auf die  Inge Deutschkron Stiftung und lese mich fest. Ich werde der Stiftung gleich einen kleinen Betrag überweisen. Leider nur klein, weil ich zurzeit sehr in der Erhaltung eines örtlichen Baudenkmals engagiert bin. Später wird es vielleicht einmal mehr.

Vor zwei Stunden telefoniere ich mit meiner wunderbaren Tochter, die in Berlin an einer Schule unterrichtet. Ich erzähle ihr von dem Film, den sie nicht kannte, und sagte im Nebensatz, dass ich Ihnen am liebsten einen Brief schreiben würde.
 Darauf sagte sie: „Mach´ es doch!“

Ich möchte Ihnen meine Anerkennung aussprechen, für Ihren unermüdlichen Einsatz  gegen Gewalt und Intoleranz, Ihren Beitrag zur Aufarbeitung unserer Geschichte.  Ich bin voller Anerkennung für Ihren Mut, in das Land zurückzukehren, dem Sie außer einer vielleicht glücklichen Kindheit nichts Gutes zu verdanken haben. Ich möchte Ihnen für das große Vertrauen in die Nachfahren Ihrer Peiniger danken. Reichte es doch so weit, wieder in dieses Land zu gehen, um hier zu leben und aktiv an der Gestaltung einer Gesellschaft mitzuwirken, in der die  Menschenrechte nicht nur in der Verfassung festgeschrieben sind, sondern in der sie auch im ganzen Umfang gelebt und umgesetzt werden.

Liebe Frau Deutschkron, ich hoffe, dass der Brief auf diesem Wege zu Ihnen gelangt.  Ihnen wünsche ich noch Kraft für alle Aufgaben, die sich noch vorgenommen haben. Und nun benutze ich eine Wortwahl, die sonst keine Verwendung bei mir findet. Hier passt es eben!!

Hochachtungsvoll
 Jörg Petersen



 


Das Filmhaus








Wo sich wegen der Wiesenbrüter keine Windmühle dreht, wo der Wachtelkönig unsichtbar sein Regiment gegen jegliche Veränderung führt und der Landwirt sich nur flüsternd mit seinem Vieh unterhalten darf,  ja, da  geschieht  plötzlich etwas Unfassbares:
Ein Einfamilienhaus entsteht im Naturparadies zwischen den Deichen. Aber das ist noch nicht alles. Traut sich der staunende Kehdinger näher an das Bauwerk heran, stellt er fest, dass das schmucke Holzhaus mit seiner Veranda weit in den Kreuzungsbereich von Sommerdeichstrasse und Deichzufahrt Hünkenbüttel ragt.
Ja, ist denn die gesamte Baugenehmigungsbehörde im Urlaub?
Mehrere Bauhandwerker zimmern mit einer Selbstverständlichkeit am Bau, als habe schon alles seine Richtigkeit.
Und? Es hat seine Richtigkeit! 


In den Weiten des ehemaligen Außendeichgebietes von Krummendeich  hat die COIN Film GmbH aus Köln den idealen Drehort für einen Kinofilm gefunden. COIN produziert den Film gemeinsam mit zwei  Produktionsfirmen aus Amsterdam und Brüssel. Der Drehort sollte schon in Niedersachsen liegen, weil für diesen Film neben Mitteln aus Schleswig-Holstein und Hamburg nicht geringe  Mittel aus der niedersächsischen Filmförderung fließen. Jörg Lassak, der für die COIN Film GmbH die Arbeiten am Drehort koordiniert, bringt Licht ins Dunkel: „Wir haben ein Haus in einer 90° Kurve gesucht.“ Die Kurve im Krummendeicher Außendeich ist ideal. Weil dort aber kein Haus steht, muss es gebaut werden.  Der  Film spielt in der Gegenwart und  handelt von einer Familie,  die darauf wartet, dass, wie schon mehrfach zuvor, wieder einmal ein Auto in ihr Haus rast. Lassak: “Eigentlich bräuchten wir auch noch eine Brücke in Sichtweite des Hauses. Die haben wir hier leider nicht.  Deshalb drehen wir die Brückenszenen an einer Brücke in Grauer Ort.“
Am 13. August soll die Kulisse stehen und  wenn alles nach Plan läuft, wird 24 Tage gedreht. Die Fimlkarawane zieht  dann weiter, die Kulisse wird zerlegt und der Wachtelkönig wird seiner Wachtelkönigin ins Ohr flüstern: „Sieh nur, diesmal sind sie wieder verschwunden, ohne dass wir uns auch nur einmal in den Medien aufplustern  mussten.“