Donnerstag, 13. Februar 2014

Ich bin gegen Umwelt



Zwei Geschichten, die im ersten Moment nicht zusammen passen wollen

Das hätte ganz schön schief gehen können!
Ich war Chef der SPD Samtgemeinderatsfraktion. Zusammen mit Heiner von Ahn und Jan Seebeck von der Freien Wählergemeinschaft haben wir eine Koalition gebildet und konnten so mit knapper Mehrheit den Bürgermeister stellen. Zur Beratung im Rat stand ein Umweltproblem an, zu dem die Opposition eine ganz andere Meinung hatte, als wir. Es kam also auf jede Stimme an. Wir machten eine gemeinsame Fraktionssitzung mit Heiner und Jan. Sehr lange wurde über unseren Antrag diskutiert bis er endlich ausformuliert war und in eine Probeabstimmung ging. Nicht alle schienen das Verfahren auf Anhieb verstanden zu haben. Zwei Probeabstimmungen waren nötig und dann stimmte das Ergebnis so, wie ich es mir gewünscht hatte.
Wir verabschiedeten uns bis zur Ratssitzung mit der Versicherung, dass wir selbstverständlich alle für unseren Antrag stimmen würden.
Am Tag der Ratssitzung lief alles nach Plan. Wir waren vollzählig, niemand von uns war krank. Ich trug die Argumente für unseren Antrag vor und wurde durch einem Beitrag der WG unterstützt. Der Friedeberger Bürgermeister hielt ein flammendes Plädoyer gegen unseren Antrag als ginge es um das weitere Bestehen der Menschheit auf Erden.
Der Ratsvorsitzende rief zur Abstimmung auf. Siegessicher ließ ich meinen Blick über die Fraktion schweifen.
Was ist denn das, Gottfrieds Arm bleibt unten. Ich versuche es mit Zeichensprache. Vergebens, er scheint mich nicht wahrzunehmen. Dann die Gegenprobe. Alle Arme der Opposition gehen nach oben und mit ihnen auch der von Gottfried.
 Der erste Schreck war weg, als das Wahlergebnis verkündet wurde. Bei der Opposition fehlte ein Ratsherr. Gott sei Dank!
Sitzungspause vor dem nichtöffentlichen Teil. Ich begebe mich sofort zu meinem abtrünnigen Kollegen.
„Gottfried, wie konnte das denn passieren, wir hatten doch alles genau besprochen. Warum hast du mit denen gestimmt?“
Gottfried guckt mich mit unschuldigem Blick an und meint ganz ruhig:
„Ich bin gegen Umwelt!“
Ja, so ist das nun einmal in der Demokratie. Jeder ist nur sich selbst gegenüber verantwortlich. Und, wenn die ganze Fraktion „für Umwelt“ ist hat ein Ratsherr immer noch das Recht „gegen Umwelt“ zu sein.

Ich bin ja „für Umwelt“, und das nicht nur in dieser einen Abstimmung! Ich bin immer für Umwelt – na ja, fast immer für Umwelt.
Was ich zum Beispiel gar nicht gut leiden kann ist, wenn jemand seinen Müll unter sich fallen lässt oder ihn in der Natur entsorgt. Das kann mich richtig wütend machen.
So war es zum Beispiel als Kalli B. einen Tag und eine Nacht und einen Tag über Pfingsten am Fischteich saß und angelte. Nicht nur, dass er fast unter meinem Schlafzimmer Fenster saß. Ständig, Tag und Nacht bekam er Besuch von seinen „Kumpels“, die nur mal eben mit dem Auto oder Moped angerauscht kamen, um zu hören, ob Kalli schon einen Biss gehabt hätte. Einige Besucher haben laut das Autoradio weiter laufen lassen.
Ich verstehe nicht viel vom Angeln. Vielleicht beißen sie ja mit Musik besser, die Fische. Mir hat es jedenfalls nicht gut getan.
Ich kannte Kalli noch gut aus der Schule. Es gab niemanden an der ganzen Schule, der so verrückte Erklärungen für nicht angefertigte Hausaufgaben vorbrachte, wie er. „Mein Hund ist damit abgehaun!“ war noch eine der harmlosen.  Kalli rauchte in der Schule, störte den Unterricht und nun ist er schon einige Jahre aus der Schule und er  nervt hier immer noch, nur wenige Meter von meinem Haus.
Ich gehe zu ihm und versuche ihm mein Unbehagen zu erklären. Kalli nickt verständig. Er sitzt in der Mittagssonne mit nacktem Oberkörper in der Sonne, Zigarette im Mundwinkel nimmt den letzten Schluck aus seiner Halbliter Holsten Dose, die er anschließend auf den Leergut Hümpel neben sich entsorgt.
„Weiß auch nicht, warum die heut nicht beißen!“
Damit war für Kalli der Fall erledigt. Nicht für mich. An der Situation am Teichufer änderte sich wenig bis Kalli am nächsten Morgen in der Frühe beschloss, die nächsten Stunden in seinem Bett zu verbringen.
Alles klar?
Nichts war klar, als ich mit dem Hund an Kallis Angelplatz vorbeikam, lagen all seine geleerten Holstendosen im Gras. Also das, genau das, kann mich so richtig wütend machen!
Ich hatte eine Idee und begann sie sofort in die Tat umzusetzen.
Ich packte alle Dosen und noch einen leeren Magarinepott in einen Karton, brachte ihn zur Post und schickte ihn per Nachnahme an Kalli. Als Nachnahme hatte ich die Höhe des Portos eingetragen. Doris am Schalter schüttelte den Kopf.
„Kannst du doch auch so vorbei bringen!“  murmelte sie während sie die Papiere für die Nachnahme ausfüllte.
„Nee, hat alles schon seinen Sinn.“
„Ja, wenn´s  denn so ist.“
Ich verließ die Post von Zweifeln geplagt. Was ist, wenn er die Nachnahme nicht annimmt? Dann habe ich mich über seinen Krach, die Dosen und dann, zu guter Letzt, auch noch über das überflüssig ausgegebene Porto aufgeregt. Zurückholen? Nein, ich kann mich jetzt nicht vor Doris zum Deppen machen.
Ich bekam das Paket nicht zurück und blieb auch nicht auf dem Porto sitzen.
 Die Unruhe blieb. Sie blieb über viele Jahre, besonders, wenn ich an Kallis Haus vorbei kam oder wenn ich ihn irgendwo einmal sah.
Dann passierte, was irgendeinmal passieren musste. Ich komme in den Friedeberger Hof und da sitzt Kalli am Tresen.
„Na, Schulmeister, trinkst du´n Bier mit mir?“
„Muss eigentlich gleich weiter.“
„Na los, Karin, noch mal zwei Schnelle.“
„Na gut.“
Ich setze mich auf den Hocker neben ihm, Helmuts Hund kommt gucken, wer da neu in die Gaststube gekommen ist.
Das Bier steht vor uns.
„Na, denn“, sagt Kalli, „hau wech den Kram!“
„Prost, und danke noch mal“, sage ich und nehme einen tiefen Schluck.
Kalli wischt sich mit seinen grauschwarzen Mechanikerhänden den Schaum vom Mund, sieht mich an und sagt:
„Das warst du damals?“
Ich wusste genau, was er meinte und er wusste genau, dass ich es war. Stand ja schließlich auf der Nachnahme.
„Was?“
„Na mit die Dosen, die meine Mudder angenommen hat.“
Abstreiten war zwecklos. Zugeben und fluchtbereit halten! Kalli war groß, stark und neigte zu Problemlösungen, die mir fremd und unangenehm sind - bis zum heutigen Tag.
„Ja“, sag ich in äußerster Anspannung.
Aber Kalli hat sich anscheinend seit damals weiter entwickelt. Nach einem weiteren Schluck fragt Kalli:
„Und warum?“
Ich weiß nicht, warum mir gerade da Gottfried in den Sinn kam.
„Weil, weil ich für Umwelt bin.“
„Ach so“, sagt Kalli. „Machst du uns noch mal zwei Schnelle, Karin, er muss ja gleich los.“
„Die gehen aber auf mich, Karin.“
Das hätte nämlich auch ganz schön schief gehen können, ich kenn doch Kalli.

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