In meinem EDEKA ist überall zu lesen: „Wir lieben Lebensmittel“ Das tu
ich zwar auch aber noch lieber habe ich das Einkaufen an sich.
Also durch die Reihen gehen, gucken, was es gibt, Ideen für Mahlzeiten
bekommen und ganz besonders natürlich Leute treffen und eben ein „bisschen“
klönen. Da gibt es schon einige Hausfrauen, die wissen, dass ich nicht nur
einkaufe, sondern auch koche. Helga wirft einen Blick in meinen Wagen.
„Na, was soll´s bei dir geben?“
„Porreegemüse in Schinken mit Käsesoße.“
„Auch mal ´ne Idee. Na denn, man sieht sich!“
Christa kommt um die Ecke. Sie hat gerade noch mitbekommen, was es bei
uns zu Mittag geben soll.
„Und, streichst du den Schinken auch immer etwas mit Senf ein?“
„Moin Christa, na klar, sonst fehlt ´was. Was macht Jürgen, wie geht’s
ihm?“
„Der sitzt draußen im Auto. Kannst ja gleich noch mal zu ihm gehen.“
Das habe ich dann auch sofort erledigt. Mein Einkaufswagen wartet
derweil zwischen Zwieback und Keksen. Da stört
er nicht so, weil es kein Hauptdurchgang ist.
Ich komme zurück, mein Wagen steht plötzlich am Ende des Ganges.
Bettina, Azubi im dritten Lehrjahr räumt Ware nach.
„Moin Herr Petersen, hab´ mich schon gefragt, wem dieser Wagen gehört.
Auch mal wieder einkaufen?“
„Musste eben noch mit jemandem schnacken.“
„Mögen Sie wohl immer noch gern. Und sonst?“
„Danke, selber?“
„Ooch, muschja.“
Das Wetter habe ich ausgelassen. Man muss sich ja auch noch etwas Stoff
für das nächste Treffen aufheben.
Aus dem kleinen Büro kommt Hein Mück. Er hatte meine Stimme schon
gehört und wollte nach mehrwöchiger kreuzfahrtbedingter Abwesenheit schnell mal
kundtun, dass er über alle wesentlichen Ereignisse in der Gemeinde bereits
informiert ist.
„Herzlichen Glückwunsch zu deinem Preis. Habe ich auf Tageblatt Online
gelesen. Euch geht´s gut? Thorsten und Karin kommen nicht zu dem Vortrag. Hör
mal, ich muss weiter, Rosi wartet. Wir wollen gleich nach Stade.“
„Habt ihr es denn schön gehabt auf eurer Reise?“
Im Weggehen:
„Ja, alles super. Mittwoch ist kegeln. Dann erzähl´ ich mehr.“
Schon ist er wieder verschwunden.
Ich will links abbiegen zum Käsestand und stoße beinahe mit Anja
zusammen. Sie ist immer gut drauf und geht nie weiter, ohne einen netten Gruß.
Auch sie liebt Lebensmittel, steht zumindest auf ihrem Kittel. Ingrid vom
Käsestand packt in der Kühltruhe nach. Schnell noch einen kleinen Umweg bei ihr
vorbei und ein paar Sätze „op Platt“.
Meist gelingt es uns schon nach den ersten zwei Sätzen herzlich zu
lachen. Allein schon für dieses Lachen lohnt sich mein Einkauf. Dass sie nicht
mehr immer hinter der Käsetheke steht, ist nicht so schlimm. Ihre Freundin
Ruth, für mich Frau Wörmcke, ist inzwischen sehr gut eingearbeitet. Sie
beherrscht ihr Fach 1a! Dennoch, die kleinen Feinheiten hat sie noch nicht
drauf. Ich muss zum Beispiel noch immer „im Stück“ sagen, wenn ich meinen
Käsewunsch geäußert habe. Ingrid weiß eben, dass ich immer „im Stück“ und nie
„in Scheiben“ kaufe. Sie sagt auch, wenn Ulla mal bei ihr einkaufen kommt:
„Den nehmen Sie mal nicht, das ist nix für Ihren Mann, der nimmt lieber
den. Hat mehr Geschmack.“ Neulich hat sie Ruth, also Frau Wörmcke, in einem
Satz klar gemacht, dass man mehr als ein paar Jahre braucht, um ganz oben in
der Käseliga mitspielen zu können. Ich stehe vor der Käsetheke.
„Was darf´s denn sein“? fragt
Frau Wörmcke.
„Appenzeller.“ Schnell komme ich ihrer Frage zuvor. „Im Stück.“
„Gold oder Silber?“
Ich spüre eine Hand Auf meiner Schulter und höre im nächsten Moment
Ingrids leicht vorwurfsvolle, leicht belehrende Stimme:
„Ruth, Herr Petersen immer Gold, seine Schwester Silber!“
„Ach so.“
Vielleicht noch zum besseren Verständnis. Es gibt den Appenzeller in
Goldfolie, sehr herzhaft, und den etwas weniger kräftigen in der Silberfolie.
Allein das ist schon ein Grund, nicht wegzuziehen. An keinem anderen
Ort würde meine zu erwartende Lebensrestzeit ausreichen, um noch einmal eine
derartige Vertrautheit zwischen mir und meiner Käsefachverkäuferin entstehen zu
lassen.
Renate fragt mich in der Fleischabteilung, was es sein darf.
„Schnitzel, aber ganz fein geschnitten.“
Petra hört das, schiebt Renate beiseite.
„Lass mich mal, ich weiß, wie Herr Petersen seine Schnitzel haben
will.“
Ja, sie weiß es und macht es großartig. Mit scharfem Messer schneidet
sie gekonnt aus der Oberschale Schnitzelscheiben nicht dicker als einen
Zentimeter. Das können die anderen, Frau Asmussen, Nicole, Renate, Frau Schulz
und Frau … auch, aber nicht so gut wie Petra.
Frau H. steht neben mir, unsere Blicke kreuzen sich.
„Danke für die Karte mit den netten Worten.“
Wir hatten ihr nach dem Tode Ihres Mannes eine Karte geschickt. Ich
gebe ihr meine Hand.
„Noch einmal persönlich mein herzliches Beileid. Ich habe Heinrich
immer sehr gerne gemocht und ich habe in unserer gemeinsamen Zeit viel von ihm
gelernt.“
Ihre Augen
werden feucht aber sie freut sich und drückt noch einmal fest meine Hand bevor
ich weiterschiebe.
Ich habe den
Salat vergessen. Noch einmal zurück durch den ganzen Laden.
„Sie schon
wieder!“
Das war
Bettinas Stimme.
Hilde
begrüßt mich freundlich. Sie liebt Lebensmittel mindestens halbtags. Ich freue
mich immer, sie zu sehen. Sie gehört auch zu den immer Freundlichen, von denen
es hier so viele gibt.
Frau
Bukowski liebt besonders Gemüse und flitzt geschäftig zwischen den Auslagen
umher.
„Moin, gibt
es noch frischeren Salat?“
„Moin, nein,
heute nicht. Ist einfach zu heiß.“
Dass es
wieder einer der wärmeren Tage war, habe ich an Kerstins Beinen gesehen. Sie
trägt an warmen Tagen Hosen, die unter dem Knie enden und den Blick auf ein
Tatoo am Unterschenkel freigeben. Mehr als ihr Tatoo liebe ich an Kerstin, dass
sie gern mal schnell die zweite Kasse öffnet, wenn ich weit hinten in der
Schlange stehe.
Ich suche
mir den besten Salatkopf aus und packe eine Fenchelknolle in den Wagen. Gleich
nach mir greift eine andere Hand von hinten zum Fenchel und ich höre die Stimme
von Elke:
„Ach, habt
ihr auch Meerschweinchen?“
Ich drehe
mich um. Es ist Elke.
„Nö, wir
essen Fenchel roh, seltener mal gekocht.“
„Das kann
man? Und ich dachte ihr hättet auch Meerschweinchen.“
Mit völlig
neuen Erkenntnissen schiebt sie ihren Wagen in die Tschiboecke.
Ich muss
noch zur Milch und Butter und dann zur Kasse, bin schon wieder viel zu lange
hier. Ulla erledigt den gleichen Einkauf in der halben Zeit.
Christina
kommt aus dem Gang mit dem Pudding geschoben:
„Moin Jörg.“
Zu ihrer Tochter gewandt sagt sie: „ Sag mal guten Tag. Das war mal mein
Lehrer!“
„Weiß ich
doch Mama, das sagst du jedes Mal, wenn wir den treffen.“
Sie begrüßt
mich mit freundlichem Lächeln, inzwischen selbst schon Schulkind. Ich freue
mich immer, wenn ich Christina beim Einkaufen treffe. Inzwischen hat sie drei
Kinder und einen landwirtschaftlichen Haushalt zu versorgen. Sie machen alle
einen so zufriedenen Eindruck.
Marion, die
Chefin, räumt Joghurt nach.
„Na Herr
Petersen, bist du auch mal wieder da?“
Manchmal ist
sie sehr ernst und konzentriert bei der Arbeit. Dann überlege ich mir, wie ich
sie ins Leben zurückholen kann. Sie hat einen so ätzend trockenen Humor mit dem
sie auf meine Sprüche eingeht. Das provoziert mich, weiter mit ihr zu flachsen.
Ich mag das und der Joghurt muss dann eben mal eine Minute länger warten, bis
er zu seinen inzwischen schon wesentlich cooleren Kollegen im Kühlregal darf.
Ich muss zur
Kasse.
Frau Klatt
oder Frau Schreiber? Ich mag sie beide auf ihre Art.
Als Frau
Schreiber vor vielen Jahren als junges Mädchen bei Eggert anfing, war sie
freundlich und nur ernst. Eine echte Herausforderung für mich. Ich wollte die
junge Frau unbedingt zum Lachen bringen. Es reichte meistens nicht zu mehr als
zu einem verhalten freundlichen Kommentar, noch weit entfernt von dem, was ich
mir zum Ziel gesetzt hatte. Vor Jahren ein weiterer Versuch, es war zwei Tage
vor dem von mir verachteten Valentinstag. Ich hatte bei meinem ersten Einkauf
die Petersilie vergessen. Frau Schreiber saß an der Kasse und ich war weit und
breit der einzige Kunde.
„Einmal nur
die Petersilie?“ fragte sie mich
anblickend.
„Ja,
bitte! Als Geschenk, kriegt meine Frau
zum Valentinstag.“
Große ernste
Augen blicken mich unter einer Frisur mit hunderten kleiner feuerrot oranger
Löckchen an. Frau Schreiber macht Anstalten, sich zu erheben, um zum Packtisch
zu gehen.
„Bleiben Sie
sitzen, war nur ein Witz!“
Kein Witz,
über den Frau Schreiber lachen konnte. Mein Versuch, sie zum Lächeln zu
bringen, war restlos gescheitert.
Irgendwann
aber, ich weiß nicht mehr wie, ganz langsam war der Bann gebrochen. Heute
entgegnet Frau Schreiber mit Lächeln auf meine Versuche, sie zu erheitern.
Nicht selten ist auch sie es, die mir den ersten Ball zuwirft.
Auch Olga
Klatt, die zweite hauptamtliche Kassiererin ist nicht die allzeit fröhliche
Person. Aber schon sehr bald, nachdem sie mich einige Wochen kannte, wusste sie
mit mir umzugehen. Sie hat einen herzlichen Humor und kann bisweilen herzhaft
hinter ihrer Kasse lachen. Manchmal, wenn mir gerade nicht danach ist, Witze zu
machen, oder ich in Gedanken weit weg bin und es schlicht vergessen habe, einen
Spruch zu machen, kommt von ihr:
„Herr
Petersen, ist ´was? Sie sind so ernst heute.“
Besondere
Freude haben wir immer, wenn sie die Sechserpackung Eier öffnet.
„Na, Frau
Klatt, schon wieder kein siebtes Ei mitgeschmuggelt?“
Die Sprüche
gehen hin und her und als ich einmal wieder ankündigte, dass ich demnächst
einen echten Versuch starten wollte, doch ein siebentes Ei in der Pappe
durchzuschmuggeln, meinte eine Kundin aus Oederquart hinter mir:
„Das kann
doch nur mit einer Riesensauerei gehen.“
„Nee, nee“,
meinte ich zu ihr, „das geht, wenn man geschickt genug ist. Frau Klatt weiß das
auch. Deshalb sieht sie ja in jede Eierpackung, bevor sie den Preis eintippt.“
Frau Klatt
grinst.
„Bei Herrn
Petersen kann man nie wissen. Dem trau´ ich alles zu.“
Hoffentlich
hat die gute Frau aus Oederquart zu Hause nicht zu lange probiert, sieben Eier
in eine Sechserpappe zu bekommen. Wegen der Riesensauerei!
Manchmal
sitzt auch Frau von Allwörden an der Kasse. Sie tut gerne so, als wollte sie
sagen:
„Oh, der
schon wieder!“
Ich glaube
aber, dass es eher ein Spiel ist zwischen uns. Ich freue mich immer, sie zu
treffen.
Frau Duwald
grüßt immer so freundlich vom Post- und Lottoschalter. Wenn das so weiter geht,
und nichts spricht dagegen, werde ich vielleicht doch noch einmal zum
Lottospieler. Auch heute wieder verabschiedet sie mich so freundlich, obwohl
ich weder Lotto spielen noch Post abgeben wollte.
Nun wird es
aber Zeit, dass ich hier raus komme, sonst wird es Spätnachmittag, bis es bei
uns Mittag gibt.
Und, wenn
Ulla fragt, was ich so lange gemacht habe, werde ich ihr antworten:
„Ich musste
noch einmal umkehren, hatte den Fenchel für unsere Meerschweinchen vergessen!“
Ich muss
jetzt schon grinsen, wenn ich mir ihr Gesicht vorstelle.
Nachsatz:
Ich weiß, es
gibt noch viel mehr nette Angestellte im EDEKA und Finn ist ja auch wieder
zurück, aber denen bin ich an diesem Tag einfach nicht begegnet.
Ich habe
Freunde, die nie einkaufen gehen. Sie haben keine Ahnung was es wo gibt, was
die Dinge kosten, die ihnen ihre Frauen täglich mehrmals auf den Tisch setzen. Das
vermissen sie nicht unbedingt.
Das, was ich
am Einkauf so sehr schätze, die vielen sozialen Kontakte zum Personal und den
anderen Einkäuferinnen und Einkäufern vermissen sie auch nicht, weil sie es
nicht kennen.
Mir würde echt etwas fehlen ohne das
Einkaufen in Freiburg.
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