Montag, 7. Dezember 2015

Nicht ohne meinen EDEKA



In meinem EDEKA ist überall zu lesen: „Wir lieben Lebensmittel“ Das tu ich zwar auch aber noch lieber habe ich das Einkaufen an sich.
Also durch die Reihen gehen, gucken, was es gibt, Ideen für Mahlzeiten bekommen und ganz besonders natürlich Leute treffen und eben ein „bisschen“ klönen. Da gibt es schon einige Hausfrauen, die wissen, dass ich nicht nur einkaufe, sondern auch koche. Helga wirft einen Blick in meinen Wagen.
„Na, was soll´s  bei dir geben?“
„Porreegemüse in Schinken mit Käsesoße.“
„Auch mal ´ne Idee. Na denn, man sieht sich!“
Christa kommt um die Ecke. Sie hat gerade noch mitbekommen, was es bei uns zu Mittag geben soll.
„Und, streichst du den Schinken auch immer etwas mit Senf ein?“
„Moin Christa, na klar, sonst fehlt ´was. Was macht Jürgen, wie geht’s ihm?“
„Der sitzt draußen im Auto. Kannst ja gleich noch mal zu ihm gehen.“
Das habe ich dann auch sofort erledigt. Mein Einkaufswagen wartet derweil zwischen Zwieback und Keksen. Da stört  er nicht so, weil es kein Hauptdurchgang ist.
Ich komme zurück, mein Wagen steht plötzlich am Ende des Ganges. Bettina, Azubi im dritten Lehrjahr räumt Ware nach.
„Moin Herr Petersen, hab´ mich schon gefragt, wem dieser Wagen gehört. Auch mal wieder einkaufen?“
„Musste eben noch mit jemandem schnacken.“
„Mögen Sie wohl immer noch gern. Und sonst?“
„Danke, selber?“
„Ooch, muschja.“
Das Wetter habe ich ausgelassen. Man muss sich ja auch noch etwas Stoff für das nächste Treffen aufheben.

Aus dem kleinen Büro kommt Hein Mück. Er hatte meine Stimme schon gehört und wollte nach mehrwöchiger kreuzfahrtbedingter Abwesenheit schnell mal kundtun, dass er über alle wesentlichen Ereignisse in der Gemeinde bereits informiert ist.
„Herzlichen Glückwunsch zu deinem Preis. Habe ich auf Tageblatt Online gelesen. Euch geht´s gut? Thorsten und Karin kommen nicht zu dem Vortrag. Hör mal, ich muss weiter, Rosi wartet. Wir wollen gleich nach Stade.“
„Habt ihr es denn schön gehabt auf eurer Reise?“
Im Weggehen:
„Ja, alles super. Mittwoch ist kegeln. Dann erzähl´ ich mehr.“
Schon ist er wieder verschwunden.

Ich will links abbiegen zum Käsestand und stoße beinahe mit Anja zusammen. Sie ist immer gut drauf und geht nie weiter, ohne einen netten Gruß. Auch sie liebt Lebensmittel, steht zumindest auf ihrem Kittel. Ingrid vom Käsestand packt in der Kühltruhe nach. Schnell noch einen kleinen Umweg bei ihr vorbei und ein paar Sätze „op Platt“.  Meist gelingt es uns schon nach den ersten zwei Sätzen herzlich zu lachen. Allein schon für dieses Lachen lohnt sich mein Einkauf. Dass sie nicht mehr immer hinter der Käsetheke steht, ist nicht so schlimm. Ihre Freundin Ruth, für mich Frau Wörmcke, ist inzwischen sehr gut eingearbeitet. Sie beherrscht ihr Fach 1a! Dennoch, die kleinen Feinheiten hat sie noch nicht drauf. Ich muss zum Beispiel noch immer „im Stück“ sagen, wenn ich meinen Käsewunsch geäußert habe. Ingrid weiß eben, dass ich immer „im Stück“ und nie „in Scheiben“ kaufe. Sie sagt auch, wenn Ulla mal bei ihr einkaufen kommt:
„Den nehmen Sie mal nicht, das ist nix für Ihren Mann, der nimmt lieber den. Hat mehr Geschmack.“ Neulich hat sie Ruth, also Frau Wörmcke, in einem Satz klar gemacht, dass man mehr als ein paar Jahre braucht, um ganz oben in der Käseliga mitspielen zu können. Ich stehe vor der Käsetheke.
„Was darf´s  denn sein“? fragt Frau Wörmcke.
„Appenzeller.“ Schnell komme ich ihrer Frage zuvor. „Im Stück.“
„Gold oder Silber?“
Ich spüre eine Hand Auf meiner Schulter und höre im nächsten Moment Ingrids leicht vorwurfsvolle, leicht belehrende Stimme:
„Ruth, Herr Petersen immer Gold, seine Schwester Silber!“
„Ach so.“
Vielleicht noch zum besseren Verständnis. Es gibt den Appenzeller in Goldfolie, sehr herzhaft, und den etwas weniger kräftigen in der Silberfolie.
Allein das ist schon ein Grund, nicht wegzuziehen. An keinem anderen Ort würde meine zu erwartende Lebensrestzeit ausreichen, um noch einmal eine derartige Vertrautheit zwischen mir und meiner Käsefachverkäuferin entstehen zu lassen.

Renate fragt mich in der Fleischabteilung, was es sein darf.
„Schnitzel, aber ganz fein geschnitten.“
Petra hört das, schiebt Renate beiseite.
„Lass mich mal, ich weiß, wie Herr Petersen seine Schnitzel haben will.“
Ja, sie weiß es und macht es großartig. Mit scharfem Messer schneidet sie gekonnt aus der Oberschale Schnitzelscheiben nicht dicker als einen Zentimeter. Das können die anderen, Frau Asmussen, Nicole, Renate, Frau Schulz und Frau … auch, aber nicht so gut wie Petra.
Frau H. steht neben mir, unsere Blicke kreuzen sich.
„Danke für die Karte mit den netten Worten.“
Wir hatten ihr nach dem Tode Ihres Mannes eine Karte geschickt. Ich gebe ihr meine Hand.
„Noch einmal persönlich mein herzliches Beileid. Ich habe Heinrich immer sehr gerne gemocht und ich habe in unserer gemeinsamen Zeit viel von ihm gelernt.“
Ihre Augen werden feucht aber sie freut sich und drückt noch einmal fest meine Hand bevor ich weiterschiebe.

Ich habe den Salat vergessen. Noch einmal zurück durch den ganzen Laden.
„Sie schon wieder!“
Das war Bettinas Stimme.
Hilde begrüßt mich freundlich. Sie liebt Lebensmittel mindestens halbtags. Ich freue mich immer, sie zu sehen. Sie gehört auch zu den immer Freundlichen, von denen es hier so viele gibt.
Frau Bukowski liebt besonders Gemüse und flitzt geschäftig zwischen den Auslagen umher.
„Moin, gibt es noch frischeren Salat?“
„Moin, nein, heute nicht. Ist einfach zu heiß.“
Dass es wieder einer der wärmeren Tage war, habe ich an Kerstins Beinen gesehen. Sie trägt an warmen Tagen Hosen, die unter dem Knie enden und den Blick auf ein Tatoo am Unterschenkel freigeben. Mehr als ihr Tatoo liebe ich an Kerstin, dass sie gern mal schnell die zweite Kasse öffnet, wenn ich weit hinten in der Schlange stehe.

Ich suche mir den besten Salatkopf aus und packe eine Fenchelknolle in den Wagen. Gleich nach mir greift eine andere Hand von hinten zum Fenchel und ich höre die Stimme von Elke:
„Ach, habt ihr auch Meerschweinchen?“
Ich drehe mich um. Es ist Elke.
„Nö, wir essen Fenchel roh, seltener mal gekocht.“
„Das kann man? Und ich dachte ihr hättet auch Meerschweinchen.“
Mit völlig neuen Erkenntnissen schiebt sie ihren Wagen in die Tschiboecke.
Ich muss noch zur Milch und Butter und dann zur Kasse, bin schon wieder viel zu lange hier. Ulla erledigt den gleichen Einkauf in der halben Zeit.
Christina kommt aus dem Gang mit dem Pudding geschoben:
„Moin Jörg.“ Zu ihrer Tochter gewandt sagt sie: „ Sag mal guten Tag. Das war mal mein Lehrer!“
„Weiß ich doch Mama, das sagst du jedes Mal, wenn wir den treffen.“
Sie begrüßt mich mit freundlichem Lächeln, inzwischen selbst schon Schulkind. Ich freue mich immer, wenn ich Christina beim Einkaufen treffe. Inzwischen hat sie drei Kinder und einen landwirtschaftlichen Haushalt zu versorgen. Sie machen alle einen so zufriedenen Eindruck.

Marion, die Chefin, räumt Joghurt nach.
„Na Herr Petersen, bist du auch mal wieder da?“
Manchmal ist sie sehr ernst und konzentriert bei der Arbeit. Dann überlege ich mir, wie ich sie ins Leben zurückholen kann. Sie hat einen so ätzend trockenen Humor mit dem sie auf meine Sprüche eingeht. Das provoziert mich, weiter mit ihr zu flachsen. Ich mag das und der Joghurt muss dann eben mal eine Minute länger warten, bis er zu seinen inzwischen schon wesentlich cooleren Kollegen im Kühlregal darf.

Ich muss zur Kasse.
Frau Klatt oder Frau Schreiber? Ich mag sie beide auf ihre Art.
Als Frau Schreiber vor vielen Jahren als junges Mädchen bei Eggert anfing, war sie freundlich und nur ernst. Eine echte Herausforderung für mich. Ich wollte die junge Frau unbedingt zum Lachen bringen. Es reichte meistens nicht zu mehr als zu einem verhalten freundlichen Kommentar, noch weit entfernt von dem, was ich mir zum Ziel gesetzt hatte. Vor Jahren ein weiterer Versuch, es war zwei Tage vor dem von mir verachteten Valentinstag. Ich hatte bei meinem ersten Einkauf die Petersilie vergessen. Frau Schreiber saß an der Kasse und ich war weit und breit der einzige Kunde.
„Einmal nur die  Petersilie?“ fragte sie mich anblickend.
„Ja, bitte!  Als Geschenk, kriegt meine Frau zum Valentinstag.“
Große ernste Augen blicken mich unter einer Frisur mit hunderten kleiner feuerrot oranger Löckchen an. Frau Schreiber macht Anstalten, sich zu erheben, um zum Packtisch zu gehen.
„Bleiben Sie sitzen, war nur ein Witz!“
Kein Witz, über den Frau Schreiber lachen konnte. Mein Versuch, sie zum Lächeln zu bringen, war restlos gescheitert.
Irgendwann aber, ich weiß nicht mehr wie, ganz langsam war der Bann gebrochen. Heute entgegnet Frau Schreiber mit Lächeln auf meine Versuche, sie zu erheitern. Nicht selten ist auch sie es, die mir den ersten Ball zuwirft.
Auch Olga Klatt, die zweite hauptamtliche Kassiererin ist nicht die allzeit fröhliche Person. Aber schon sehr bald, nachdem sie mich einige Wochen kannte, wusste sie mit mir umzugehen. Sie hat einen herzlichen Humor und kann bisweilen herzhaft hinter ihrer Kasse lachen. Manchmal, wenn mir gerade nicht danach ist, Witze zu machen, oder ich in Gedanken weit weg bin und es schlicht vergessen habe, einen Spruch zu machen, kommt von ihr:
„Herr Petersen, ist ´was? Sie sind so ernst heute.“
Besondere Freude haben wir immer, wenn sie die Sechserpackung Eier öffnet.
„Na, Frau Klatt, schon wieder kein siebtes Ei mitgeschmuggelt?“
Die Sprüche gehen hin und her und als ich einmal wieder ankündigte, dass ich demnächst einen echten Versuch starten wollte, doch ein siebentes Ei in der Pappe durchzuschmuggeln, meinte eine Kundin aus Oederquart hinter mir:
„Das kann doch nur mit einer Riesensauerei gehen.“
„Nee, nee“, meinte ich zu ihr, „das geht, wenn man geschickt genug ist. Frau Klatt weiß das auch. Deshalb sieht sie ja in jede Eierpackung, bevor sie den Preis eintippt.“
Frau Klatt grinst.
„Bei Herrn Petersen kann man nie wissen. Dem trau´ ich alles zu.“
Hoffentlich hat die gute Frau aus Oederquart zu Hause nicht zu lange probiert, sieben Eier in eine Sechserpappe zu bekommen. Wegen der Riesensauerei!
Manchmal sitzt auch Frau von Allwörden an der Kasse. Sie tut gerne so, als wollte sie sagen:
„Oh, der schon wieder!“
Ich glaube aber, dass es eher ein Spiel ist zwischen uns. Ich freue mich immer, sie zu treffen.

Frau Duwald grüßt immer so freundlich vom Post- und Lottoschalter. Wenn das so weiter geht, und nichts spricht dagegen, werde ich vielleicht doch noch einmal zum Lottospieler. Auch heute wieder verabschiedet sie mich so freundlich, obwohl ich weder Lotto spielen noch Post abgeben wollte.
Nun wird es aber Zeit, dass ich hier raus komme, sonst wird es Spätnachmittag, bis es bei uns Mittag gibt.
Und, wenn Ulla fragt, was ich so lange gemacht habe, werde ich ihr antworten:
„Ich musste noch einmal umkehren, hatte den Fenchel für unsere Meerschweinchen vergessen!“
Ich muss jetzt schon grinsen, wenn ich mir ihr Gesicht vorstelle.

Nachsatz:
Ich weiß, es gibt noch viel mehr nette Angestellte im EDEKA und Finn ist ja auch wieder zurück, aber denen bin ich an diesem Tag einfach nicht begegnet.
Ich habe Freunde, die nie einkaufen gehen. Sie haben keine Ahnung was es wo gibt, was die Dinge kosten, die ihnen ihre Frauen täglich mehrmals auf den Tisch setzen. Das vermissen sie nicht unbedingt.
Das, was ich am Einkauf so sehr schätze, die vielen sozialen Kontakte zum Personal und den anderen Einkäuferinnen und Einkäufern vermissen sie auch nicht, weil sie es nicht kennen.
Mir würde echt etwas fehlen ohne das Einkaufen in Freiburg.

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