Die Entdeckung Amerikas hat der Menschheit manchen Segen bereitet, wenn
wir mal an die vielen sinnvollen und praktischen Erfindungen denken, die aus
Amerika zu uns nach Europa gekommen sind.
Bei einigen Errungenschaften aus den Vereinigten Staaten wünschte ich
mir allerdings, dass Amerika niemals entdeckt worden wäre, wobei das noch nicht
unbedingt eine Garantie dafür gewesen wäre, dass nicht irgendwo anders auf der
Welt jemand auf ähnlich dumme Gedanken gekommen wäre.
Auf Halloween zum Beispiel könnte ich nur zu gerne verzichten. In
Irland und dann mit den irischen Auswanderern nach Amerika eingeführt mag der Halloweenbrauch auch dort eine
gewisse Tradition und Berechtigung haben.
Was aber haben wir damit zu tun? Kaum einer weiß über die Ursprünge des
Brauches.
Halloween hat in unseren Regionen keine traditionellen Wurzeln, der
Brauch ist uns von der Konsumindustrie übergestülpt worden. Mit Süßigkeiten,
Kostümen, Scherzartikeln und Dekoartikeln lässt sich vortrefflich Geld
verdienen.
Ich will da nicht mitmachen, will mich nicht manipulieren lassen.
Wenn das man so einfach wäre.
Bevor ich zum Wochenendeinkauf aufbreche, erinnert mich Ulla noch an
Halloween.
„Denkst du daran ein paar Süßigkeiten mitzubringen, heute ist Halloween!“
Sie hat ja Recht. Stell dir vor, da stehen diese Wohlstandsbettelkinder
vor der Tür, schmettern dir „Süßes oder Saures“ entgegen und du kannst ihnen
nichts geben, um sie schnell wieder loszuwerden.
Ich stehe im Supermarkt vor dem Regal mit den Süßigkeiten. Die
Entscheidung fällt nicht schwer. Es sollen die Mini Schokoriegel sein. Die
haben den Riesenvorteil, dass ich sie auch gerne mag und vielleicht bleiben ja
einige von der Schokogier der
Haloweenmonster verschont.
Ich nehme doch lieber vier statt drei Großpacks Mini Mars und Co mit.
Besser ist besser. Stehst am Ende da und hast nichts. Was dann?
Haus verlassen und Abendspaziergang weg vom Haus? Nein! Nicht jetzt im
Dunkeln und regnen tut es auch ein wenig.
Licht aus und auf den Fußboden legen? Na ja, muss ja nicht gleich der
Fußboden sein. Einfach so tun, als sei niemand zu Hause. Ist auch irgendwie
blöd, sich so im eigenen Haus verstecken.
Da müssen wir nun durch. Beim jährlichen Motorradtreffen verlassen wir
schon immer Freiburg und schlafen die Nacht auswärts. Nun auch noch am
Halloweentag?
Nein, zu viel Aufmerksamkeit für diesen ungeliebten, aufgezwungenen
Brauch.
Wie schon gesagt, da müssen wir jetzt durch!
Auf dem Rückweg vom Einkauf wäre es beinahe passiert. Ich biege in eine
der Straßen unserer Siedlung und um Haaresbreite wäre ich in eine Gruppe von
Halloweenmüttern gefahren. Sie begleiten ihre kleinen „Monster“ auf deren
Betteltour durch die Siedlung. Während ihre Kleinen an der Haustür auf Beutezug
gehen kauern sie rauchend und miteinander flüsternd im Schatten von Hecken und
Büschen, den Nachwuchs immer im Blick.
Kaum, dass die Haustüren zuklappen, müssen die Kleinen berichten, was
es bei Tegtmeyer gebracht hat. Die waren letztes Jahr ziemlich knauserig.
Dieses Jahr war es nicht so schlecht.
Hat ihnen wohl im vergangenen Jahr jemand gesteckt, dass sie weit unter der
Norm gelegen haben.
Bevor es weiter geht an die nächste Tür wird erst einmal umgepackt. Die
Mütter übernehmen die Last. Weiß
inzwischen ja jeder, dass es für die Skelette der unausgewachsenen Kinderkörper nicht gut
ist, wenn Lasten über längere Zeit auf einer Seite getragen werden.
„Süßes oder Saures“ schallt von der nächsten Haustür. Die Gelegenheit,
die mit Alkohol gefüllten Pralinen mit der Kirsche auszusortieren. Eine Runde
Mon Cheri für alle. Es reicht mal eben, weil Petra gerade fastet.
Gewarnt durch meinen „Beinahcrash“ fahre ich vorsichtig weiter.
War das nicht M. mit seiner Tochter. Sie ist drei Jahre alt, versteht
nicht, warum ihre Eltern ihr die merkwürdige Kleidung angezogen haben. Sie geht
brav an der Hand ihres Papas. Angst kennt sie nicht, der Papa ist ja dabei.
Tagelang haben die Eltern ihr die
Betteldrohung beigebracht, ohne dass das arme Kind auch nur annähernd
eine Ahnung hatte, was es da lernte. Halloween Nachmittag war es so weit. Sie
konnte „Thütheth oder Thaureth“ wie mit englischem „th“ sagen. Alles war perfekt Kostüm und der Spruch
saßen, M. und seine Frau konnten ihr gerade windelfreies Töchterchen ins Rennen
um die Haloweenkalorien schicken.
Ich bin fast zu Hause. Da, wo unsere Straße abzweigt, steht eine
weitere Müttergruppe, kleine „Halloweenies“ stürzten im Beuterausch eine
Auffahrt runter und müssen von ihren Müttern wegen des herannahenden Autos im
letzten Moment gestoppt werden.
Keine Angst! Ich bin ja inzwischen vorgewarnt.
Ich komme ins Haus und höre aus der Stube:
„Hast du an die Süßigkeiten gedacht?“
„Ja. Es kommen gleich welche, ich habe sie schon an der Abzweigung zu
unserer Straße getroffen.“
Ich fülle die Schokoriegel in eine Glasschüssel und stelle sie
griffbereit in den Hausflur. Zwei Teile nehme ich mit in die Stube. Ich kann
das. Einfach so, brauche auch keinen Spruch aufzusagen.
Wir sitzen in der Stube in Erwartung der Halloweentrupps und vernaschen
inzwischen schon den zweiten Schokoriegel.
„Wir sind als Kinder Rummelpott gelaufen. Das kennt heute niemand
mehr.“
„War eigentlich nicht anders. Zumindest was das Einfordern von süßen
Leckereien anging. Verkleidung musste auch sein, “ sagte ich zu Ulla.
„Wieso eigentlich Verkleidung beim Rummelpottlaufen?“
„Man sollte doch nicht erkannt werden, wenn man allzu geizigen Leuten
ein Spottlied sang.“
Und dann begannen wir die alten Verse zusammenzubekommen.
„Rummel, rummel rusch, de Nigger sit in Busch…“
„Geht heute gar nicht!“ meint Ulla und fuhr schmunzelnd fort „ Anni
Berger würde die Kinder ohne etwas wegschicken und sie als Rassisten
beschimpfen.“
Ja, da kannte die Berger keinen Spaß. Bei Rassismus hört er auf, der
Spaß!
Ich muss auch bei der Vorstellung von Anni Bergers Reaktion lachen. Mir
fällt das Schmählied wieder ein. Wie ging es noch?
"Witten Tweern,
swatten Tweern,
disse Olsch, de gifft nich geern!"
disse Olsch, de gifft nich geern!"
„Ich erinnere das noch
ein wenig anders. Ich meine, dass es hieß:
Witten Tweern, swatten
Tweern, Ohle Wieber geevt nich gern!“
„Kann auch sein. Auf
jeden Fall mussten wir schon ein wenig mehr leisten, als nur „Süßes oder
Saures“ rufen.“
Der Spielfilm ist
zuende, 22 Uhr. Ulla blättert die Fernsehzeitung durch. Plötzlich blickt sie
auf:
„Es war keiner hier.“
„Was meinst du?“
„Kein Halloweenbesuch!
Jetzt kommt auch nichts mehr.“
Schon ein bisschen enttäuschend, hatte ich mich doch extra noch auf den
Weg gemacht, Süßigkeiten einzukaufen.
Und nun?
Niemand gekommen!
Ob diese Helikoptermütter hinter den Büschen telepathische Fähigkeiten
haben und ihren Kindern am Haloweentag ein Horrorerlebnis ersparen wollten?
Na ja, so schlimm sind wir ja nun auch wieder nicht!
Die Enttäuschung hielt sich aber in Grenzen, als mein Blick auf dem Weg
zur Küche auf die bis oben mit Schokoriegeln gefüllte Glasschale fiel.
So schlecht war Halloween dann in diesem Jahr doch nicht. Nichts
Saures, dafür aber jede Menge Süßes!
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