1966 hatte
ich, 16jährig, nicht nur schwache Noten in Englisch sondern auch eine sehr
günstige Gelegenheit bei Familie Frampton in Lower Holditch Bungalow,
Grafschaft Devon meine Englischkenntnisse aufzubessern. Ron Frampton, der
englische Freund der Schwester eines Freundes von mir hatte mich für die
Sommerferien zu seiner Familie eingeladen. Ron war 10 Jahre älter als ich,
Automechaniker und hatte gerade in einer neuerbauten „Nissenhütte“ gemeinsam
mit seinem Bruder Brian eine Autoreparaturwerkstatt eröffnet.
Hier, in der
absoluten Abgeschiedenheit Devons, sollten die Grundlagen für meine zukünftigen
Hochleistungen im Fach Englisch gelegt werden. Die Voraussetzungen dafür waren
gut und schlecht zugleich.
Schlecht
war, dass die meisten Menschen um mich herum ein derart regional geprägtes
Englisch sprachen, dass ich sie kaum verstehen konnte. So auch ein englisches
Mädchen, das ich am Strand traf. Für sie waren Abweichungen vom „Hochenglisch“
so normal, dass sie, nachdem sie mein schlechtes Englisch hörte, wissen wollte,
aus welchem Teil der Midlands, wo bekanntlich das schlampigste Englisch
gesprochen wird, ich denn käme. Meine Beteuerungen, dass ich aus
Deutschland komme, tat sie als plumpe
Anmache ab, bis ich ihr meinen Reisepass unter die Nase hielt. Ja, von daher
waren die Bedingungen nicht so günstig.
Gut war,
dass ich bis ich im Schülersonderzug nach Köln mit Kurswagen nach Hamburg saß
kein Deutsch gesprochen habe. Ich habe in den fast sechs Wochen eine Menge
Redewendungen und neue Vokabeln gelernt, besonders im Bereich Kfz-Technik und
Werkzeuge. Da konnte mir selbst Dr. Lenz, mein Englischlehrer, nicht mehr viel
vormachen. Das wichtigste allerdings, was ich gelernt und mir bis heute bewahrt
habe: Ich habe meine Angst englisch zu sprechen verloren, egal, wie fehlerhaft
es sein mochte. Für die Midlands hätte es allem Anschein damals schon gereicht!
Rons Eltern
waren sehr liebenswerte und bescheidene Menschen, die ihr ganzes Leben als
Butler und Haushaltshilfe auf dem nahen Herrensitz Fort Abbey gearbeitet haben.
Für Reisen hatten sie nie die Zeit und das Geld. Jetzt, im Rentenalter, war die
Zeit da, das Geld fehlte immer noch. Rons Aktivitäten über die Landesgrenzen
hinaus bis nach Hamburg im fernen Deutschland beobachteten sie mit großer
Skepsis. Marion, den Grund für seine Reisen, kannten sie. Marion hatte ein Jahr
in der Nachbarschaft als Au-pair gearbeitet.
Mir haben
die beiden von Anbeginn größte Freundlichkeit und Gastfreundschaft
entgegengebracht. Mit Mrs. Frampton konnte ich mich am besten unterhalten. Sie
sprach einwandfreies Englisch und war sehr interessiert, alles über mein Leben
und meine Familie zu erfahren. Mr. Frampton war genauso schwer zu verstehen wie
er liebenswert war. Er hatte eine sehr tiefe, schnarrende Stimme und zog leicht
mal zwei drei Worte zusammen. Ron nannte ihn „the old man“. Er stand gerne mit
den Händen in den Hosentaschen und der Pfeife im Mund und schaute dabei den
Hühnern oder seinen Söhnen beim Autoschrauben zu.
Abends habe
ich mit dem alten Mann Nachrichten geguckt. Gut, dass es auch Bilder gab.
Irgendwie haben die Sprecher immer etwas zu schnell gesprochen. Die Familie
hatte mich davor gewarnt in der Stube zu bleiben, wenn „Wrestling“ (Catchen)
übertragen würde. Dann würde der Alte alles um sich herum vergessen. Er greift
selber in die Kämpfe ein, rudert mit den Armen und schlägt in die Luft. Niemand
ist in seiner Umgebung sicher. Mom hatte
er, als sie noch mit ihm zusammen auf dem Sofa saß, ein blaues Auge verpasst.
Ein anders Mal hat er im Kampfesrausch das neue Sofa zerlegt. Es gab damals
eine Art Wrestling Liga und fast jeden Tag irgendwelche Wettkampf
Übertragungen. Ich wollte die Warnungen der Familie nicht glauben. Dieser
ruhige, alte Mann. Und dann erlebte ich ihn während der Wrestlingkämpfe. Gut,
dass ich hinten an der Tür saß, auf einem Stuhl, und nicht wie bei den
Nachrichten neben Mr. Frampton auf dem Sofa.
Mrs.
Frampton bemerkte ziemlich bald meine Zurückhaltung beim Essen. Sie vermisste
bei mir den Heißhunger, den sie von ihren Söhnen kannte, als sie in meinem
Alter waren. Es gab eine einfache Erklärung: Es schmeckte eben alles so
britisch! Ich habe gegessen, um nicht zu
verhungern, und habe dabei schnell erkannt, was ich gut und was ich weniger gut
essen konnte. Mrs. Frampton fragte nicht, ob es mir schmecke oder nicht. Sie
hatte längst schon gespürt, was los war. Stattdessen fragte sie mich eines
Tages, was wir denn so in Deutschland essen würden. Wir saßen wohl noch eine Stunde am Küchentisch, nachdem alle
anderen längst die kleine Küche verlassen hatten. Als ich bei den Vorzügen von
Schwarzbrot im Vergleich zu dem Weizentoastbrot, das es in England als einzige
Brotsorte gab, angekommen war, schüttelte die weißhaarige Frau mit großem
Erstaunen ihren Kopf. Von schwarzem Brot hatte sie noch nie etwas gehört.
„Und das ist
wirklich Brot?“
„Klar, es
wird aus Roggenmehl gebacken und enthält Sirup.“
Einmal mehr
in ihrem Leben freute sich Mrs. Frampton in England geboren zu sein. Ein Leben
ohne Brot konnte sie sich nicht vorstellen und für sie war ein Leben ohne die
weiße Weizenpappe ein Leben ohne Brot.
Ich hatte
eine Idee. Noch war Zeit. Es gab damals kein Handy und auch das Telefonieren
war unverhältnismäßig teuer. Also schickte ich eine Postkarte an meine Eltern
in Hamburg mit der Bitte, mir per Express (wegen der Verderblichkeit) ein
Schwarzbrot zu schicken. Ich hatte nicht geschrieben, dass ich es brauchte, um
meine Gastgeberin mit einer anderen Brotsorte bekannt zu machen. Mein Vater,
der während der englischen Kriegsgefangenschaft in Ägypten die Sehnsucht nach
Schwarzbrot kennengelernt hatte, hatte volles Verständnis für seinen Sohn und
machte sofort den Versand des Brotes zur Chefsache. Keine 14 Tage nachdem ich
meinen Hilferuf abgesandt hatte, fand ich ein so korrekt gepacktes Päckchen auf
dem Küchentisch, wie nur mein Vater es hinbekam. Ich packte es aus, das
erwartete Schwarzbrot lag vor mir, unverdorben. Eine Scheibe aß ich sofort ohne
Butter und Aufstrich.
Im
Begleitbrief stand:
„Mein lieber
Junge, das soll dir erst einmal helfen. Halte die letzten zwei Wochen durch.
Denke immer daran, dein Vater musste das englische Brot bis zu seiner
Auswechselung über 6 Monate essen. Herzliche Grüße an Ron und deine Gastgeber!“
Ich ließ das
Brot auf dem Küchentisch liegen und freute mich schon auf die Gesichter meiner
Gastgeber, wenn sie das erste Mal in ihrem Leben richtiges Brot essen.
Als wir am
Abend alle um den Küchentisch saßen, fragte ich Mrs. Frampton, ob sie das Brot
auf dem Tisch gefunden hätte.
„Oh“, sagte
sie, „kann man das essen? Das wusste ich nicht. I gave it to the chickens.“
Sie hat es
an die Hühner verfüttert!
Ich muss
wohl genauso verdutzt ausgesehen haben, wie sie. Als Ron und sein Vater
schallend lachten, mussten auch wir mitlachen.
Die
britischen Hühner haben das deutsche Brot überlebt. Vielleicht haben die
Framptons später noch einen leicht unbekannten Beigeschmack von deutschem
Schwarzbrot im Frühstücksei wahrgenommen.
Wieder in
Hamburg angekommen, fragte mein Vater schon bald, ob das Brot gut angekommen
wäre und wie lange es denn gereicht hätte.
„Das Brot
war gut, ich habe eine Scheibe gegessen, es war köstlich.“
„Und was war
mit dem anderen Brot?“
„She gave to
the chickens.“
Das war eine
kleine Kostprobe von meinem aktuellen englischen Sprachstand.
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