Vor unserer
Auffahrt endet die Straße für Autos. Radfahrer, Fußgänger und bisweilen
motorgetriebene Zweiräder können aber einen Fußweg entlang unserer
Grundstücksgrenze bis zum Fischteich nutzen. Das ist eigentlich noch gar nicht schlimm.
Schlimm ist im Prinzip auch nicht, dass statt eines Zaunes eine dichte
Feldahornhecke die Grundstücksgrenze bildet. Schlimm ist eigentlich nur, dass
diese Hecke die Eigenschaft besitzt sich in kürzester Zeit in Richtung Himmel
und Gehweg auszudehnen. Ach, was sag ich. Richtig schlimm ist das eigentlich
auch nicht. Schlimm, also richtig schlimm ist nur, dass diese Hecke mindestens
zweimal im Jahr geschnitten werden muss. Schlimmer als das Schneiden selber ist
dann immer die Zeit, bis sie dann endlich geschnitten wird. Schon beim
Frühstück fängt es an.
„Die Hecke
müsste mal geschnitten werden.“
„Ja“!
„Wann
glaubst du, dass du Hecke schneiden kannst?“
Pause
„Vielleicht
am Freitag.“
„Freitag
soll das Wetter wieder schlechter werden.“
„Mal seh´n.“
Zweimal wird
bei uns geschnitten. Das erste Mal vor
Schützenfest. Irgendwie ist der Zeitpunkt von mir voll akzeptiert und bislang
hat es spätestens bis zum Freitag vor dem Schützenfest immer geklappt. Zum Scherz habe ich zu den
Nachbarn gesagt, dass ich mir ja nichts nachsagen lassen will, falls einer aus
der Straße Schützenkönig wird.
Eigentlich
unwahrscheinlich, wir haben nur zwei Schützen in der Straße, von denen einer
nie auf die Scheibe schießt, weil er nicht König werden will und der andere
entweder zu schlecht schießt oder auch nicht Schützenkönig werden will. Also
könnte ich mir den Termindruck beim Heckeschneiden getrost schenken.
So einfach
ist das aber nun auch wieder nicht. Ganz tief in meinem Innern scheint doch
irgendwie die Sorge zu sitzen: „Und, wenn nun doch einer der beiden König wird?
Wie sieht das denn aus, wenn bei uns die Hecke nicht geschnitten ist?“
Erklären
kann ich mir diesen Druck eigentlich nicht. Über dreißig Jahre wohnen wir nun
schon hier und die Hecke hat höchstens mal einen versprengten Schützen auf dem
Heimweg vom Schützenfrühstück oder
Festplatz gesehen. Und die waren meist in einem Zustand, dass sie wohl
einiges auch schon mal doppelt gesehen haben aber bestimmt nie wahrgenommen hätten,
dass unsere Hecke hätte geschnitten sein müssen.
Den
Schützenumzug hat unsere Straße nur direkt an ihrer Einmündung zur Feldstraße
gesehen. So gesehen würde es eigentlich auch ausreichen, wenn die beiden
Eckgrundstücke geschnittene Hecken hätten.
Also vor
Schützenfest genügten meist zwei oder drei
mit steigender Intensität vorgetragene Mahnungen, bis ich dann zur
Schere greife. Weniger wohl, weil ich von der Notwendigkeit des Heckenschnitts
gerade zu diesem Zeitpunkt überzeugt bin. Eher, weil ich meine Ruhe haben
möchte.
Oder doch
vielleicht das Schützenfest?
Etwas anders
verhält sich die Sachlage zum zweiten Schnitt, meist gegen Ende August oder
Anfang September. Ab Mitte August geht
es los.
„Die Hecke
müsste geschnitten werden.“
„Hmm.“
„Und wann
glaubst du darangehen zu können?“
„Vielleicht
übermorgen, wenn das Wetter mitspielt.“
In Jahren,
wie diesem, spielt das Wetter nie mit. Und, wenn es dann mal trocken ist, steht
ein anderer wichtiger Termin an.
Völlig
stressfrei sind Morgen, an denen es in Strömen gießt. Der Haussegen gerät nicht in Gefahr.
Heckenschnitt wird bei diesem Sauwetter
von niemandem erwartet.
Mit jedem
Tag, der verstreicht wächst die Hecke und der Durchgang zwischen meinem
Nachbarn und mir wird deutlich schmaler. Mit der Hecke wächst von Tag zu Tag
bei mir die Einsicht, dass die Hecke nun wirklich mal geschnitten werden
müsste.
Nur in
diesem Jahr wollte es einfach nicht klappen. Inzwischen waren wir uns beim
Frühstück schon einig, dass nun bald etwas mit der Hecke passieren müsse.
In dieser
Phase bekam ich unerwartete Hilfe von Erwin Kleinschmidt. Kleinschmidt, ein
entfernter Nachbar aus der Siedlung, nutzt den Gehweg entlang der Hecke
regelmäßig mit dem Fahrrad, um Nachschub für seine Giftspritze oder „Moosfrei „
und Ähnliches vom Raiffeisen Markt zu holen. Nachschub wird immer gebraucht.
Bei Kleinschmidt findest du nicht ein Kraut, das da wächst, wo es nicht wachsen
soll. Man gewinnt den Eindruck, dass
Kleinschmidts gesamter Lebensinhalt aus nichts anderem besteht, als zum Raiffeisen
Markt zu radeln, dann zurück, die Mittelchen verbrauchen und wieder rauf aufs
Rad.
Ab Mitte
August fing Kleinschmidt in diesem Jahr an, mit uns durch unsere Hecke zu
kommunizieren. Wir sahen ihn nicht, er sah uns nicht, konnte nicht einmal
sehen, ob wir draußen waren und ihn überhaupt hören konnten.
„Muss mal was
passier´n, hier!“
Ich erkenne
Kleinschmidts Stimme. Mit wem er wohl redet?
Auf dem
Rückweg vom Markt höre ich ihn wieder.
„Bös eng
hier!“
Ich gehe zur
Auffahrt, um zu sehen, mit wem er spricht. Kleinschmidt radelt vorbei.
„Guten Tag,
Herr Kleinschmidt.“
„Tag!“
Es passt
nicht zu dem Bild, das er von mir hat. Er möchte nicht wahrhaben, dass ich nett
zu ihm bin.
Ich stehe
auf der Straße und kann den ganzen Fußweg bis zum Teich einsehen.
Niemand ist
zu sehen.
Ich
verstehe, Kleinschmidt hat zu uns gesprochen. Sozusagen durch die Blume,
wenn auch in diesem Fall die Blume eine Hecke ist.
Kleinschmidts
Bedarf an Krautvernichtern scheint
gewaltig.
Vielleicht
tue ich ihm auch Unrecht und er radelt zwischendurch auch einmal anderswohin.
Aber eines ist sicher: Witterungsbedingt hat
er das gleiche Zeitfenster zum Radeln wie wir fürs Kaffeepäuschen auf der Terrasse.
Fast täglich
spricht Kleinschmidt mit uns durch die Hecke.
„Unmöglich,
unmöglich!“
„Lehrer und
dann noch nicht einmal Hecke schneiden!“
Wir nehmen
seine Botschaften an und freuen uns über seine Kreativität.
„Ne, wat´n
Schludderkroom!“
Hier ist
Kleinschmidt zu weit gegangen!
Bis jetzt hat meine Frau ihm vielleicht noch
insgeheim zugestimmt. Aber „Schludderkroom“ das geht nun wirklich zu weit.
Schließlich konnten wir die Hecke nicht schneiden – wegen des Wetters und, weil
wir ja auch noch etwas anderes zu tun
haben.
„Der spinnt
wohl, Kleinschmidt! Die Giftspritze, wann wir die Hecke schneiden bestimmen
immer noch wir und nicht Kleinschmidt!“
„Oh, das kam
aber so richtig von Herzen, meine Ulla“, ging es mir durch den Kopf. „Danke
Herr Kleinschmidt, danke. Das tut so richtig gut. Sie haben uns in Sachen
Gartenhecke wieder auf einen Nenner gebracht. Machen Sie weiter so, das tut
unserer Beziehung gut!“
So oder
ähnlich würde ich es ihm auch gerne durch die Hecke zurufen, bin aber ehrlich
gesagt zu feige, es zu tun.
Und dann,
Mitte September, die Sonne scheint auf den Frühstückstisch, der Terminkalender
hat keine Eintragungen und „er“ [1]
hat bis Mittag Trockenheit vorhergesagt. Vielleicht noch eine weitere Tasse
Kaffee und dann gibt es keine Entschuldigung mehr. Rein in die Arbeitsklamotten
und ran an die Hecke!
Eigentlich
war es dann gar nicht so schlimm. Zu zweit haben wir die Arbeit bis Mittag
geschafft. Das Geschirr ist wieder im Schuppen und „er“ hat, was in den letzten
Jahren wirklich selten ist, für heute Unrecht gehabt. Es ist schon deutlich
über Mittag und immer noch scheint die Sonne. Zufrieden mit unserer Leistung
sitzen wir mit dem Kaffeebecher in der
Hand auf der Terrasse.
Ist es schön
in der Sonne bei geschlossenen Augen zu dösen!
„Na bitte,
geiht doch!“
Ich öffne
die Augen und sehe über die Oberkante unserer akkurat geschnittenen Hecke eine
Prinz Heinrich Mütze in Richtung Fischteich gleiten.
Ja, so ist
sie, die Welt der Kleinschmidts. Nur, wenn sie den Leuten nicht immer wieder
die Meinung sagen, passiert auch etwas.
Seit dem Tag
ist es still geworden jenseits unserer Hecke. Kleinschmidt radelt nicht
weniger: Unkraut kennt keinen Urlaub!
Am
Frühstückstisch ist es auch stiller geworden. Zumindest was die Hecke betrifft.
Die Welt ist
wieder in Ordnung. Für Kleinschmidt und auch für uns. Es könnte alles so schön sein, wenn, wenn …
Also, jedes
Mal, wenn Kleinschmidts Prinz Heinrich Mütze wie von Geisterhand bewegt an
unserem Grundstück vorüberschwebt, will ich ihr hinterherrufen, dass wir die
Hecke auch ohne seine Stänkereien geschnitten hätten. Was bildet sich der Kleinschmidt
eigentlich ein.
An vier
aufeinanderfolgenden Tagen fahre ich mit dem Fahrrad an Erwin Kleinschmidts
Vorgarten vorbei. Ein einsames Gänseblümchen steht auf dem Rasen. Bei uns wäre
es zwischen hunderten anderer Gänseblümchen gar nicht aufgefallen. Aber hier!
„Schludderkoom!“
denke ich am dritten Tag und schmunzle
in mich hinein.
Am vierten
Tag ist es weg, das Gänseblümchen. Erwin Kleinschmidt wird es entdeckt und
ausgestochen haben.
„Na bitte,
geiht doch!“ geht mir durch den Kopf.
Erschreckt stoppe
ich meine Gedanken. Geht natürlich gar nicht, Erwin Kleinschmidt. Nicht mit
mir!
[1] „er“
meint nach lokalem Sprachgebrauch nichts anderes als „Kachelmann“ , irgendein
anderer Metreologe oder weniger personifiziert „der Wetterbericht“. Diese
Fußnote nur für diejenigen, die sich mit den wunderschönen Feinheiten der
norddeutschen Ausdrucksformen nicht so gut auskennen.
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