Der Juli hatte gerade angefangen und mit ihm auch endlich der Sommer. Der Morgen war noch sehr frisch und es zeichnete sich trotzdem schon ein sehr schöner Tag ab.
Ich stehe
auf dem kleinen Balkon, genieße die erste Wärme der Sonne und lasse meinen
Blick über die Nachbargärten bis hin zum Bodden schweifen. Die Tochter des
Nachbarn mit der Trompete ist vor zwei Tagen angereist. Zu sehen ist von ihr um
diese Zeit noch nichts. Dafür ist sie einfach noch zu jung. Die anderen
Nachbarn, die Rostocker, sind zwar viel älter aber auch für sie ist es noch zu
früh. Sie werden vielleicht in einer Stunde in ihren roten bzw. hellblauen
Bademänteln durch die morgentaunassen Wiesen an den Bodden zum täglichen
Morgenbad spazieren.
Von fern
über den Bodden schallt das Motorengeräusch eines Außenborders. Der Fischer
kommt zurück von seinen Stellnetzen und
Reusen. Die Schwalben sind schon auf Insektenjagd und von der Boddenwiese höre
ich das heisere Gebrüll einer Wasserbüffelkuh, die, kaum, dass sie ihr Kalb zur
Welt gebracht hat, dem Bullen in der Herde Zeichen gibt, dass sie bereit ist,
es mit einem weiteren Kälbchen für den Biofleischladen auf dem Gut Darss zu
versuchen.
Ich blicke
zum Kirschbaum, der im Winkel der Garagen des Trompeters und der Rostocker zu
einem stattlichen, bereits mehrere Meter hohen Baum herangewachsen ist. Die ersten
Früchte beginnen sich rot zu färben. Auf einem Zwetschgenbaum, gleich
nebenan, landen nacheinander zwei Stare.
Sie scheinen ein Paar zu sein. Ohne Mühe
gelingt es ihnen auf dem für sie fast zu dünnen, heftig schwingenden Zweig das
Gleichgewicht zu halten.
Was für ein
schöner Morgen!
Die beiden Vögel scheinen meine Meinung zu
teilen, sie beginnen lebhaft miteinander zu kommunizieren. Ich beobachte sie
und stelle fest, dass sie sich immer wieder die Köpfe während ihres Dialoges
zuwenden.
Habe ich das
soeben richtig gehört?
War da nicht
immer wieder das Wort Kirschbaum oder Kirsche herauszuhören?
Das Kann
nicht sein!
Schon, dass
Tiere miteinander kommunizieren; aber nicht in einer, nicht in meiner Sprache.
Und doch! Je
aufmerksamer ich den Vögeln zuhöre, desto mehr Worte beginne ich zu verstehen. Von
der Sprachmelodie her klingt es ein bisschen so, wie sich die Frauen
Siebenbürgens anhören, wenn sie sich in ihrem Heimatdialekt unterhalten.
Das gibt es
doch nicht!
Immer mehr
verstehe ich von dem Gespräch der beiden Vögel.
„Ich fliege
jetzt rüber, …. probieren.“
„Das machst
du nicht! Noch nicht!“
„Warum
nicht?“
„Warte, ob
sie auch in diesem Jahr wieder den Baum schmücken, dann ist es doch viel
schöner.“
„Ja, Recht
hast du.“
Ich muss es
Ulla erzählen.
Oder doch
lieber nicht?
Sie wird
wahrscheinlich einmal mehr den Kopf schütteln, vielleicht „Spinner“ murmeln und
meine Mithilfe beim Vorbereiten des Frühstückes einfordern.
Ich behalte
mein Wissen für mich!
Inzwischen
sind zwei Stunden vergangen. Hinter mir liegen unser morgendliches Bad im
Bodden und ein schönes Frühstück auf dem kleinen Balkon mit Bodden- und
Gartenblick. Die Sonne steht höher und gibt schon einen kleinen Vorgeschmack
auf die zu erwartende Hitze. Mit dem Kaffeepott in der Hand lehne ich mich aufs
Geländer des Balkons und blicke auf den Kirschbaum der Rostocker.
Ach nein, die
beiden Stare sind wieder da. Auch sie haben Kirschbaum und Garten der Rostocker
im Blick. Es tut sich etwas dort unten im Garten.
Der
Rostocker legt eine Leiter ins Gras und ich höre sie, die Rostockerin, sagen:
„Wenn wir
jetzt nichts machen, werden wir keine Kirsche am Baum behalten.“
„Du siehst
doch, dass ich alles vorbereite.“
Von rechts
höre ich die verhaltene Stimme des Starenweibchens sagen:
„Er hat die
Leiter geholt. Ich glaube, dass er heute noch mit dem Schmücken beginnen wird.“
„Kann schon
sein“, antwortet das Männchen.
Es wirkt
etwas unruhig, als wollte es am liebsten schon einmal einen kleinen Ausflug zum
Kirschbaum machen.
Der
Rostocker zerschneidet eine Rettungsfolie in Streifen. Auf der einen Seite sind
die Streifen silbern auf der anderen goldfarben. Einen nach dem anderen hängt
er sie in den Kirschbaum. Seine Frau gibt gelegentlich Anweisungen.
„Weiter
rechts“ oder „höher Helmut! Gut so!“
Dann ist es
so weit, das Werk ist vollbracht. Sichtlich glücklich und zufrieden steht das
Paar vor dem Baum mit den im Wind raschelnden Alufolienstreifen und seinen kurz
vor der Reife stehenden Früchten. Ein schöner Tag – auch für die Rostocker.
Erst der
Blick aus dem Fenster: Strahlender Sonnenschein! Dann das Boddenbad und
anschließendes Frühstück im Garten. Nun ist auch schon der Kirschbaum
vorbereitet. Es ist Zeit, für eine weitere Tasse Kaffee und die Ostseezeitung.
Freude bei jedem Blick in den Garten, besonders beim Anblick de Kirschbaumes.
Ja, es ist
ein schöner Tag!
Freude auch
beim Starenpärchen.
Kaum, dass
sich die Rostocker auf ihre Gartenstühle zurückgezogen haben, gibt das
Starenweibchen den geschmückten Baum frei.
„Wir können
jetzt. Mir kommt er bald schöner vor, als im vergangenen Jahr.“
Die letzten
Worte hört das Männchen nicht mehr, weil es die Anspannung nicht länger
ertragend schon zum Kirschbaum gestartet ist. Das Weibchen folgte ihm und beide
eröffnen die Kirschsaison 2015. Genussvoll verschwinden die halbreifen Früchte
in den Vogelmägen.
„Warum die
Menschen mit dem Kirschessen immer erst beginnen, wenn die Früchte kurz vor dem
Verderben sind?“ denkt die Starenfrau als sie ihre achte oder neunte Kirsche
anpickt.
Ein paar
Minuten kann ich das Männchen nicht mehr sehen. Kurze Zeit später das
Fluggeräusch eines kleinen Starenschwarmes, der sich aufgeregt schnatternd im
Zwetschgenbaum niederlässt. Dann die vertraute Stimme, die, die nach den Frauen
Siebenbürgens klingt:
„Seht nur,
wie schön sie ihn geschmückt haben. Hab´ ich euch zu viel versprochen? Fliegt
bitte von hier hinten in den Baum. Wir wollen die beiden netten Menschen nicht
stören, nun, wo sie sich nach getaner Arbeit auf ihren Gartenmöbeln erholen.“
Etwa
fünfzehn bis zwanzig Stare fallen in den Baum ein und beginnen mit der
Kirschenernte.
Was für ein
schöner Tag - auch für die Vögel!
Und, wie
sieht es bei mir aus?
Dass der Tag
auch für mich einen schönen Anfang hatte, habe ich ja bereits anfangs beschrieben.
Nun aber noch diese Steigerung: Das unbeschreibliche Erlebnis, die Stare
verstehen zu können! Ich kann es immer noch nicht fassen. Ich werde gleich noch
einmal auf den Balkon gehen und prüfen, ob es nicht doch nur Einbildung war.
Ob sie mich
wohl auch verstehen?
Ich werde es
ausprobieren.
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