Sonntag, 8. November 2015

Alles Öko oder was?



Auch schon mal ein bisschen schlechtes Gewissen gehabt, weil du genau weißt, was man eigentlich der Umwelt zuliebe nicht tun sollte, es aber dennoch gerade tust?
Mir passiert das schon häufiger. Licht im Raum angelassen, Heizung nicht abgedreht, Auto benutzt statt Fahrrad oder die Auffahrt mit Round Up bearbeitet. Gib mir etwas Zeit und es fallen mir noch viel, viel mehr Beispiele ein.
Ganz verunsichert bin ich immer in Gegenwart von den Menschen, die alles (fast) immer richtig machen. Sie haben kein oder kein eigenes Auto, bewegen sich mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV, kaufen nur Bio- oder Fair Trade Produkte. Sie tragen Wolle oder Baumwolle, haben Sonnenkollektoren für Stromerzeugung und Warmwasserproduktion auf den Dächern und die Wände ihres Hauses sind aus Lehmputz. Fast hätte ich es vergessen: Sie haben nicht nur die freundliche Atomsonne auf Fahrrad, Haustür oder Briefkasten. Aus ihren Steckdosen fließt ausschließlich der teurere Ökostrom! Philo hat versucht, es mir zu erklären. Trotz seiner gründlichen Bemühungen ist mir bis heute noch nicht ganz klar, wie man verhindert, dass nicht doch das eine oder andere Kilowattchen aus Brokdorf an der Unterelbe sich unter den grünen oder gelben Strom mischt. Treffen mit diesen, zugegeben meist sehr sympathische Zeitgenossen, strengen mich an. Ständig muss ich aufpassen, nichts Falsches zu tun, zu sagen. Immer eine halbwegs passable Erklärung im Ärmel haben, warum wir noch Auto fahren oder in vier Wochen trotz Mülltrennung immer noch 60 Liter im Restmüllbehälter haben. Über unsere Wanderung im Taurus Gebirge spreche ich nicht. Alle Erklärungen, warum wir in die Türkei geflogen sind, statt mit der Bahn in den Thüringer Wald zu fahren (Originalton Hedwig: „Ihr glaubt gar nicht, wie schön man vor der Haustür wandern kann!“), würden sofort mit unschlagbaren Ökoargumenten widerlegt.
Echt anstrengend, oder etwa nicht?
Vielleicht geht es ja nur mir so!
Aber, es gibt da noch die gemäßigten Ökos, die hart für eine lebenswertere Umwelt kämpfen und dabei nicht vergessen haben, gelegentlich über sich zu lachen und hin und wieder auch einmal den eigenen Grundsätzen untreu werden.
Tom und Drea zum Beispiel, aus Nürnberg. Die fliegen nach Kolumbien! Fahrrad, das sieht jeder ein, geht nicht: Atlantik! Und überhaupt, einfach zu weit. Mit dem Schiff? Sehr fragwürdig bei den fiesen Schwerölabgasen, die die Schiffsdiesel ungefiltert in die Luft abgeben. Außerdem haben auch Ökos nur so wenig Jahresurlaub, dass sie ihn nicht so gerne nur für die Fahrt mit dem Schiff nach Kolumbien und zurück verbrauchen. Ich kann auch verstehen, dass man mal etwas anderes als das Nördlinger Ries oder das fränkische Umland sehen will.
Also bei den beiden, bei Tom und Drea, kann man sich trotzdem wohlfühlen. Vielleicht, weil sie uns nicht immer durch die Blume zu verstehen geben, wo bei uns Entwicklungschancen bestehen, unsere ganz persönliche Ökobilanz zugunsten einer verbesserten Umwelt zu verändern.
Ja, wir sind wirklich gerne mit den beiden zusammen, wir kennen uns gut. Das heißt aber nicht, dass  eine Begegnung mit den beiden ohne Überraschungen abläuft.
Vor zwei, drei Jahren beispielsweise wurde mein Glaube an die ökologische Integrität der beiden heftig und noch dazu zu meinem ganz persönlichen Nachteil erschüttert.
Obwohl wir eigentlich alle vier, also Ulla, Drea, Tom und ich schon längst aus dem Alter heraus sind, in dem man bis „in die Puppen“ im Bett bleibt, bin ich der einzige, für den die Nacht je nach Abendprogramm meist bei 6 oder 7 Uhr morgens zuende ist.
Was tun in der fremden Wohnung?
Erst einmal umdrehen, zur Decke gucken, nachdenken,… Irgendwann wird es mir zu bunt. Leise schleiche ich zum Bad. Komme zurück. Sie schlafen immer noch alle. Ich beschließe Brötchen zu holen, vielleicht lebt die Wohnung, wenn ich zurückkomme.
In der Nebenstraße gibt es einen Bäcker. Es ist kein Biobäcker und es gibt keine Werbung für Dinkel-, Emmerbrote oder andere Produkte irgendwelcher Getreidesorten, deren Nutzung durch die Menschheit bis in die Jungsteinzeit zurückgeht. Schon beim Eintreten sehe ich eine bemerkenswerte Vielfalt von Körnerbrötchen. Brötchen, die das Herz eines jeden Körnerfreundes und Ökojunkies höher schlagen lassen müssen!
Denke ich!
Es gelingt mir relativ leicht, eine Mischung zusammenzustellen, für die ich mich nicht am Frühstückstisch schämen muss. Als dann die Frage der jungen Bäckereifachverkäuferin, wegen heftigen fränkischen Dialektes noch einmal in einem Hochdeutschverschnitt wiederholt gestellt wird, ob es denn noch etwas sein dürfe, werde ich weich. Für mich kaufe ich zwei schöne, helle Brötchen, die hier aber ganz anders heißen; mir aber trotzdem viel besser schmecken als die vielen Vollwert- und Körnerbrötchen.
Und wenn sie über mich herfallen, ich werde zu meinem Einkauf stehen: Zähne zusammen und durch!
Ach ja, das ist noch nicht alles. Schnell noch ein Pfund Jacobs Krönung kaufen. Bei denen gibt es nämlich keinen echten Kaffee, der sich filtern lässt. Sie brühen sich immer nur kleine Tässchen mit elendig schwarzem, dickem Kaffee, der dann mit viel heißer Milch gestreckt wird. Die Tüte, aus der der Kaffee kommt, hat keinen Markennamen. Ist wahrscheinlich eine Fair Trade Abfüllung vom Ebi, dem Bio Supermarkt um die Ecke.
Nix für mich, also nichts für ein 100%iges Frühstück. Ich habe in der Küche einen Filtertrichter und Filterpapier gesehen. Das gibt keinen Ärger, das können sie ab, die beiden. Sind ja tolerant fast ebenso, wie umweltbewusst.
Zurück in der Wohnung, inzwischen scheint schon die Sonne über die gegenüberliegenden Häuser in die Zimmer, finde ich immer noch niemanden vor. Also beschließe ich das Wagnis, ein Frühstück in einer fremden Wohnung vorzubereiten. Wenn mein Agieren nicht immer ganz geräuscharm ablief, war das durchaus beabsichtigt. Kaum, dass die Krönung in wohlduftenden Kaffee verwandelt ist, geht die Tür zu Dreas Zimmer auf. Noch etwas verschlafen setzt sie sich an den Tisch und schenkt sich, oh Wunder, vom Filterkaffee ein.
„Oh, frische Brötchen gibt es auch schon!“
Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Sie greift in den Brötchenkorb und nimmt eines von meinen hellen Brötchen aus dem Korb. Keine vorwurfsvolle Predigt! Sie schneidet das Brötchen auf, bestreicht die Hälften mit Butter und Marmelade und beißt genussvoll in das „ungesunde“ Weißmehlbrötchen.
Ich hätte mein Gesicht sehen mögen. Was geht hier ab. Bevor ich endgültig realisiere, was hier gerade passiert, öffnet sich die Tür, Tom kommt rein.
„Tomorrow („morgen“, Frankenenglisch, von Tom fälschlicherweise immer wieder gerne im Sinne von „Moin, Moin“ oder „Guten Morgen“ verwendet)! Oh, leckere Semmeln!“
Er greift in den Korb und mein zweites helles Brötchen landet auf Toms Teller.
Etwas fassungslos muss ich zur Kenntnis nehmen, dass ich heute Körnerbrötchen essen muss. Wer hätte das gedacht? Keine weißen Brötchen! Dafür aber hat der Ökoschein, der bis heute Drea und Toms Häupter umgab, spürbar an Glanz verloren.
Aber, wir sind uns noch einmal deutlich näher gekommen.
Alles Öko, oder was??!!!

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