Dienstag, 26. August 2014

Kackmanns Tannenbaum



                    
Kackmann gehört zu jenen Menschen, die immer alles besser wissen, alles besser können, die für jedes Problem eine Lösung wissen und dann, wenn sich die Dinge weiter entwickelt haben, selten mit ihrer Auffassung im Recht bleiben.
Unangenehm ist er eigentlich nicht – eher etwas anstrengend für seine Mitmenschen und, wenn man sich an seine Art gewöhnt hat, kann es sogar unterhaltsam mit ihm sein.

Vielleicht 14 Tage vor dem Weihnachtsfest unterhielten sich Kackmanns beiden Kollegen über den bevorstehenden Weihnachtsbaumkauf auf dem Stader Weihnachtsbaummarkt. Private Gespräche waren keine Seltenheit in diesem Büro und kennzeichneten das gute Klima zwischen den drei Angestellten.
Kackmann wäre nicht Kackmann, hätte er sich nicht nach kurzer Zeit in das Gespräch über Größe, Preise und Qualität der Weihnachtsbäume eingeschaltet.
„Versteh´ gar nicht, warum ihr euch keinen Baum aus dem Wald holt, frischer und billiger geht es doch wirklich nicht.“
Kackmann hatte bisher in jedem Jahr seinen Baum vom Stader Markt geholt. In diesem Jahr hatte er einen Zeitungsartikel über das Selberschlagen von Weihnachtsbäumen im Tageblatt gelesen.
„Steigert doch die weihnachtliche Vorfreude für die ganze Familie, so ein Waldausflug. Ist auch viel billiger und der Baum nadelt nicht schon am Heiligen Abend“, gab er sein gerade erworbenes Zeitungswissen weiter.
Sie ließen ihn reden, um ihm am Ende seiner Ausführungen zu sagen, dass sie ihren Baum auch in diesem Jahr wieder auf dem Stader Tannenbaummarkt kaufen würden.
„Groß wird er sein in diesem Jahr, frisch und nach Wald duften. Silvester wird er noch seine Nadeln haben! Ich lade euch mit euren Familien ein zum Weihnachtskaffee am 2. Weihnachtsfeiertag. Dann könnt ihr eure Mickerpalmen mit meinem Baum vergleichen! Ich möchte wetten, dass wir im nächsten Jahr gemeinsam in den Wald fahren werden!“

Zu Hause am Abendbrotstisch platzt Vater Kackmann schon mit der Neuigkeit heraus, bevor noch alle an ihrem Platz saßen. Almut Kackmann, die heute manchmal lieber ihren Mädchennamen Meier zurück gehabt hätte, der 12jährige Sohn Maik, den der Vater nach dem Vorbild amerikanischer Spielfilme meistens „Junior“ nannte, die 10jährige Jennifer und der kleine 5jährige Sebastian nahmen Kackmanns Ankündigung sehr unterschiedlich auf.

„Muss ich auch mit?“
Mutter Almut mit ihrer Vorliebe für Versandhausmode hoffte noch auf Befreiung von der Weihnachtsbaumaktion.
Im Gegensatz zu ihr waren die Kinder gleich Feuer und Flamme für Vater Kackmanns Vorschlag.
„Denk´ nur, was für ein schönes Familienerlebnis es wird und anschließend, wenn wir unseren Baum haben, kehren wir noch irgendwo in der Wingst zum Kaffeetrinken ein“, schwärmte der Familienvater.
Mit „dem schönen Familienerlebnis“ schnitt Vater Kackmann seiner Frau Almut den zaghaften Rückzug aus der Tannenbaumaktion so gut wie ab.

Wochenende

Erwin Kackmanns Fröhlichkeit – zugegeben etwas aufgesetzt – wirkte nur auf seine Kinder ansteckend. Ehefrau Almut hatte sich in Anbetracht des in Aussicht gestellten Kaffeetrinkens mit dem neuen Kleidervorschlag von der Katalogseite 314 angezogen: Kostüm in Herbstfarben, gelbockerfarbene Strümpfe, die halben Schuhe mit den nicht ganz langen Absätzen und dem Wintermantel vom Vorjahr.
Kackmann selber hat sich auf das Ereignis vorbereitet wie ein Buschläufer. Eine Armeehose in Tarnfarbe – schon vor Jahren aus Heeresrestbeständen erworben – olivfarbene Gummistiefel, Daunenweste unter der Bundeswehrparka und, etwas unpassend dazu, der karierte Hut, den er auch immer zum Dienst trägt. Ein Hut ähnlich dem, den der Altkanzler Adenauer immer trug, wenn er Boccia spielte.
Junior, Jenni und Sebastian saßen erwartungsvoll mit ihren Gummistiefeln im Fond des zweijährigen Japaners.
Mit Axt, Säge und Seil im Kofferraum verließ die Familie am frühen Nachmittag ihr Dorf in Richtung Naherholungsgebiet Wingst, das sich schon bald mit seinen dunklen Waldhügeln am Ende der Elbmarsch vor dem hellen Winterhimmel abzeichnete. Kackmann trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad, pfiff dabei immer ein und dieselbe Melodie irgendwelcher bayrischer Stimmungsmacher, die sich bei seinem letzten Stadeumsbesuch in seinem Kopf festgesetzt hatte. Er war zufrieden. Kackmann war meistens zufrieden – daran konnten auch seine häufigen Niederlagen nichts ändern.
„Kinder, dieser Tag wird euch in Erinnerung bleiben“, sprach er in den Rückspiegel blickend. Dabei ahnte er noch nicht, wie Recht er behalten sollte.

Mitten im Hochwald setzte Kackmann den Blinker und bog nach rechts in einen Waldweg. Vor einem Sperrbalken führte eine Fahrspur im spitzen Winkel durch die hohen Fichten. Am Anfang dieser Spur stoppte er den Wagen, stellte den Motor aus, atmete tief durch und sagte genießerisch: „Oh diese Ruhe! Herrlich!“
Die Wagentüren öffneten sich, ein Schrei durchbrach die Waldesstille! Almut Kackmann zog ihren Fuß zurück ins Wageninnere – schwarz bis knapp über den Knöchel. Ohnehin nicht in bester Laune hatte sie die tiefe Wagenspur neben der Beifahrertür übersehen.
Vielleicht war dieses Missgeschick – so unangenehm sich der schlammüberzogene Fuß auch anfühlte – gar nicht so verkehrt: Hatte sie nun doch einen Grund, im Auto sitzen zu bleiben.

Ohne Mutter Kackmann bewegte sich die Familie ausgestattet mit Axt und Säge durch den Hochwald zu der dahinter liegenden Fichtenschonung. Bald schon war der Weihnachtsbaum gefunden. Junior hielt die unteren Zweige hoch, der Vater sägte und die Kleinen schauten zu. Gute drei Meter neigten sich zur Seite. Als der Baum fiel, ließ Junior die Zweige los. Einer wischte Kackmann durchs Gesicht. Mit den leuchtendrot aufblühenden Schrammen im Gesicht entfuhr ihm ein Fluch, den er normalerweise vor den Kindern unterdrückt hätte. Der schmutzige Handschuh fuhr reflexartig über das Gesicht, um den aufkommenden Schmerz zu lindern und hinterließ dabei schwarze, harzige Flecken auf dem Gesicht. Während der Schmerz noch nicht nachgelassen hatte, johlten die Kinder vor Vergnügen, weil ihr Vater mit diesem Gesicht so lustig aussah.
Kackmann unterdrückte seinen Groll. Erste, heimliche Zweifel beschlichen ihn, ob die Entscheidung, selbst einen Weihnachtsbaum zu schlagen, richtig gewesen war.
Kaum, dass der Schmerz sich verzogen hatte, musste Kackmann feststellen, dass er diesen Baum unmöglich mitnehmen konnte. An den Zweigen, die zum Nachbarbaum gezeigt hatten, waren fast alle Nadeln abgescheuert. Der Baum blieb liegen und ein zweiter Baum, diesmal sorgfältiger untersucht, fand das Gefallen der Familie und wurde gefällt. Das dicke Ende tragend bahnte sich Kackmann gefolgt von Junior in knapp drei Meter Entfernung, der das dünne Ende in der Hand hielt, einen Weg durch die Schonung. Jenni und Sebastian halfen sich gegenseitig durch die zurückschnellenden Zweige. Ihnen waren Axt und Säge anvertraut.

„So, nun haben wir es gleich geschafft“, meinte Kackmann zu seinen Kindern, als sie den Waldweg erreicht hatten. Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als sich eine Gestalt mit Dackel aus dem Dunkel des Hochwaldes löste, unschwer als Förster zu erkennen.
„Guten Tag! Wo haben Sie denn den Baum her, bitte schön?“
Kackmann, sichtlich verlegen, versuchte dem Forstmann zu erklären, dass er den Baum abgesägt neben der Schonung gefunden habe.
„So, so, und Axt und Säge rein zufällig dabei gehabt“, fragte er in einem Ton, der zweifelsfrei erkennen ließ, dass alles Lügen zwecklos sei.
Da mischte sich der kleine Sebastian ein und meinte: „Mein Papi hat doch ein bisschen Recht. Ein Baum liegt da noch! Den haben wir zuerst abgesägt aber der taugte nichts.“
Kackmann wollte es nicht glauben! Sein eigen Fleisch und Blut brachte ihn in noch größere Verlegenheit als er ohnehin schon war.
„Dann haben Sie also zwei Bäume geschnitten. Sie müssen doch gewusst haben, dass man nicht einfach so in den Wald gehen darf, um sich einen Tannenbaum zu besorgen. Wären Sie gleich auf das Forstamt gekommen, hätte ich Ihnen eine Schonung angewiesen. Von einer Anzeige wegen Diebstahls will ich einmal absehen, weil Weihnachten vor der Tür steht. Bezahlen müssen Sie schon, zehn Euro nehmen wir jetzt für den Meter.“
Er zückte einen Quittungsblock aus seiner ledernen Umhängetasche und begann eine Quittung auszustellen.
Kackmann war, entgegen seiner Art, ganz still geworden. Er kramte in seinem Portemonnaie und hielt dem Forstmann schon 30 Euro entgegen.
Als der mit der Schreiberei fertig war, nahm er die Geldscheine, rieb sie zwischen seinen Fingern und sah Kackmann fragend an.
„Stimmt etwas nicht?“ fragte Vater Kackmann.
„Was ist mit dem anderen Baum, von dem Ihr Sohn sprach? Der gehört Ihnen jetzt auch. Ich nehme an, dass er auch um die drei Meter lang ist und habe deshalb die Quittung auf 60 Euro ausgestellt.“
Wortlos griff Kackmann erneut zur Geldbörse, zückte einen Fünfziger und erhielt zwanzig von seinen bereits gezahlten dreißig Euros zurück. Dazu eine Quittung unterschrieben mit H. von Wensow.
Der Förster tippte mit der Fingerspitze an seinen Hut, zog seinen Hund, der gerade an den Weihnachtsbaum pinkelte, zu sich heran und verabschiedete sich mit den Worten: „Frohes Fest wünsche ich dann noch und im nächsten Jahr kommen Sie dann aber bitte gleich zu mir, ja?“
Die Amtsperson war erst wenige Schritte entfernt, als Jenni flüsternd fragte, ob der Papi denn nun geklaut habe?
Kackmann, der es nicht gewohnt war, Niederlagen kampflos hinzunehmen, arbeitet fieberhaft daran, den Diebesmakel loszuwerden.
„Eigentlich“, begann er, „eigentlich gehörte uns der Baum schon, bevor ich ihn bezahlt hatte. Wisst ihr, was der Förster gemacht hat, war nicht ganz richtig. Dieser Wald ist ein Staatsforst, der allen gehört, auch mir. Ich habe mir nur meinen kleinen Teil herausgeholt, der mir ohnehin schon gehörte.“
„Warum hast du dann noch für die Bäume bezahlt?“ fragte Junior seinen Vater.
Kackmann war auch hier nicht um die passende Antwort verlegen.
„Förster sind nur kleine Beamte, die nicht viel verdienen und immer auf unseren Wald aufpassen müssen. Da habe ich mir gedacht, jetzt zu Weihnachten kann er vielleicht gut ein paar Euros gebrauchen, um seinen Kindern und seiner Frau Weihnachtsgeschenke kaufen zu können.“
„Und für seinen Dackel“, ergänzte der kleine Basti, „der an unseren Weihnachtsbaum gepinkelt hat.“
„Ja, für den auch“, versuchte Kackmann das Gespräch zu beenden. Schon fast am Auto angekommen, spürte er die Quittung in seiner freien Hand. Zorn stieg in ihm auf und er schleuderte das zusammengeknüllte Papier zwischen die Fichtenstämme neben dem Weg.
„Du hast eben Papier verloren, Papi!“ rief Jenni. „Das ist Umweltverschmutzung!“
„Ist es nicht!“ knurrte Kackmann. „Papier ist aus Holz, der Wald auch – passt also gut zusammen!“
Die letzten Meter bis zum Auto wurden wortlos zurückgelegt.  
Schräg, mit dem dicken Ende zuerst, drückten Kackmann und Junior den Baum in die Ecke des japanischen Kofferraumes. Weihnachtsmusik drang aus dem beschlagenen Innenraum des Autos. Almut Kackmann hatte sich mit notdürftig gereinigtem Fuß mit dem Autoradio getröstet, nachdem die beschlagenen Scheiben ihr den Ausblick in das Tannengrün genommen hatten.

Kaum, dass der Baum verschnürt war, schwang Kackmann sich hinter das Steuer seines Wagens, startete den Motor, legte den Rückwärtsgang ein und gab Gas. Der Motor heulte auf aber das Auto bewegte sich trotz drehender Antriebsräder nicht vom Fleck.
Junior und Mutter sollten etwas schieben, vorne, an den Scheinwerfern. „Viel fehlt nicht!“ rief Kackmann durch das Seitenfenster mit der heruntergedrehten Scheibe, „etwas ruckeln!“
Tatsächlich bewegte sich das Auto etwas zurück, um dann jedoch erneut festzusitzen.
„Noch einmal nach vorne!“ schallte das Kommando des Familienvaters durch den Wald.
Almut Kackmann stelzte wie ein Storch über Pfützen und Tannenzweige, packte das Rücklicht und stemmte sich mit ihren ganzen 58 Kilogramm gegen den festsitzenden Japaner.
Der Motor heulte auf – Frau Kackmann auch! Das konnte ihr Ehemann aber durch das Geräusch des Motors und der durchdrehenden Reifen nicht hören.
Kackmann ging vom Gas. Weder Motor noch Reifen heulten; aber durch die Stille des Waldes hörte Kackmann nun das Heulen seiner Frau. Sie saß auf einer Fichtenwurzel, die Hände vor dem Gesicht und von oben bis unten zog sich über den Versandhauschic ein autoreifenbreiter, schwarzer Dreckstreifen. Selbst auf der Brille saß ein Placken Walderde, der langsam abzurutschen begann.

Basti heulte auch, Jenni schwieg und Junior suchte Tannenzweige, um sie vor die Antriebsräder zu legen. Kackmann versuchte seine Frau notdürftig zu reinigen. Er zog ihr den Mantel aus und setzte sie – nun schon erheblich sauberer und nicht mehr heulend – auf den Beifahrersitz.
Kackmann begann den Familienausflug heimlich zu verfluchen, wenngleich er das niemals zugeben würde. Juniors Patent mit den Zweigen klappte. Der Wagen machte einen gehörigen Satz über den Weg, beinahe gegen den Sperrbalken, den Kackmann wegen der beschlagenen Scheiben nicht gesehen hatte. Lediglich der Tannenbaum ist an dem Pfosten entlanggeschrammt. Von den drei oberen Zweigenkreisen hing jeweils ein Zweig - nur noch mit ein wenig Borke dem Stamm verbunden – senkrecht nach unten. Das aber konnte Kackmann nicht sehen.

Es fing zu dämmern an. Die Scheiben wurden klar, alle wollten nach Hause. An gemütliche Einkehr dachte niemand mehr. Kackmann fing vorsichtig wieder damit an, die Melodie von der Hinfahrt zu pfeifen, Mutter Kackmann saß schweigend, ja, wenn nicht gar anklagend auf dem Beifahrersitz. Die Kinder, von der Waldluft müde, vergaßen sogar, sich auf der Rückbank zu streiten.
Ein rotes Licht auf der Straße kurz vor der Molkerei Hasenfleet, fast schon an der Kreisgrenze, ließ Vater Kackmann auf die Bremse treten. Er drehte die Scheibe herunter. Ein freundlicher Polizist bückte sich runter und sagte durch das geöffnete Fenster: „Guten Tag! Fahrzeugkontrolle, die Papiere bitte!“
Gott sei Dank! Kackmann hatte alles dabei und der Wagen war auch gerade in der Werkstatt.
Der Beamte ging um den Wagen, reichte die Papiere durch das Fenster und meinte freundlich: „Alles in Ordnung!“ Wohl als Scherz gemeint fügte er noch hinzu: „Den Tannenbaum haben Sie aber nicht geklaut?“
Er wollte sich schon abwenden, da mischte Basti sich in das Gespräch ein.
„Richtig geklaut haben wir den Baum nicht. Der kommt nämlich aus dem Staatsforst und der gehört sowieso allen. Dieser Baum gehörte meinem Papi!“
Kackmann wäre am liebsten in den Fußraum seines Japaners versunken.
„Herr Kackmann“, sagte der Polizist, „können Sie einen Nachweis darüber bringen, woher Sie diesen Baum haben? Eine Quittung vielleicht?“
Kackmann blätterte in seiner Brieftasche, obwohl er sehr genau wusste, dass er die Quittung dort nicht finden würde.
„Ich habe den Baum gekauft vom Forstamt. Äh, ich habe 60 € dafür gegeben, äh, Kinder sagt dem Polizisten, dass das wahr ist.“
„Das stimmt“, sagt Jenni, „Papi hat dem Jäger 60 € gegeben, damit er für seine Familie Weihnachtsgeschenke kaufen kann.“
„Getrunken haben sie nichts, Herr Kackmann?“ fragte der Polizist. „Das kommt mir doch alles sehr merkwürdig vor. Fahren Sie uns bitte nach zur Polizeiwache in Cadenberge. Wir werden von dort klären, ob Sie den Baum bezahlt haben.“

Glück für Kackmann: Der Förster war gleich am Apparat. Er konnte sich nur zu gut an die Familie erinnern und bestätigte dem Polizisten, dass die beiden Bäume ordnungsgemäß bezahlt wurden.
Die beiden Bäume? Der Polizist runzelte die Stirn. Da war doch nur ein Baum, im Kofferraum? Irgendetwas stimmte heute nicht. Na ja, wird schon seine Richtigkeit haben. „Sie können fahren, Herr Kackmann, und denken Sie daran, dass Sie im nächsten Jahr die Quittung aufheben! Gute Fahrt!“

Almut Kackmann überlegte die ganze Rückfahrt über, ob sie ihr Schweigen brechen sollte. Wenn ja, würde es ein fürchterliches Gewitter geben. Sie entschied sich, weiter zu schweigen – bis zum nächsten Morgen.

Stumm verließ die Familie das Auto und ging ins Haus. Kackmann, allein mit seinem frischen, selbstgeschlagenen Tannenbaum nach einem „herrlichen Familienausflug“, fühlte sich einsam, wie selten zuvor. Während er den Baum auspackte bemerkte er die abgeknickten Zweige. „Nicht so schlimm“, dachte er, „da werde ich neue Zweige in den Stamm einbohren.“
Der regennasse Baum musste in den Heizungsraum zum Abtrocknen. Die schwere Eisentür zum Heizungsraum stieß er mit dem Fuß auf, die Hände waren ja belegt. Ein rascher Schritt vorwärts in den Raum, jedoch nicht schnell genug. Die Tür klappte zu und die Spitze des Weihnachtsbaumes fiel auf der anderen Seite der Tür auf den Boden. Kackmann bemerkte es, aber ihm fehlte der nötige Antrieb die abgefallene Spitze vom Boden aufzuheben.

Zwei Tage vor dem Fest drängte Almut Kackmann ihren Mann, den Weihnachtsbaum in die Stube zu holen. Kackmann hatte fast den Albtraum der Baumexpedition vergessen. Auch im Büro redete er nicht darüber, obwohl seine Kollegen Meiners und Holten ihn einmal fragten, ob er denn einen schönen Baum gefunden habe.
Er ging also in den Keller, griff den schön abgetrockneten, kräftig nach Fichte duftenden Baum und zwängte ihn durch die Tür des Heizungskellers. Zurück blieb ein Nadelteppich. Nicht anders war es an der nächsten Tür und, als der Baum im Wohnzimmer ankam, trug er nur noch die Hälfte seiner Nadeln, drei Zweige hingen wie an einem dünnen Faden, Die Spitze fehlte ganz und gar.
Almut Kackmann war lautlos hinter ihrem Mann in das Zimmer getreten.
„Raus! Raus mit diesem elendigen Baum und sieh zu, wo du einen anderen her bekommst!“ zischte sie mehr als sie sprach durch die kaum geöffneten Zähne ihren Mann an.

Am letzten Tag vor Weihnachten schlich Kackmann sich mit „Fröhliche Weihnachten!“, das alles andere als fröhlich klang, nach Feierabend aus dem Büro. Viele Bäume gab es nicht mehr auf dem Stader Weihnachtsbaummarkt. Die guten Bäume waren längst schon ausgesucht. Kackmann entschied sich am Ende für einen Baum, für den er in den vergangenen Jahren nicht einen Euro hingelegt hätte.

Ach ja! Ganz ist die Geschichte noch nicht zuende. Von Kackmann ganz vergessen, standen am zweiten Weihnachtstag die Familien seiner Kollegen vor der Tür. Großes Hallo! „Und nun wollen wir uns doch einmal euren Weihnachtsbaum ansehen!“ Nett waren sie, die Kollegen. Besonders der lange Holten schwieg zum Kackmannschen Baum. Meiners konnte sich nicht verkneifen, diesen Baum zu kommentieren.
„Weißt du, Erwin, wenn ich mir deinen schönen, frischen und  selbstgeschlagenen Baum so ansehe, glaube ich, dass ich meine „Mickerpalme“ doch lieber weiter vom Weihnachtsbaummarkt in Stade holen werde.“
Mutter Kackmann und die Kinder, soweit sie es verstanden hatten, grinsten. Vater Kackmann wechselte schnell das Thema und versuchte seine Gäste von den Vorzügen japanischer Autos zu überzeugen.

Die Wahrheit über Kackmanns Weihnachtsbaum erfuhren die Kollegen erst im Sommer während des alljährlich stattfindenden Betriebsausfluges. Das war, als Kackmann, der lange Holten und Meiners sich der letzten Liter Bowle angenommen hatten – aus reiner Sorge, dass sie sonst verkommen könnte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen