Montag, 25. August 2014

B 73 - Eine Katzengeschichte



Es war die Zeit, als Gerd noch jeden Freitag in seinem Holzofen das unschlagbar leckere Brot für sich und seine Freunde buk. Gleich neben dem Katzenhaus, das Gudrun als Herberge für herrenlose und pflegebedürftige Katzen aus dem halben Landkreis eingerichtet hat, stand der von Gerd handgemauerte Backofen. Jeden Freitag wurde eingeheizt und ab 18 Uhr lagen 12 runde und unglaublich duftende Brotlaibe zur Abholung bereit. Sie warteten auf Personen aus dem Bekannten- und Freundeskreis.
Nun wurde das Brot nie einfach so abgeholt. Gerd nutzte die beträchtliche Restwärme seines Ofens, um damit köstlich gewürzte Hähnchenteile in einer schweren, schwarzen Eisenpfanne zu garen. Ab 18 Uhr trafen die ersten Brotabnehmer ein, wählten sich eines der im Holzregal liegenden Brote aus und entrichteten ihren Obulus für Brot und Bewirtung in das bereitstehende Spendenglas. Dann suchte man sich einen Platz am massigen Holztisch im Wintergarten der Gastgeber. Auf dem Tisch befanden sich lauter ausgesuchte Leckereien und die große schwarze Pfanne mit den zerkleinerten Hähnchen. Der Duft des frischen Brotes, der Hähnchenpfanne, verschiedener Wurst- und Käsesorten erfüllte den Wintergarten mit seinen kleinen Zitronenbäumchen und selbstgezogenen Paprika Pflänzchen. Nach gut zwei Stunden Genuss mit Essen, Trinken und lauten Diskussionen über die wichtigen und weniger wichtigen Ereignisse des Dorfes und der Welt löste sich die Runde auf.
Brotholen hatte höchsten Genuss- und Unterhaltungswert. Nur, wenn es gar nicht anders ging, verpasste ich einen dieser Abende. Mir waren sie bald so lieb, wie meiner Schwester ihre Tatortsendungen am Sonntagabend.
Terminüberschneidungen am Freitag  ließen sich nie ganz vermeiden. Trat der Fall ein, begab ich mich am Sonnabendmorgen zu Gudrun und Gerd, packte mein Brot in den Jutebeutel und setzte mich zu Gudrun und Gerd an den Tisch. Während stets eine der zur Hausgemeinschaft zählenden Katzen sich schnurrend an mein Bein schmiegte, nahm ich den Bericht vom Vorabend entgegen.
An einem dieser Sonnabende komme ich in den Wintergarten und ein großer, schwarzer Kater liegt mit geschlossenen Augen anscheinend völlig teilnahmslos auf dem Stuhl, den ich mir zum Sitzen ausgeguckt hatte. Während ich mich auf dem Nebenstuhl niederließ, stellte Gudrun mir den Neuzugang vor.
 „Das ist B 73, den Namen hat er von Gerdi bekommen. Er ist sehr aggressiv im Umgang sowohl mit den anderen Katzen als auch uns gegenüber. Schlechte Zeiten muss er hinter sich haben, anders kann ich mir sein Verhalten nicht erklären.“
„B 73, ein ungewöhnlicher Name“, meinte ich und streckte gleichzeitig meinen Arm aus, um, wie ich es bei allen Katzen tat, das Tier durch Streicheln und Kraulen für mich einzunehmen. Zeitgleich mit Gudruns Warnung erwachte B 73 aus seinem scheinbaren Schlaf, fauchte mich an und schlug mit seiner Tatze gegen meine ausgestreckte Hand, die ich erschrocken im allerletzten Moment  zurückzog.
„Du darfst ihn nicht anfassen. Das dürfen nicht einmal Gerd und ich. Er hat einen extrem schwierigen Charakter, muss schlimme Zeiten durchgemacht haben.“
Noch beeindruckt von der Blitzattacke des Katers fragte ich nach dem Grund für diesen etwas ungewöhnlichen Katzennamen.
Gudrun, die Katzenmutter des Nordkreises, hatte B 73 aus irgendeinem Grunde in ihre Obhut genommen. Weil sie natürlich nicht alle herrenlosen und hilfsbedürftigen Katzen beherbergen kann, bekommen sie bei ihr nur ein Zuhause auf Zeit, bis sie wieder genesen sind und in liebevolle Hände abgegeben werden. B 73 fiel etwas aus dem Rahmen. Er zeigte keinerlei Dankbarkeit für  das schöne Zuhause, das er bei Gudrun und Gerd vorfand. Ganz im Gegenteil, jeder Versuch, sich ihm liebevoll zu nähern, wurde mit einer Attacke beantwortet. Da reichte dann auch bald die Katzenliebe von Gudrun und Gerd nicht mehr. Dieser unsoziale Kater musste schnellstmöglich das Haus verlassen. Per Anzeige sollte B 73 ein neues Zuhause bekommen. Die Zeitungsanzeige war ein kleines Kunstwerk. Sie erweckte Mitleid mit dem Tier verschwieg jedoch auch nicht, dass der Kater nicht ganz problemlos sei.
„…, deswegen nur in fürsorglichen Haushalt ohne Kleinkinder gegen Schutzgebühr abzugeben.“
Wer holt sich schon gerne freiwillig ein Problem ins Haus? Tagelang gab es keine Reaktion auf die Anzeige und keinerlei Anzeichen, dass sich an B 73 Verhalten irgendetwas zum Guten entwickeln würde. Rat- und Hilflosigkeit begannen sich in dem sonst so katzenfreundlichen Haus breit zu machen. Als eine Woche verstrichen war, schien sich eine Lösung des Problems anzubahnen.
Eine etwas älter klingende Männerstimme meldete sich per Telefon.
„Ich ruf´ wegen die Katze in´e Zeitung an, issie noch zu haben?“
Gudruns Herz begann zu klopfen. Jemand fragt wegen des schwererziehbaren Katers an. Gleichzeitig rührt sich ihr Gewissen.
„Ja, aber Sie haben doch gelesen, dass er nicht ganz einfach ist?“
„Ja, hab´ich.“
„Passt er den in Ihre Familie?“
„Ich bin allein.“
„Er ist aber nicht sehr zahm.“
„Macht nix, brauch´ wieso alle paar Wochen ´ne neue Katze.“
Die Alarmglocken der Katzenmutter schrillten.
„Wieso brauchen Sie alle paar Wochen eine neue Katze?“
„Ach wissen Sie, ich wohn direkt an´e B 73, die leben nie lange bei mir.“
Gudrun beendete das Gespräch nicht ohne dem Mann mitgeteilt zu haben, dass  der Kater ein liebevolles Zuhause und nicht den frühen Tod auf der Bundesstraße B 73 zwischen Hamburg und Cuxhaven sucht. Als sie Gerd von dem Interessenten erzählte war auch für ihn sofort klar, dass der Kater auf keinem Fall zu diesem Mann „an´e B 73“ darf.

Es gab keine weiteren Anrufe, niemand interessierte sich für die Problemkatze. Der Kater fand irgendwie einen Weg mit den übrigen Hausbewohnern auszukommen, Katzen und Menschen respektierten seine Marotten.
Er hatte nicht nur ein neues Zuhause sondern auch einen neuen Namen bekommen:
B 73!

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