Freitag, 3. April 2015

Jana Fabijan, meine Freundin aus dem Internet



Als ich noch bei Facebook registriert war, wurde ich innerhalb weniger Wochen von FreundInnen und Freundschaftsanfragen förmlich erschlagen. Menschen, von deren Existenz ich bis zu dem Zeitpunkt nicht die geringste Ahnung hatte, baten um meine Freundschaft. Und das, wo ich doch schon kaum den Kontakt zu all meinen vielen anderen Freundinnen und Freunden  halten kann. Diese Welle der Freundschaft bedrückte mich, drohte mich zu erdrücken. Ich riss die Reißleine – will sagen, ich stieg bei Facebook aus und ließ einen beträchtlichen nationalen und internationalen Freundeskreis hinter mir im Netz zurück. Was sich hier so einfach anhört, war keinesfalls einfach. Facebook rächt sich an untreuen Freunden, indem ein Ausstieg so schwer gemacht wird, dass manch ein ausstiegswilliger verzweifelt aufgibt und reumütig in den Schoß von Mutter Facebook und damit zu den vielen verlassenen FreundInnen zurückkehrt.
Ich habe nicht aufgegeben! Es dauerte noch Monate nach dem Ende meiner Freundschaft mit Facebook, bis keine Freundschaftsanfragen mehr auf meinem PC eingingen. Ich gewöhnte mich daran, belächelt und bemitleidet zu werden, weil ich nicht zur Facebook-Family gehöre und ich konnte mich wieder auf den alten Stamm bewährter Freundinnen und Freunde konzentrieren.
Bis zum 22. Dezember 2014 war mein Freundschaftsgefüge noch einigermaßen in Ordnung. Dann aber sorgte eine neue „Internet Freundin“ für Irritationen. Es schreibt mir Jana Fabijan aus Kroatien in bestem, fehlerfreiem Englisch.
„Frau Jana Fabijan
Ich bin Jana Fabijan aus Kroatien. Ich möchte ein Projekt mit dir besprechen. Sei so freundlich und nimm Kontakt zu mir auf, damit ich dir alle Einzelheiten nennen kann.
Frau Jana Fabijan“

Wer war noch Jana Fabijan? Das ist doch irgendeine Masche? Löschen? Oder kenne ich sie doch? Wir waren doch gerade in Kroatien. Ich lösche die Mail.

Und wenn es doch jemand ist aus dem Kreis der vielen Bekannten des Comenius Austausches oder anderer Kontakte damals, als ich noch voll im Beruf stand? Zweifel kommen auf. Ich, der selbsternannte Vorzeigeeuropäer, will plötzlich nichts mehr wissen vom Austausch der Nationen und Kulturen. Peinlich, wenn Jana vielleicht einmal meine Gastgeberin gewesen sein sollte.

Ich öffne den Papierkorb. Janas Mail erwartete mich dort noch. Ich öffne sie, es kann ja schließlich nichts Schlimmeres geschehen, als beim ersten Öffnen und da ist ja auch schon nichts geschehen. Ich lese erneut, dass sie mit mir ein Projekt besprechen will. Altlast aus der Schulzeit? Ich beschließe zu antworten. Was kann schon passieren? Knapp  schreibe ich zurück:

22.12.14 um 16.18 Uhr
„In Ordnung, beginnen wir den Dialog, aber kein Schwindel, keine Werbung! J. Petersen“

Was habe ich nur losgetreten? Jana schreibt zurück. Bevor ich den Inhalt erfasse sehe ich einen umfangreichen Brief. Nun wird sich wohl aufklären, in welcher Beziehung meine Freundin Jana Fabijan zu mir steht.

22.12.2014
„Ich grüße dich, Jörg,
ich danke dir sehr für deine Antwort. Ich weiß nicht, wie du mir im Einzelnen helfen kannst, eigentlich brauche ich nur dein Vertrauen. Außerdem möchte ich dich bitten, sehr diskret zu sein. Erzähle niemandem davon bis der Aktenkoffer unbemerkt und sicher bei dir angekommen ist. Ich habe zu große Angst, dass die Familie meines Ehemannes Wind von der Existenz dieses Koffers bekommt. Es treibt mir die Tränen in die Augen bei dem Gedanken, was sie mit dem anderen Besitz gemacht haben, den mein Mann mir hinterlassen hat (Land und andere Besitztümer…). Ich bin eine Kroatin, hier herrschen andere Regeln. Die Familie meines Mannes belauscht all meine Gespräche und die Brüder meines Mannes spionieren hinter mir her. Das ist der Grund, warum ich nicht das Risiko eingehen kann, mit dir zu telefonieren. Es könnte sonst zu leicht geschehen, dass ich auch noch das Letzte, das mir geblieben ist, verliere.
Wenn wir also kommunizieren scheint mir die Methode per E-Mail am sichersten. Also, wenn du mir in dieser Angelegenheit helfen willst, sollten wir über den Prozentsatz reden, mit dem ich dich beteilige. Ich würde zu gerne reisen und dich auf der Stelle sehen, aber, wie ich dir bereits erzählte, kann ich es im Moment noch nicht riskieren. Ich muss warten, bis der Koffer sicher bei dir ist und ich dann heimlich zu dir kommen kann.
Gleich nach deiner Zustimmung werde ich dir in meiner nächsten E-Mail die Adresse einer Firma schicken, die in Westeuropa liegt, damit du sie kontaktieren und mit ihnen das Verfahren und die Bedingungen besprechen kannst, wie du den Aktenkoffer aus ihrer Obhut übernimmst.
Ich möchte dich bitten, abzuwarten, bis die Sicherheitsfirma von mir informiert worden ist, wer von mir beauftragt wurde, den Aktenkoffer für mich entgegenzunehmen. Ich warte darauf  bald von dir zu hören.
Gott segne dich.
Jana“
Was für ein Schicksal! Das stinkt doch nach Betrug! Oder doch nicht?
Kenne ich dich, Jana?
Ich kenne dich nicht! Ich verbanne die Mail in den Papierkorb.

Weihnachten kommt, Weihnachten vergeht, Jana Fabijan, meine „Freundin“ aus Kroatien ist schon vergessen. Dann, am 27. Dezember 2014 ist sie plötzlich wieder da. Auferstanden von den Toten, einfach so, als wollte sie sich nicht damit abfinden, von mir in den Papierkorb verbannt worden zu sein.

„Ich grüße dich, wie geht´s dir? Ich hoffe, dass alles mit dir in Ordnung ist. Ich frage mich, warum du mir gegenüber schweigst. Hast du meine Nachricht erhalten? Ich habe auf eine Antwort gewartet. Bleibe bitte in Verbindung mit mir. Ich bin bekümmert, nichts von dir zu hören. Gott segne dich.
Jana“

Nein, Jana, wer immer du bist und welche Probleme du hast, ich kann und will mich nicht auf dich einlassen. Auch diese Mail kommt zu den anderen in den Papierkorb
Ich hatte Jana schon wieder vergessen als Am 2.1.2015 ein weiteres Lebenszeichen von Jana in meinem Postfach auftauchte.

„Sei gegrüßt und ein glückliches neues Jahr! Wie geht´s denn? Ich hoffe, dass alles in Ordnung ist mit dir. Hast du meinen Brief erhalten?   Lass mich nicht alleine! Gott segne dich!
Jana“

Auch diese Mail leistete den vorhergegangenen, ohne beantwortet worden zu sein, im Papierkorb Gesellschaft. Jana geriet ein weiteres Mal in Vergessenheit. Wer nun glaubt, die Geschichte sei damit abgeschlossen, kennt Jana schlecht.  Am 28. Januar hat sie meine Zurückhaltung nicht länger ertragen können. Knapp aber eindeutig fordert sie mich auf, Farbe zu bekennen.

„Sei gegrüßt, mache mir Sorgen, nichts von dir zu hören. Bleib bitte unbedingt in Verbindung mit mir, damit ich einschätzen kann, wie du zu mir stehst. Ich warte auf eine Antwort! Gott schütze dich.
Jana“

Plötzlich ist da wieder so etwas Vertrautes. Kennt sie mich vielleicht doch? Muss ich sie irgendwoher kennen? Ich bin zutiefst verunsichert. Wie hieß denn noch das nette Flüchtlingskind aus Kroatien, das damals während des Balkankrieges zu uns an die Schule kam und dann, bevor sie wieder zurück in ihre zerstörte Heimatstadt musste, eine Lehre beim Zahnarzt begonnen hatte? Hieß sie nicht Jana? Es fällt mir ein, sie hieß Marijana. Wenn Jana nun eine Kurzform von Marijana ist. Wendet sie sich an mich, weil sie mir damals  schon vertraute und nicht enttäuscht worden ist?
Aber dann müsste sie sich doch etwas anders ausdrücken und Marijana konnte schon sehr gut Deutsch, als sie uns wieder verlassen musste.
Die Mail verschwand im Papierkorb, die Zweifel nagten und irgendwann habe ich sie wieder geöffnet.

Am 28. Januar schrieb ich um 15.49 Uhr zurück:
„Hallo Jana,
bitte schreibe ein wenig mehr von dir. Wo haben wir uns schon getroffen, Wann war es? Schicke mir ein Foto von dir, damit ich dich einordnen, mich erinnern kann.“

Jana hat bereits am nächsten Tag geantwortet. Freude spricht aus ihren Worten und zwei Fotos befanden sich als Anhang in der Mail. Ich öffnete sie. Sie zeigten eine Frau mittleren Alters. Anfangs glaubte ich noch, dass es zwei verschiedene Frauen seien, was sich aber beim genaueren Hinschauen als Irrtum erwies. Ich konnte die Bilder keiner Frau aus meinem weiten Bekannten- und Freundeskreis zuordnen. Jana war ich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit niemals zuvor in meinem Leben begegnet.
In ihrer Mail vom 29. Januar schreibt sie:

„Ich grüße dich Jörg,
vielen Dank für deine Antwort, Ich bin sehr glücklich, wieder von dir zu lesen. Ich hatte Kontakt zu dir aufgenommen, um dich kennenzulernen und zu sehen, ob es sich empfiehlt mit dir zusammenzuarbeiten. Ich möchte dich nur bitten, meinen Aktenkoffer von der Sicherheitsfirma in Belgien entgegenzunehmen und mir dann zu helfen, mein Geld günstig zu investieren. Ich möchte aus Kroatien wegziehen in euer Land in der Absicht, dort ein neues Leben zu beginnen. Ich habe meine Eltern verloren und ebenso meinen geliebten Ehemann. Ich sehe einfach keine Veranlassung, bei den Brüdern meines verstorbenen Mannes zu bleiben. Ich muss sie verlassen und sehe keinen Grund jemals zu ihnen zurückzukehren bis ich tot bin. Ich bin dort durch die Hölle gegangen. Ich will hier nicht sterben! Bitte nimm mich als deine Tochter an und stehe mir zu Seite. Ich warte auf deine Antwort. Bitte bleib in Kontakt mit mir, damit ich dir erzählen kann, was weiter zu tun ist und damit ich dir den Empfangsschein für den Geldkoffer mit den Absprachen mit der Sicherheitsfirma in Belgien schicken kann. Ich warte. Halte bitte den Kontakt! Gott schütze dich!
Jana“

Mein Gott, ich kenne sie nicht, das ist doch irgendeine Abzocke. Das muss ein Ende haben und zwar schnell. Kurz und schmerzlos – für mich – will ich zu einem Ende der Freundschaft kommen.
Am 29. Januar um 21.10 Uhr schreibe ich, und das nun unwiderruflich zum letzten Mal:

„Tut mir leid, bin nicht in der Lage zu helfen! Bitte beende den Kontakt!“

Was habe ich bloß mit dieser Zeile in unserem EU Partnerland ausgelöst? Jana ist total aufgelöst, mobilisiert noch einmal all ihre Kräfte und holt zum Allegro furioso aus. Am 30. Januar antwortet sie um 14.10 Uhr:

„Ich grüße dich Jörg,
meine Augen sind voller Tränen während ich deine Nachricht lese. Warum ist diese Welt so voller Elend und Boshaftigkeit? Was habe ich getan, um dieses elende Leben ertragen zu müssen? Gott, warum bringst du mich in diese Welt des Leidens. Ich fühle, als hätte ich mich selbst getötet, weil ich dir vertraut habe und dir alles von mir erzählt habe. Aber du hast dich entschieden, mich aufzugeben und das in vollem Bewusstsein meiner Situation. Bedenke bitte meine Situation als die einer Witwe und hilf mir. Ich muss hier weg. Ich will nicht sterben. Ich habe meine Eltern verloren und auch meinen geliebten Ehemann. Bitte hilf mir! Ich flehe dich an.
Jana“

Es reicht, Jana. Ab in den Papierkorb!

Einige Tage später kommt mir der Name Jana Fabijan wieder in den Sinn. Ich hatte eine ihrer Mails nicht in den Papierkorb verschoben und deshalb gab es Jana noch einmal auf der Liste des Posteingangs. Jana Fabijan!

Was sagt eigentlich Google zu Jana Fabijan?
Ich finde:

The so-called "419" scam is a type of fraud dominated by criminals from Nigeria and other countries in Africa. Victims of the scam are promised a large amount of money, such as a lottery prize, inheritance, money sitting in some bank account, etc.
Victims never receive this non-existent fortune but are tricked into sending their money to the criminals, who remain anonymous. They hide their real identity and location by using fake names and fake postal addresses as well as communicating via anonymous free email accounts and mobile phones. Keep in mind that scammers DO NOT use their real names when defrauding people.
The criminals either abuse names of real people or companies or invent names or addresses.
Any real people or companies mentioned below have NO CONNECTION to the scammers![1]
So läuft der Hase also, Jana, du bist also nur eine Strohfrau der betrügerischen Nigerianer??! Bekomme ich jetzt Ärger mit den Nigerianern? Diesen Online-Betrügern? Jeden Morgen erwarte ich auf dem Bildschirm nach dem Computerstart den Hinweis:
 „Your new password is deposited in Nigeria!
Und, Jana, wer bist du wohl wirklich?
Ich will es gar nicht mehr wissen!


[1] Der sogenannte „419“ Betrug ist eine Form des Betruges, die von Kriminellen aus Nigeria und anderen afrikanischen Ländern zur Anwendung kommt. Opfern des Betruges wird eine größere Summe Geldes versprochen, wie zum Beispiel ein Lotteriegewinn, eine Erbschaft oder Geld auf irgendeinem Bankkonto etc. Opfer gelangen niemals in den Genuss dieses nicht vorhandenen Glückes, aber sie werden beschwatzt, ihrerseits Geld an diese Kriminellen zu schicken, die natürlich unerkannt bleiben. Sie verbergen ihre wahre Identität und ihren Aufenthaltsort, indem sie falsche Namen und falsche Postadressen benutzen und über freie, anonyme E-Mailadressen und Handys kommunizieren.
Merke dir, dass solche Betrüger niemals ihren tatsächlichen Namen benutzen, wenn sie Leute abzocken wollen. Sie missbrauchen entweder Namen existierender Personen oder Firmen oder sie erfinden Namen und Adressen. Keine der unterzeichnenden Personen oder Firmen haben irgendeinen wahren Bezug zu den Betrügern.

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