Als ich noch bei Facebook
registriert war, wurde ich innerhalb weniger Wochen von FreundInnen und
Freundschaftsanfragen förmlich erschlagen. Menschen, von deren Existenz ich bis
zu dem Zeitpunkt nicht die geringste Ahnung hatte, baten um meine Freundschaft.
Und das, wo ich doch schon kaum den Kontakt zu all meinen vielen anderen
Freundinnen und Freunden halten kann.
Diese Welle der Freundschaft bedrückte mich, drohte mich zu erdrücken. Ich riss
die Reißleine – will sagen, ich stieg bei Facebook aus und ließ einen
beträchtlichen nationalen und internationalen Freundeskreis hinter mir im Netz
zurück. Was sich hier so einfach anhört, war keinesfalls einfach. Facebook
rächt sich an untreuen Freunden, indem ein Ausstieg so schwer gemacht wird,
dass manch ein ausstiegswilliger verzweifelt aufgibt und reumütig in den Schoß
von Mutter Facebook und damit zu den vielen verlassenen FreundInnen
zurückkehrt.
Ich habe nicht
aufgegeben! Es dauerte noch Monate nach dem Ende meiner Freundschaft mit
Facebook, bis keine Freundschaftsanfragen mehr auf meinem PC eingingen. Ich
gewöhnte mich daran, belächelt und bemitleidet zu werden, weil ich nicht zur
Facebook-Family gehöre und ich konnte mich wieder auf den alten Stamm bewährter
Freundinnen und Freunde konzentrieren.
Bis zum 22. Dezember
2014 war mein Freundschaftsgefüge noch einigermaßen in Ordnung. Dann aber
sorgte eine neue „Internet Freundin“ für Irritationen. Es schreibt mir Jana
Fabijan aus Kroatien in bestem, fehlerfreiem Englisch.
„Frau Jana Fabijan
Ich bin Jana Fabijan aus Kroatien. Ich möchte ein Projekt mit dir
besprechen. Sei so freundlich und nimm Kontakt zu mir auf, damit ich dir alle
Einzelheiten nennen kann.
Frau Jana Fabijan“
Wer war noch Jana Fabijan? Das
ist doch irgendeine Masche? Löschen? Oder kenne ich sie doch? Wir waren doch
gerade in Kroatien. Ich lösche die Mail.
Und wenn es doch jemand ist aus
dem Kreis der vielen Bekannten des Comenius Austausches oder anderer Kontakte
damals, als ich noch voll im Beruf stand? Zweifel kommen auf. Ich, der
selbsternannte Vorzeigeeuropäer, will plötzlich nichts mehr wissen vom
Austausch der Nationen und Kulturen. Peinlich, wenn Jana vielleicht einmal
meine Gastgeberin gewesen sein sollte.
Ich öffne den Papierkorb. Janas
Mail erwartete mich dort noch. Ich öffne sie, es kann ja schließlich nichts
Schlimmeres geschehen, als beim ersten Öffnen und da ist ja auch schon nichts
geschehen. Ich lese erneut, dass sie mit mir ein Projekt besprechen will.
Altlast aus der Schulzeit? Ich beschließe zu antworten. Was kann schon
passieren? Knapp schreibe ich zurück:
22.12.14 um 16.18 Uhr
„In Ordnung, beginnen wir den Dialog, aber kein Schwindel, keine
Werbung! J. Petersen“
Was habe ich nur losgetreten?
Jana schreibt zurück. Bevor ich den Inhalt erfasse sehe ich einen umfangreichen
Brief. Nun wird sich wohl aufklären, in welcher Beziehung meine Freundin Jana
Fabijan zu mir steht.
22.12.2014
„Ich grüße dich, Jörg,
ich danke dir sehr für deine Antwort. Ich weiß nicht, wie du mir im
Einzelnen helfen kannst, eigentlich brauche ich nur dein Vertrauen. Außerdem
möchte ich dich bitten, sehr diskret zu sein. Erzähle niemandem davon bis der
Aktenkoffer unbemerkt und sicher bei dir angekommen ist. Ich habe zu große
Angst, dass die Familie meines Ehemannes Wind von der Existenz dieses Koffers
bekommt. Es treibt mir die Tränen in die Augen bei dem Gedanken, was sie mit
dem anderen Besitz gemacht haben, den mein Mann mir hinterlassen hat (Land und
andere Besitztümer…). Ich bin eine Kroatin, hier herrschen andere Regeln. Die
Familie meines Mannes belauscht all meine Gespräche und die Brüder meines
Mannes spionieren hinter mir her. Das ist der Grund, warum ich nicht das Risiko
eingehen kann, mit dir zu telefonieren. Es könnte sonst zu leicht geschehen,
dass ich auch noch das Letzte, das mir geblieben ist, verliere.
Wenn wir also kommunizieren scheint mir die Methode per E-Mail am
sichersten. Also, wenn du mir in dieser Angelegenheit helfen willst, sollten
wir über den Prozentsatz reden, mit dem ich dich beteilige. Ich würde zu gerne
reisen und dich auf der Stelle sehen, aber, wie ich dir bereits erzählte, kann
ich es im Moment noch nicht riskieren. Ich muss warten, bis der Koffer sicher
bei dir ist und ich dann heimlich zu dir kommen kann.
Gleich nach deiner Zustimmung werde ich dir in meiner nächsten E-Mail
die Adresse einer Firma schicken, die in Westeuropa liegt, damit du sie
kontaktieren und mit ihnen das Verfahren und die Bedingungen besprechen kannst,
wie du den Aktenkoffer aus ihrer Obhut übernimmst.
Ich möchte dich bitten, abzuwarten, bis die Sicherheitsfirma
von mir informiert worden ist, wer von mir beauftragt wurde, den Aktenkoffer für
mich entgegenzunehmen. Ich warte darauf
bald von dir zu hören.
Gott segne dich.
Jana“
Was für ein Schicksal! Das stinkt doch nach
Betrug! Oder doch nicht?
Kenne ich dich, Jana?
Ich kenne dich nicht! Ich verbanne die Mail
in den Papierkorb.
Weihnachten kommt, Weihnachten vergeht, Jana
Fabijan, meine „Freundin“ aus Kroatien ist schon vergessen. Dann, am 27.
Dezember 2014 ist sie plötzlich wieder da. Auferstanden von den Toten, einfach
so, als wollte sie sich nicht damit abfinden, von mir in den Papierkorb
verbannt worden zu sein.
„Ich grüße
dich, wie geht´s dir? Ich hoffe, dass alles mit dir in Ordnung ist. Ich frage
mich, warum du mir gegenüber schweigst. Hast du meine Nachricht erhalten? Ich
habe auf eine Antwort gewartet. Bleibe bitte in Verbindung mit mir. Ich bin
bekümmert, nichts von dir zu hören. Gott segne dich.
Jana“
Nein, Jana, wer immer du bist und welche
Probleme du hast, ich kann und will mich nicht auf dich einlassen. Auch diese
Mail kommt zu den anderen in den Papierkorb
Ich hatte Jana schon wieder vergessen als Am
2.1.2015 ein weiteres Lebenszeichen von Jana in meinem Postfach auftauchte.
„Sei gegrüßt
und ein glückliches neues Jahr! Wie geht´s denn? Ich hoffe, dass alles in
Ordnung ist mit dir. Hast du meinen Brief erhalten? Lass mich nicht alleine! Gott segne dich!
Jana“
Auch diese Mail leistete den
vorhergegangenen, ohne beantwortet worden zu sein, im Papierkorb Gesellschaft.
Jana geriet ein weiteres Mal in Vergessenheit. Wer nun glaubt, die Geschichte
sei damit abgeschlossen, kennt Jana schlecht.
Am 28. Januar hat sie meine Zurückhaltung nicht länger ertragen können.
Knapp aber eindeutig fordert sie mich auf, Farbe zu bekennen.
„Sei
gegrüßt, mache mir Sorgen, nichts von dir zu hören. Bleib bitte unbedingt in
Verbindung mit mir, damit ich einschätzen kann, wie du zu mir stehst. Ich warte
auf eine Antwort! Gott schütze dich.
Jana“
Plötzlich ist da wieder so etwas Vertrautes.
Kennt sie mich vielleicht doch? Muss ich sie irgendwoher kennen? Ich bin
zutiefst verunsichert. Wie hieß denn noch das nette Flüchtlingskind aus
Kroatien, das damals während des Balkankrieges zu uns an die Schule kam und
dann, bevor sie wieder zurück in ihre zerstörte Heimatstadt musste, eine Lehre
beim Zahnarzt begonnen hatte? Hieß sie nicht Jana? Es fällt mir ein, sie hieß
Marijana. Wenn Jana nun eine Kurzform von Marijana ist. Wendet sie sich an
mich, weil sie mir damals schon
vertraute und nicht enttäuscht worden ist?
Aber dann müsste sie sich doch etwas anders
ausdrücken und Marijana konnte schon sehr gut Deutsch, als sie uns wieder
verlassen musste.
Die Mail verschwand im Papierkorb, die
Zweifel nagten und irgendwann habe ich sie wieder geöffnet.
Am 28. Januar schrieb ich um 15.49 Uhr
zurück:
„Hallo Jana,
bitte
schreibe ein wenig mehr von dir. Wo haben wir uns schon getroffen, Wann war es?
Schicke mir ein Foto von dir, damit ich dich einordnen, mich erinnern kann.“
Jana hat bereits am nächsten Tag
geantwortet. Freude spricht aus ihren Worten und zwei Fotos befanden sich als
Anhang in der Mail. Ich öffnete sie. Sie zeigten eine Frau mittleren Alters.
Anfangs glaubte ich noch, dass es zwei verschiedene Frauen seien, was sich aber
beim genaueren Hinschauen als Irrtum erwies. Ich konnte die Bilder keiner Frau
aus meinem weiten Bekannten- und Freundeskreis zuordnen. Jana war ich mit sehr
großer Wahrscheinlichkeit niemals zuvor in meinem Leben begegnet.
In ihrer Mail vom 29. Januar schreibt sie:
„Ich grüße
dich Jörg,
vielen Dank
für deine Antwort, Ich bin sehr glücklich, wieder von dir zu lesen. Ich hatte
Kontakt zu dir aufgenommen, um dich kennenzulernen und zu sehen, ob es sich
empfiehlt mit dir zusammenzuarbeiten. Ich möchte dich nur bitten, meinen
Aktenkoffer von der Sicherheitsfirma in Belgien entgegenzunehmen und mir dann
zu helfen, mein Geld günstig zu investieren. Ich möchte aus Kroatien wegziehen
in euer Land in der Absicht, dort ein neues Leben zu beginnen. Ich habe meine
Eltern verloren und ebenso meinen geliebten Ehemann. Ich sehe einfach keine
Veranlassung, bei den Brüdern meines verstorbenen Mannes zu bleiben. Ich muss
sie verlassen und sehe keinen Grund jemals zu ihnen zurückzukehren bis ich tot
bin. Ich bin dort durch die Hölle gegangen. Ich will hier nicht sterben! Bitte
nimm mich als deine Tochter an und stehe mir zu Seite. Ich warte auf deine
Antwort. Bitte bleib in Kontakt mit mir, damit ich dir erzählen kann, was
weiter zu tun ist und damit ich dir den Empfangsschein für den Geldkoffer mit
den Absprachen mit der Sicherheitsfirma in Belgien schicken kann. Ich warte.
Halte bitte den Kontakt! Gott schütze dich!
Jana“
Mein Gott, ich kenne sie nicht, das ist doch
irgendeine Abzocke. Das muss ein Ende haben und zwar schnell. Kurz und
schmerzlos – für mich – will ich zu einem Ende der Freundschaft kommen.
Am 29. Januar um 21.10 Uhr schreibe ich, und
das nun unwiderruflich zum letzten Mal:
„Tut mir
leid, bin nicht in der Lage zu helfen! Bitte beende den Kontakt!“
Was habe ich bloß mit dieser Zeile in
unserem EU Partnerland ausgelöst? Jana ist total aufgelöst, mobilisiert noch
einmal all ihre Kräfte und holt zum Allegro furioso aus. Am 30. Januar
antwortet sie um 14.10 Uhr:
„Ich grüße
dich Jörg,
meine Augen
sind voller Tränen während ich deine Nachricht lese. Warum ist diese Welt so
voller Elend und Boshaftigkeit? Was habe ich getan, um dieses elende Leben
ertragen zu müssen? Gott, warum bringst du mich in diese Welt des Leidens. Ich
fühle, als hätte ich mich selbst getötet, weil ich dir vertraut habe und dir alles
von mir erzählt habe. Aber du hast dich entschieden, mich aufzugeben und das in
vollem Bewusstsein meiner Situation. Bedenke bitte meine Situation als die
einer Witwe und hilf mir. Ich muss hier weg. Ich will nicht sterben. Ich habe
meine Eltern verloren und auch meinen geliebten Ehemann. Bitte hilf mir! Ich
flehe dich an.
Jana“
Es reicht, Jana. Ab in den Papierkorb!
Einige Tage später kommt mir der Name Jana
Fabijan wieder in den Sinn. Ich hatte eine ihrer Mails nicht in den Papierkorb
verschoben und deshalb gab es Jana noch einmal auf der Liste des Posteingangs.
Jana Fabijan!
Was sagt eigentlich Google zu Jana Fabijan?
Ich finde:
The so-called "419" scam is a type of fraud dominated by
criminals from Nigeria and other countries in Africa. Victims of the scam are
promised a large amount of money, such as a lottery prize, inheritance,
money sitting in some bank account, etc.
Victims
never receive this non-existent fortune but are tricked into sending their
money to the criminals, who remain anonymous. They hide their real identity and
location by using fake names and fake postal addresses as well as communicating
via anonymous free email accounts and mobile phones. Keep in mind that
scammers DO NOT use their real names when defrauding people.
The criminals either abuse names of real people or companies or invent names or addresses.
Any real people or companies mentioned below have NO CONNECTION to the scammers![1]
The criminals either abuse names of real people or companies or invent names or addresses.
Any real people or companies mentioned below have NO CONNECTION to the scammers![1]
So läuft der Hase also, Jana, du bist also
nur eine Strohfrau der betrügerischen Nigerianer??! Bekomme ich jetzt Ärger mit
den Nigerianern? Diesen Online-Betrügern? Jeden Morgen erwarte ich auf dem
Bildschirm nach dem Computerstart den Hinweis:
„Your new password is deposited in
Nigeria! “
Und, Jana, wer bist du wohl wirklich?
Ich will es gar nicht mehr wissen!
[1] Der
sogenannte „419“ Betrug ist eine Form des Betruges, die von Kriminellen aus
Nigeria und anderen afrikanischen Ländern zur Anwendung kommt. Opfern des
Betruges wird eine größere Summe Geldes versprochen, wie zum Beispiel ein
Lotteriegewinn, eine Erbschaft oder Geld auf irgendeinem Bankkonto etc. Opfer
gelangen niemals in den Genuss dieses nicht vorhandenen Glückes, aber sie
werden beschwatzt, ihrerseits Geld an diese Kriminellen zu schicken, die
natürlich unerkannt bleiben. Sie verbergen ihre wahre Identität und ihren
Aufenthaltsort, indem sie falsche Namen und falsche Postadressen benutzen und
über freie, anonyme E-Mailadressen und Handys kommunizieren.
Merke dir, dass solche Betrüger niemals ihren
tatsächlichen Namen benutzen, wenn sie Leute abzocken wollen. Sie missbrauchen
entweder Namen existierender Personen oder Firmen oder sie erfinden Namen und
Adressen. Keine der unterzeichnenden Personen oder Firmen haben irgendeinen wahren
Bezug zu den Betrügern.
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