Freitag, 9. Januar 2015

Weihnachtsbaum verschenkt - Was nun?




Weihnachten ohne Weihnachtsbaum? Ehrlich gesagt, ich kann es mir kaum vorstellen. Weihnachtsbäume haben jedes meiner bislang 63 miterlebten Weihnachtsfeste begleitet. Warum sollte das in diesem Jahr zu meinem 64. Weihnachtsfest anders sein?
Ungefähr zwei Wochen vor dem Fest  fahre ich bei Hans-Heinrich auf den Hof, um etwas mit ihm abzusprechen. Hans-Heinrich steckt voll im Weihnachtsbaumgeschäft. Ungefähr einen halben ha, südlich seines Hauses und Gartens gelegen, bepflanzt er mit Weihnachtsbäumen. Die meisten Bäume sind Douglasien, gelegentlich pflanzt er auch einige Fichten. Die sind nicht mehr in Mode, aber, im Gegensatz zu den Douglasien verströmen sie den typischen Fichtennadelduft, wenn sie zu Weihnachten in der geheizten Stube stehen. Nur wenige Liebhaber, einer von ihnen bin ich, suchen noch nach Fichten.
Ole, der größte und gutmütigste aller Deutscher Schäferhunde, die ich kenne, begrüßt mich als erster auf dem Rappschen Anwesen. Ich kann kaum die Autotür aufbekommen, weil er sich davor aufgebaut hat und erst mit sanftem Druck durch das Autoblech zur Seite weicht. Bevor ich Hans-Heinrich die Hand gebe, muss Ole seine Kraueleinheiten bekommen.
„Geht los jetzt mit dem Baumverkauf“,  meint Hans-Heinrich mit Blick auf einige Tannenbäume, die an die Verkaufsstellage gelehnt auf Käufer warten.
„Hast du noch ein paar Fichten im Bestand?“
Hans-Heinrich führt mich zur Schonung hinter dem Garten. Der Boden ist sehr weich und ich muss aufpassen, dass nicht Wasser und Matsch oben in meine Halbschuhe laufen. Er bleibt gleich zu Beginn der Plantage vor einem Fichtengrüppchen stehen. Ich sehe sofort meinen Weihnachtsbaum 2014. Es stimmte alles: Fichte, gerade  und gleichmäßig gewachsen und so groß, dass er den Raum zwischen Teppich und Zimmerdecke komplett ausfüllen würde.
„Den nehme ich!“
Hans-Heinrich nimmt ein Namensschildchen mit Bindfaden aus der Tasche seiner Arbeitsjacke, presst auf die für ihn typische Art seine Zungenspitze zwischen die Lippen, so dass sie gerade eben herausschaut, und schreibt meinen Namen mit dem Edding auf das Schild. Während er das Schildchen im oberen Drittel an den stattlichen Baum befestigt, teilt er mir mit, dass sie den Baum rechtzeitig vor dem Fest zu uns nach Hause bringen würden.
25 Euro, ein echter Freundschaftspreis. Auch, wenn Fichte nicht mehr allzu hoch in der Beliebtheitsskala steht, müsste sie etwas teurer sein. Hans-Heinrich ich danke dir.
Ich fahre vom Hof mit dem Gefühl, meinen Part für das Weihnachtsfest zur vollsten Zufriedenheit erledigt zu haben. Es gibt noch andere Dinge im Leben als Weihnachtsbäume. Bis der Baum geliefert wird, muss er mich nicht mehr beschäftigen. Schön, dass alles geregelt ist.

Eine Woche vor dem Fest
Uschi ruft an und fragt, ob sie am Freitag vorbeikommen können. Sie wollen ihre Tannenbäume aus Oederquart abholen. Klar können sie und wir verabreden uns mittags zum Fisch.
Freitagvormittag, ich komme ins Haus.
„Das hättest du ruhig mit mir besprechen können“, meint Elke mit vorwurfsvoller Stimme.
„Was?“
„Na, das mit dem Tannenbaum. Das kannst du doch nicht einfach so entscheiden. Ich wollte in diesem Jahr keinen, ich will das nicht mehr mit den Nadeln und sowieso, dafür, dass die Kerzen nur einmal am Heiligabend leuchten. Ich will das nicht mehr und Ines will auch keinen Baum – höchstens einen ganz kleinen.“
„Ich dachte doch nur… Wieso kommst du darauf? Ist der Tannenbaum hier?“
„Ja, Christian hat ihn gebracht und Susanne (unsere Haushaltshilfe) hat ihn eben in den Schuppen getragen, damit er abtrocknen kann. Nein, wirklich, ich will das nicht und finde es auch nicht gut, dass du einfach einen gekauft hast, ohne vorher mit mir zu reden.“
Ich schweige, weiß nicht, was ich noch sagen soll. Viele Dinge gehen mir durch den Kopf. Erinnerungen an die vielen Weihnachtsbäume, die ich in meinem Leben erlebt habe, Kinderweihnacht selbst als Kind und später mit unseren Kindern erlebt und das Bild, wie Anne ihren letzten Weihnachtsbaum um das eine oder andere Schmuckteil ergänzte. Im Tageblatt hatte ich gelesen, dass der Weihnachtsbaum in Deutschland einfach dazu gehört. „Selbst Traditionsverweigerer stellen einen Nadelbaum auf“, stand dort zu lesen.
Und nun sollte es keinen Weihnachtsbaum geben? Soll ich mich durchsetzen? Nein, auch keine Lösung, dann muckschen Ines und Elke die ganzen Weihnachtstage rum. Ist es das wert? Nein, ich akzeptiere einfach, dass wir zu den 10% aller deutschen Haushalte mit drei und mehr Personen zählen, die laut Aussage der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald keinen Weihnachtsbaum aufstellen.

Freitagmittag, meine Schwester Uschi und mein Schwager Norbert kommen auf den Hof. Schon bald nach dem Essen müssen sie aufbrechen, um ihre beiden Tannenbäume noch vor der Dämmerung in der Kajedeicher Schonung zu finden. Draußen vor der Tür fragt Norbert nach einer Säge. Ich nehme sie im Schuppen vom Haken und stolpere fast über meinen Weihnachtsbaum. Wozu brauche ich ihn? Zurückgeben kann ich ihn auch nicht. Weihnachten, das Fest der Freude, warum nicht den Baum verschenken?
„Könnte dieser Baum nicht für euch passen? Wir brauchen in diesem Jahr keinen, Elke will´s nicht.“
Uschis Blick etwas ratlos als wollte sie sagen: „Spaß, oder?“
Kein Spaß und nach etwas Beratung, ob die Größe passen könnte, wurde das Geschenk dankbar angenommen und auf dem Autodach verschnürt. Der 64. Weihnachtsbaum in meinem Leben verschwindet hinter der Ausfahrt vom Grundstück und muss Weihnachten ohne mich in Hamburg feiern.

Freitagnachmittag am Kaffeetisch.
„Und, was machen wir nun mit dem Baum?“
„Welchem Baum?“
„Dem draußen im Schuppen.“
„Da ist keiner mehr.“
„Und wieso nicht?“
„Weil ich ihn verschenkt habe.“
„Du hast unseren Baum einfach so verschenkt? An Uschi und Norbert?“
„Ja, du wolltest doch keinen.“
„Hab ja nicht gesagt, dass ich keinen will. Nur einen kleinen, nicht so groß.“
„Nun ist er weg.“

Sonntag, wir fahren beim Gärtner vor, um noch eine Blume für Maria zu kaufen. An der Hauswand lehnen einige Bäume, deren Spitzen mir höchstens bis zur Schulter reichen. Elke sieht sie, verharrt mit den Augen eine Sekunde auf den Weihnachtsbäumchen.
„Und, wenn wir so einen kleinen nehmen?“
Ich antworte nicht. Es arbeitet in meinem Kopf. Wie würde es mit einem kleinen Baum aussehen? Ich werde mich mit Ines, unserer Tochter, beraten, sie kommt am Dienstag.

Dienstagnachmittag, am Tag vor Weihnachten, ruft Hans-Heinrich an, um etwas zu besprechen.
„Da kommen doch immer noch Leute und suchen einen Weihnachtsbaum, sogar im Dunkeln.“
„Vielleicht komme ich auch noch, vielleicht morgen früh. Ich brauche eventuell noch einen kleinen Baum.“
„Na, denn komm´ mal!“

Dienstagabend, der Zug kam etwas verspätet in Hemmoor an. Weihnachtswetter: Böen bis hin zu Orkanstärke treiben den Regen waagerecht über die Straße. Wir freuen uns, dass es im Auto warm und trocken ist.
„Ines, ich muss noch etwas mit dir besprechen. Wir haben in diesem Jahr keinen Tannenbaum.“
„Na und, erwartest du nun einen Zusammenbruch, du weißt doch, dass es mir nichts ausmacht. Das geht schon in Ordnung, allein aus ökologischer Sicht!“
Ja, aus ökologischer Sicht. Hatte ich noch gar nicht so gesehen. Im Tageblatt stand, dass 24 Millionen Weihnachtsbäume im Jahr in Deutschland verkauft würden. Bliebe es beim Weihnachtsfest ohne Baum bei uns, könnte ein Baum ein weiteres Jahr lang Sauerstoff für die ohnehin schon viel zu belastete Luft produzieren. Nur 23 Millionen und 999 Tausend verkaufte Weihnachtsbäume würden das Tannenbaumgeschäft 2014 nicht wahrnehmbar belasten. Wir albern etwas rum, bis ich doch noch einmal auf mein ursprüngliches Anliegen zurückkomme. Ich erzähle ihr von dem Tannenbaum, den ich verschenkt habe und, dass ich auf Elkes zaghaften Vorschlag, es doch einmal mit einem kleineren Baum zu versuchen, nicht reagiert hätte, weil ich erst mit ihr, Ines, darüber sprechen wollte.
„Es ist so, Ines, ich habe den Baum verschenkt, weil ich dachte, dass nicht ich es immer sein muss, der sich mit seinen Wünschen bezüglich Weihnachtsbaum durchsetzt. Ich wollte nicht, dass es wegen des Baumes Unstimmigkeiten zu Weihnachten gibt. Das ist mir die Angelegenheit dann doch nicht wert.“
„Dann ist doch alles gut jetzt, oder!?“
„Eben nicht, Elke hat ja den Vorschlag gemacht, dass wir einen kleinen Baum nehmen könnten, Ich habe darauf nicht reagiert. Hatte das Gefühl, dass sie das nur vorgeschlagen hat, damit ich nicht traurig bin. Ich glaube, es ist nicht ihr echter Wunsch. Sie will doch eigentlich überhaupt keinen Baum in der Stube haben. Ich könnte ja noch einen von Hans-Heinrich holen aber dann muss ich immer nur daran denken, dass der kleine Baum ein Kompromiss ist, den keiner will.“
„Ich könnte damit leben.“

Dienstagabend beim Abendessen
„Ines, in diesem Jahr haben wir keinen Tannenbaum, Jörg hat ihn verschenkt.“
„Hab schon gehört.“
„Er will auch keinen kleinen Baum. Habe ich ihm vorgeschlagen.“
„Ich kann auch ohne.“
„Und ich“, schalte ich mich in die Unterhaltung ein, „will es nun ohne Weihnachtsbaum probieren.“

Heilig Abend, wir sitzen in der Küche und haben ein köstliches Weihnachtsessen mit Rindsrouladen, Rot- und Rosenkohl, Kartoffeln mit Sauce hinter uns. Die Rumpfbescherung steht bevor. Rumpfbescherung, weil wir uns eigentlich nichts mehr schenken. Elke hat ein paar Kleinigkeiten für Ines besorgt und Ines hat ein Geschenk für ihre Eltern dabei. Außerdem hat Ines aus Berlin einige Gaben von Moni mitgebracht.
Bescherung ohne Tannenbaum, und sei sie noch so abgespeckt, geht gar nicht. Aber so soll es nun einmal in diesem Jahr sein.
„Habt ihr eigentlich einen Schlüssel für Brauns Haus?“
„Ja, haben wir.“
Pause
„Die sind doch bis morgen Mittag bei ihren Kindern?“
„Ja.“
„Dann brauchen die doch keinen Tannenbaum.“
„Du meinst doch nicht …“
„Doch, wir gehen da jetzt rüber und leihen uns den Weihnachtsbaum aus. Morgen früh bringen wir ihn zurück.“
„Ines, du spinnst!“
„Komm, Jörg, wir ziehen uns an und holen Brauns Baum.“
Elke schüttelt den Kopf über die Spinnerei ihrer Tochter und beginnt damit, die Küche aufzuräumen.
Während ich in die Stiefel steige und mir den Mantel überwerfe kommen mir Zweifel.
„Ines, sollen wir wirklich?“
„Ja, wir sollen. Komm!“
Sie ist so entschlossen, Widerspruch ist zwecklos. Wir verlassen das Haus, in den Häusern um uns herum feiern die Familien Weihnachten. Nur bei Britta und Bernhard, drei Häuser weiter, ist alles finster. Hoffentlich sieht uns jetzt niemand, denke ich noch, während ich die Haustür aufschließe. In der Wohnstube finden wir den geschmückten Weihnachtsbaum. Er sieht ein wenig anders aus, als wir es gewohnt sind, statt echter Kerzen gibt es Elektrokerzen und auch sonst gibt es Baumschmuck, der uns fremd ist. Insgesamt macht er einen etwas traurigen Eindruck, als spüre er, dass er, obwohl Sinnbild für Weihnachten schlechthin, nun am Heiligen Abend völlig unbeachtet in Brauns Wohnzimmer stehen muss. Ich öffne die Terrassentür und wir stellen gemeinsam den Baum nach draußen. Lichter aus und alle Türen wieder gewissenhaft schließen. Ob die Nachbarn, Owe und Gisela, etwas mitbekommen haben? Vielleicht sind sie gerade bei Giselas Mutter? Soll ich sie nicht doch lieber anrufen?
Elke ist noch in der Küche beschäftigt. Ines und ich bugsieren das Bäumchen in unsere Wohnstube. Es scheint so, als sei nichts beim Transport durch die Finsternis verloren gegangen.
„So“, meint Ines, „hier steht er richtig. Ist doch die Stelle, wo wir ihn sonst auch immer haben. Stecker rein und „Oh, Tannenbaum“ singen!“
Elke kommt in dem Moment in die Stube, als Ines gerade ihre Gaben unter dem Baum ablegt.
„Was ist hier denn los? Wo kommt denn der Baum her?“
„Von Brauns!“
„Ich glaube es nicht, spinnt ihr!?“
„Nein, ist doch alles optimal! Bei Brauns hat er keine Aufgabe, du willst doch einen kleinen Baum, Jörg ist nicht ohne Baum und für die Umwelt haben wir auch noch etwas getan!“
„Geht doch nicht! Brauns? Bernhard und Britta kommen morgen doch wieder!“
„Dann ist der Baum auch wieder zurück. Ein Leihbaum sozusagen. Entspann dich!“
Restweihnachten läuft nach Plan. Elke schüttelt immer wieder den Kopf, wenn ihr Blick auf den geliehenen Weihnachtsbaum fällt.

Erster Weihnachtstag, noch vor dem Frühstück stöpsel ich den Tannenbaum aus und schaffe ihn zurück in Brauns Wohnstube. Wie stand er denn noch? Ach ja, mit dem Kabel zum Schrank. Noch ein Kontrollblick. Täusche ich mich? Sieht der Baum nicht glücklicher aus als gestern? Scheint ihm gut getan zu haben, der kleine Ausflug zu den Nachbarn. Es ist alles in Ordnung, Brauns können nach Hause kommen. Auf der Straße kommen mir Gisela und Owe entgegen.
„Frohe Weihnacht, hast du bei Brauns mal nach dem Rechten gesehen?“
„Ja“, sag ich, „wollte nur mal sehen, ob jemand den Tannenbaum geklaut hat.“
„Ja, ja, passiert ja so einiges. Aber ein geklauter Tannenbaum wäre ja ´mal etwas Neues!“
Wir gehen unserer Wege nicht, ohne uns noch einmal gegenseitig alles Gute zu wünschen.
Nein, denke ich für mich, geklaut war er ja nun wirklich nicht – nur ausgeliehen und pünktlich wieder zurückgebracht.

Erster Weihnachtstag, nachmittags.
Es klingelt. Britta und Bernhard stehen vor der Tür. Sie wünschen uns ein frohes Fest und wir bitten sie rein ins „Weihnachtszimmer“.  Britta blickt in die Ecke, in der sonst immer unser Weihnachtsbaum steht.
„Oh, ihr habt wirklich keinen Tannenbaum. War das nicht merkwürdig, Weihnachten ohne Weihnachtsbaum?“
„Nein, wir hatten ja einen.“
„Schon rausgeschmissen?“
„Nein wir hatten dieses Jahr einen Leihbaum.“
„Leihbaum?“
„Ja, einen Leihbaum, komplett geschmückt. Ist aber schon wieder zurück.“ Grinsend ergänze ich: „Wenn er über 24 Stunden bei uns steht gilt nämlich schon der Zweitagestarif.“
Britta und Bernhard blicken irritiert zu Elke, Elke verdreht die Augen und zeigt mir einen Vogel.
Beim Abschied sagt Bernhard zu Britta: „Du, Liebling, das mit dem Leihbaum wäre doch auch etwas für uns. Gerade, wenn wir nächstes Jahr wieder unterwegs sind.“
Ich lache mit ihm, obwohl ich schon beim Lachen denke:
„So geht es natürlich nicht, Familie Braun! Wenn ihr euch erst nach Heilig Abend einen Leihbaum holt, woher auch immer, wo können wir uns dann im nächsten Jahr unseren Leihbaum herholen!?“

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