Graue Panther und goldener Bernstein
Pantherreisen, Neustadt, Fax, Fon und E-Mail stehen auch
noch auf dem Bus, das Kennzeichen ist litauisch!
Das sieht man häufig heutzutage in diesem Lande, abgelegte Personenwagen, Stadtbusse,
Lastkraftwagen, Lieferfahrzeuge und eben diese Busse aus Deutschland. Reisebusse, deren deutsche Firmenaufschrift
verrät, dass sie einst Kaffeefahrten in die Lüneburger Heide oder
Bildungsreisen über die Alpen machten. Ja, diese bunten Riesen der veralteten
Busgeneration haben die uniformen Busse sowjetischer Bauart abgelöst und
verkünden den auch sonst überall spürbaren Wunsch dieses kleinen Ostseestaates,
den Anschluss an den Westen Europas zu finden.
Pantherreisen! Est nomen omen?
Was hat der Bus soeben vor dem Bernsteinmuseum in Nidden
ausgespuckt?
Es könnte ein Gruppenausflug der „Grauen Panther“ sein.
Sie sprechen deutsch, wie einst vor ihnen die Kaffeefahrer. Die meisten haben
das Rentenalter seit langem erreicht, einige wenige, die „Jungen“, stehen
unmittelbar vor der Rente. Aber auch sie unterscheiden sich kaum von den Alten – nicht einmal in der
Haarfarbe.
Schon reichlich hochgegriffen kommt ein Mann auf drei Frauen!
Warum nur haben wir die radelnde Reisegruppe aus
Deutschland abwarten müssen, um uns ungestört im Museum umsehen zu können?
Nichts war mehr umkehrbar. Gleich einem Holzstückchen in
der reißenden Strömung wurden wir von ca. 50 „Panthern“ in die drei kleinen
Räume des Museums hineingeschwemmt.
„In zwanzig Minuten treffen wir uns am Bus!“
Das war die Stimme der jungen Reiseleiterin in fast
akzentfreiem Deutsch.
„Gertraud, wo ist hier das Klo, haste mal Papier, man
weiß ja nie?“
Ein Bündel Papier wechselt von einem Handtaschenungetüm
ins nächste.
Mit Bernstein war nun nichts mehr, weil Annemarie – so
hieß die Frau mit dem laut geäußerten Bedürfnis – so lange am Klo anstehen
musste.
Nicht so schlimm, es war ja auch so schon eng genug, war
doch die Grundfläche des Museums nur unwesentlich größer als die des Busses!
Und, nicht zu vergessen, wir beiden Individualreisenden ( Ulla und ich ) waren
ja auch noch im Museum, wenn auch durch verschiedene Ströme in unterschiedliche
Räume gespült.
Drei junge Mädchen kümmern sich um die „Grauen“. In gutem
Deutsch berichten sie über Bernsteinverarbeitung und die ergiebigsten Funde im
Baltikum. Kaum einer hört zu, das Gerangel um eine Kopfbreite vor den
Schmuckvitrinen ist bereits in vollem Gange. Der Vortrag ist zuende - oder
wurde er abgebrochen?
Der Verkauf setzt ein, vorübergehend ergaben sich kleine
Lücken vor den Vitrinen, ich kann einen Elefanten aus goldgelbem Bernstein
erkennen.
Es riecht nach Mottenkugeln!
Ein Schritt zur nächsten Vitrine, vielleicht kann ich
hier besser sehen!
Auch hier riecht es nach Mottenkugeln.
Ist es der mit dem vom Kameragurt verzogenen Jackett oder
ist es eine der beiden Frauen, die mich gerade in die zweite Reihe gedrängt
haben?
Da! Ein Platz am nächsten Schaukasten wird frei und noch
nichts bisher gesehen.
Ich muss in die Lücke bevor die zwei stämmigen Frauen,
die mich eben schon abdrängten, mir zuvor kommen.
Das schiefe Jackett drückt sich an meine andere Seite.
Als ich gerade den in Silber gefassten Bernstein, vielleicht ein
Geburtstagsgeschenk für Ulla, in Augenschein nehme, werde ich sanft von einer
prallen Handtasche beiseite geschoben.
Es war eine der beiden!
Der Mottengeruch ist wieder da!
Die Graue mit der
Handtasche oder die verrutschte Jacke?
Die rosa Bluse kann es nicht sein, sie steht immer noch
an der vorherigen Vitrine, sie scheidet aus!
Mein Gott – dieser Geruch!
Ich sehe mich nach einem ungestörten Platz um, ein Moment nur der Unachtsamkeit, die rosa
Bluse ist nachgerückt. Ihr Platz wiederum wurde von dem schwerhörigen Ehepaar
eingenommen, das immer wieder nach der Busabfahrtzeit fragte und vor lauter
Sorge, die Abfahrt zu verpassen, nichts vom Bernstein sah.
„Sieh mal Hanna,“ sagt die rosa Bluse zur Handtasche,
„genau so, wie der Schmuck, der meiner Mutter auf der Flucht geklaut wurde.“
Die Tasche: „Kann das nicht sein!“
„Nee, glaub´ich auch nicht!“ ( die Bluse )
Eigentlich will ich weg, aber die Tasche und die Bluse
bücken sich zum Schmuck und ich bin in der Ecke gefangen von zwei
mächtigen Hinterteilen.
Die beiden Frauen wechseln zum Verkauf, ich höre die
Stimme der Bluse.
„Verkaufen Sie auch gebrauchte Stücke?“
„Nein das tu-en wir nicht machen, alles nur neue
Handwerkskunst aus Litau-en“, antwortet die junge litauische Verkäuferin und
man glaubt ihrem Gesicht ansehen zu können, dass sie immer noch rätselte, ob
sie die rosa Bluse richtig verstanden hat.
Eine Vierergruppe schiebt auf mich zu.
„Wenn du jetzt hier nicht raus kommst“, schießt es mir
durch den Kopf, „bleibst du in der Ecke, bis der Bus abfährt.“
Ich also raus, zur Tür in den Garten.
Das ist ja nett! Der Zufall hat mich an eine in das
Erdreich eingelassene Vitrine geführt, in der Kopien des jungsteinzeitlichen
Bernsteinschmuckes von Juodkrante (Schwarzort) ausgestellt waren. Ich hatte
davon in einem der Reiseführer gelesen.
„Sind nur Kopien.“
Ich hatte niemanden über das Gras kommen hören.
Die „Motte“!
Ich drehte mich zur Stimme und richtig, der Graue mit dem
verrutschten Jackett und der Kamera.
Mein Gott, es muss doch noch etwas anderes gegen diese
Viecher geben!
Ich wollte Abstand, drehte mich um, meine Augen suchten
nach Ulla, die ich schon länger nicht mehr gesehen hatte.
Ein Schritt und wie die Schlinge eines Lassos holte mich
der „Mottengeruch“ zurück.
Warum musste er nur so nah kommen?
Mit einer Verschwörerstimme, als wollte er mir die
unmittelbar bevorstehende Wiedereingliederung des Memellandes in die
Bundesrepublik Deutschland mitteilen, erzählte er mir, dass er Studienrat für
Latein und Geschichte gewesen und eigentlich nur wegen dieser Exponate ins
Museum gekommen sei.
Ich mache einen Schritt zurück, der Graue setzt nach,
packt mich am Arm.
„Vorsicht, die Blumen.“
„Danke!“
Dabei meinte ich ganz bestimmt nicht den Mottengeruch,
der sich mit seiner Nähe wieder unangenehm bemerkbar machte.
„Wir müssen!“
Das war die rettende Stimme der Reiseleitung, zwanzig
Minuten, mehr ließ der Zeitplan nicht zu.
„Na denn, noch eine gute Reise!“
Mit einer letzten Kostprobe seines Geruches von
Mottenkugeln wandte sich der Graue mit dem verrutschten Jackett seiner Gruppe
zu.
Ich folgte ihm in sicherem Abstand ins Museum, es war
fast leer! Ja, es war fast schon ein wenig langweilig so ganz allein vor den
ganzen Bernsteinen. Dann aber wurde es auf einen Schlag wieder spannend. Eine
Stimme im vertrauten Litauerdeutsch.
„In drrreißig Minuten am grrroßen Platz, Mittagspause!“
Ich sah aus dem Fenster.
Fröhlich – Reisen stand auf dem Bus, irgendwo aus
Friesland, und , wie sollte es anders sein, er hatte ein Kennzeichen von
Litauen.
P.S.:
Eigentlich will ich euch noch mehr Geschichten schreiben,
vom Thomas Mann Haus in Nida.
Oder von der „Studiosusgruppe“ beim Frühstücksbuffet im
Hotel.
Eigentlich.
Ich lass es, die Geschichten würden sich zu sehr ähneln!