Es ergab sich so, ganz plötzlich. Frühjahrsferien standen an
und es flatterte ein Sonderangebot für den Autozug von Hamburg Altona nach
Basel ins Haus. Das Angebot war zu verlockend. Noch einmal nach Süden in den
Schnee ohne den Stress von 900 Kilometer Autobahn. Wir buchten den Zug und ein
Quartier in einem Schigebiet mittlerer Schwierigkeit nicht weit von Basel im
Bregenzer Wald.
Die Anreise erwies sich wie erhofft als relativ stressfrei
mit einigen Schlafstunden in einem eigenen Schlafwagenabteil. Im Schigebiet
fanden wir ein angenehmes Quartier vor, das wir allem Anschein nach allein
bewohnten. Das Haus lag etwas abseits vom Hauptgebäude, in dem sich auch das
Restaurant befand. Der Wirt brachte uns die 100 Meter hinüber zu unserem Zimmer,
wies uns in die Besonderheiten ein und verschwand wieder.
Wir haben noch etwas geschlafen und haben uns dann gut ausgeruht mit der Erkundung unserer neuen Umgebung
beschäftigt. Schistiefel ausleihen und kleiner Rundgang durch das Dorf. Viel
gab es nicht zu sehen. So beschlossen wir das im Hausprospekt angepriesene
Wellnesspaket aufzuschnüren. Alles kostenlos, im Übernachtungspreis enthalten: Sauna,
Fitnessraum mit diversen Geräten, Whirlpool! Gehört hatten wir schon von alledem,
Sauna vor Jahren auch schon einmal ausprobiert; aber fast schon wieder
vergessen. Wo wir leben, muss man sich anders fit halten oder bis in die
Kreisstadt zum nächsten Fitnesscenter fahren. Nein, so groß war das Bedürfnis
nach Kraftmaschinen und Ausdauertraining an Geräten nicht, dass wir uns dafür
ins Auto setzten und auch noch Geld dafür ausgeben.
Aber hier,
hier hatten wir nun alles im Haus und noch dazu kostenlos. Wir packten uns eine Tasche mit Utensilien,
von denen wir glaubten, dass wir sie auf unserem Fitnesstrip brauchen würden.
In weißen, hauseigenen Bademänteln begaben wir uns in die Wellnessebene. Ein kurzer Blick in den
Kraftraum. Die Entscheidung fiel recht
leicht, wir sind ja schließlich im Urlaub und da wollen wir uns nicht
abrackern. Bewegung sollten wir ja in den nächsten Tagen auf den Pisten noch in
genügendem Umfang bekommen. Also begaben wir uns in einen hellen Raum mit
Whirlpool. Da der Hotelleitung wohl bewusst war, dass wir nicht die einzigen
Gäste sind, die nicht an dauerhafte Benutzung einer Badewanne mit Brausestrahlen
gewöhnt sind, gab es eine verständliche Bedienungsanleitung. Abfluss schließen und Wasser in gewünschter
Temperatur bis zum blauen Strich am Wannenrand einlassen! Das kannten wir schon
von unserer Badewanne – bis auf den blauen Strich. Dann einsteigen und nach Wunsch die
unterschiedlichen Zuläufe öffnen, die mit einstellbarer Härte den Wasserstrom
auf die Haut ermöglichen, den Körper massieren und die Luftblasen und „Whirls“ produzieren. Soweit doch alles ganz verständlich. Aber da stand nichts davon, ob mit und wenn
ja, mit wie viel Textilien man in die Wanne steigen soll.
Nein, prüde
sind wir ja eigentlich nicht, aber dieser Raum ist zugänglich für
jedermann. Wir entschieden uns
vorsichtshalber für Badebekleidung. Völlig überflüssig! Während der ganzen
Whirlpool Sause erschien kein Mensch. Woher auch, hatte der Wirt nicht gesagt,
dass wir die einzigen Gäste im Nebenhaus seien? Nach anfänglichem Reiz lässt
der Spaß ziemlich schnell nach. Wir mussten sogar den Druck der Wasserstrahlen
reduzieren, weil der harte Strahl anfing, Schmerzen auf der Haut zu erzeugen.
Ganz schön,
es einmal ausprobiert zu haben. Das war´s dann auch. Nachdem ich später einmal
in einer Bäderausstellung gesehen habe, was so eine Massagebadewanne kostet,
habe ich endgültig beschlossen, Whirlpools in die Liste der Produkte aufzunehmen,
die ich mit Sicherheit in diesem Leben nicht mehr kaufen würde.
„Sauna“
steht über einer Holztür mit Glasausschnitt. Das wäre doch nun die Gelegenheit,
in Ruhe auszuprobieren, wie man das Dampfbad am besten genießen kann. Ein
Lämpchen links von der Tür zeigt an, dass die Sauna ihre Betriebstemperatur
erreicht hatte. Etwas unbeholfen tauschten wir unsere hauseigenen Bademäntel
gegen die großen ebenfalls hauseigenen Badetücher. Dann rein in die Kammer.
Ganz schön
warm!
Kurze
Orientierung und langsames Wiedererkennen
setzt ein. Die hölzernen Bänke in zwei oder drei unterschiedlichen
Höhen, ein Ofen, der die Steine heiß hält und ein gefüllter Wassereimer mit
Schöpfkelle.
Mein Gott
ist das heiß!
Noch dampft
hier nichts. Die Schöpfkelle, der Aufguss.
Man muss das Wasser über die heißen Steine gießen. Ich versuche es
einfach einmal.
Mit Gezische
und Gegurgel verwandelt sich das Wasser in Wasserdampf und umhüllt unsere
schwitzenden Körper.
Ja, das
war´s, so wird es gemacht! Nach drei, vier Aufgüssen mache ich trotz der
Nebelschwaden eine Entdeckung: Ein kleines, braunes Fläschchen mit
Fichtennadelextrakt. Aha! Aroma in den Dampf; aber wie? Direkt auf die heißen
Steine oder ins Wasser? Ich versuche es mit einem Schuss „Fichtennadel“ in die
Wasserkelle. Das Ergebnis ist frappierend! Die weiße Wolke ist gesättigt vom
Aroma der Fichten, bei geschlossenen Augen und eingebildetem Vogelgezwitscher
könnte man sich jetzt mitten im Fichtenhochwald wähnen. Die Bronchen bedanken
sich und die Schleimhäute der Nase reagieren mit der Produktion von Rotz und
das, obwohl Taschentücher nicht zu der Ausstattung von Österreichischen Saunen
gehören. War vielleicht doch nicht so gut – die Idee mit den Fichtennadeln.
Die Tür geht
auf und ein Mann um die Fünfzig lässt ca. 85
Kilogramm auf das Lattenrost fallen.
„Ich bin der
Wolfgang!“
Wir hatten
uns noch nicht von dem Schreck des unerwarteten Besuchers erholt, als dieser
auch schon Initiative ergriff, die Kelle in die Hand nahm und für reichlich
Dampf sorgte.
Ist das so
in der Sauna, dass man gleich alle duzt?
Wird wohl.
Wir folgen artig seinem Beispiel und
stellen uns auch vor. Mit wohligen Grunz Lauten streckt Wolfgang sich auf dem
Lattenrost, sein Lendenschurz macht sich gewollt oder ungewollt selbstständig.
Wir hocken ein wenig wie die Hühner auf der Stange und bemühen uns wahrscheinlich
ganz vergebens so natürlich wie möglich zu wirken. Man möchte ja auch nicht
gleich als Sauna Greenhorn identifiziert werden. Gerade hatten Puls und Atmung sich wieder
einigermaßen beruhigt, als erneut die Tür aufging. Durch den Nebel erkannte ich
eine blonde Frau.
„Hallo, ich
bin die Christa. Mein Gott was stinkt das hier nach Fichtennadeln. Habt ihr das
Zeug da drauf gekippt?“
„Äh, nein,
also das roch auch schon so, als wir kamen.“
„Kann ich
überhaupt nicht haben.“
„Wir auch
nicht“, sagte ich, „wir haben jetzt auch genug. Was meinst du Ulla, wollen wir
gehen?“
Sie hatte
ebenso wenig Lust weiter mit Wolfgang und Christa die Sauna zu teilen. Kaum,
dass wir draußen waren, meinte Ulla:
„Und ich
dachte wir wären alleine im Haus. Und nun?“
„Nun kalt
duschen und ab aufs Zimmer!“
Das war es
dann fürs Erste mit Wellness.
Das
Nebenhaus hatte zwar auch eine eigene Küche, weil es aber so gering ausgelastet
war, blieb sie unbesetzt und wir sollten zum Essen in das Restaurant im
Haupthaus kommen. Es war sternenklar und wir hasteten schnell durch die
schneidende Kälte hinüber zum Restaurant. Es erwartete uns von der Einrichtung
und der Gestaltung her alpenländischer Standard. Den Essensgerüchen nach zu
urteilen musste das Angebot von Fastfood bis zur regionalen österreichischen
Küche reichen. Ein Blick über die Karte und meine Vermutung fand sich
bestätigt. Gerade wollten wir uns über unsere Essenswahl austauschen, als uns
ein Pärchen vom Eingang aus fröhlich zuwinkte. Auch ohne Handtuch und bei
klarer Sicht erkannte ich sofort unsere „Freunde“ aus der Sauna. Christa und
Wolfgang kamen strahlend auf uns zu. Es muss doch zu schön sein, wenn man in
der Fremde plötzlich auf vertraute Personen stößt, selbst wenn der
Vertrautheitsgrad nahe Null liegt.
Während Wolfgang fragte, ob sie sich zu uns setzen dürften, zog er bereits
einen Stuhl für sich vom Nachbartisch heran. Er wartete weder unser „Ja bitte!“ ab
noch kümmerte es ihn, wie Christa zu
einer Sitzgelegenheit kommt. Als sie sich endlich einen weiteren Stuhl vom
Nachbartisch herbeigezogen hatte und saß, plapperte sie ohne das Ende von Wolfgangs Redebeitrag abzuwarten los, um uns
mitzuteilen, dass sie sich riesig freue, uns wieder zu treffen.
Es war
unglaublich, wie nahe wir uns durch die
zwei gemeinsamen Saunaminuten gekommen waren. Wir wussten von den beiden
lediglich die Vornamen, dass sie Saunaprofis (wir die Saunadoofis!) waren und
teilweise mit einem hauseigenen Frotteetuch bekleidet waren. Das Wort Kontaktfreudigkeit reicht bei Weitem
nicht aus bei dem, was wir hier gerade erlebten. Gut, dass die Menschen, die
mit mir gemeinsam bis zu 10 Minuten bei EDEKA am Fleischtresen oder an der
Kasse anstehen, nicht genauso veranlagt sind, wie Christa und Wolfgang. Diese
Wiedersehensfreude im Aktivmarkt am nächsten Tag würde mich total erschöpfen.
Ich möchte sogar noch ein Stückchen weiter gehen: Sie würde mich überfordern.
Es gab kein
Entkommen, keine Alternative. Wir mussten die beiden Kletten ertragen. Gut und
schlecht zugleich war, dass wir kaum etwas zur Unterhaltung beitragen mussten
bzw. konnten. Das hatte Wolfgang übernommen und dabei war es ihm ziemlich egal,
ob er gerade etwas in den Mund gestopft hatte oder jemand anderes aus der Runde
versuchte, etwas zur Unterhaltung beizutragen. So erfuhren wir ziemlich
schnell, dass Wolfgang die Stadthalle in Wupperfeld managte. Ein zweifellos
sehr verantwortlicher Job. 50 Leute hat er unter sich.
„Glaub
nicht, dass der Schröder (derzeit gerade Bundeskanzler) mit mir gerne
tauschen würde.“
„Ja, der
Wolfi hat seine Auszeit verdient.“
„Halt mal
die Klappe, Christa, jetzt red´ ich doch gerade!“
Das Essen
kam. Meine Hoffnung, dass der wasserfallartige Redefluss von Wolfgang durch die
großen, blutigen Steakhappen gebremst würde, erwies sich als sehr trügerisch.
Nichts konnte diesen Spitzenverdiener, inzwischen hatte er auch schon durchblicken
lassen, welch königliches Gehalt der Stadtrat bereit war für sein einzigartiges
Talent monatlich auszuschütten, aufhalten.
Vier Pommes
in den Mund.
„50 Leute,
in Spitzenzeiten auch schon einmal 70. Das ist kein Pappenstiel, will sagen, da
biste nur am Rotieren.“
Ich schweifte mit meinen Gedanken weg. Da traf es mich
aus heiterem Himmel, das Fragezeichen am Ende von Wolfgangs letztem Satz. Es
wurde still.
„Kannst du
das bitte noch einmal sagen, Wolfgang, ich habe deine Frage nicht genau
verstanden?“
Er guckte mich etwas irritiert an und fragte:
Er guckte mich etwas irritiert an und fragte:
„Was machst
du denn so, wie viele Leute hast du unter dir?“
Dass Ulla
vielleicht auch „Leute unter sich haben könnte“ kam ihm nicht einmal
ansatzweise in den Sinn. Weiß der Teufel, was mich geritten hatte. Ich dachte
plötzlich an die Schule, deren Leitung ich vor einem Jahr übernommen hatte, sah
meine Kolleginnen, Kollegen und die Schülerschaft vor mir und sagte:
„Ungefähr
600, Hausmeister, Reinigungskräfte in die Gesamtbelegschaft eingerechnet.“
Das hatte
gesessen! Alle waren sprachlos.
Christa
immer noch, weil sie die Klappe halten sollte und es gewohnt war, zu machen,
was ihr Wolfi von ihr verlangte.
Ulla, weil
sie befürchtete, von mir in eine äußerst peinliche Situation gebracht zu
werden.
Wolfgang,
weil er nach den langen Beschreibungen seiner verantwortungsvollen,
gutbezahlten Tätigkeit erst einmal verdauen musste, dass sein Gegenüber noch
einmal in einer ganz anderen Liga spielt.
Und ich? Ich
war auch sprachlos, nachdem mir die Antwort einfach so, völlig unbedacht
herausgerutscht war. Fieberhaft arbeitete ich an einer Auflösung. Dabei kam mir
ein Stück Sehne im Fleisch sehr zu Pass. Während ich mich vergebens bemühte,
das Stück Fleisch mit meinen Zähnen zu zerkleinern, konnte ich Zeit schinden.
Die
Geschichte als Witz auflösen? Eigentlich eine Spezialität von mir. Vielleicht
hätte ich es versucht, hätte Wolfgang nicht seine Sprache wiedergefunden.
„Welche
Branche?“
Ich hatte
die Lösung!
„Darf ich
nicht drüber reden, verstehst du doch, Wolfgang?“
„Ja, ja,
verstehe ich. Konkurrenz, Konkurrenz! War auch einmal ein paar Jahre im
Großhandel. Musst nichts sagen. Aber nur
mal so, ganz wage, welche Richtung?“
Ich beuge
ihm meinen Kopf über meinen fast leeren Teller entgegen und hauche in
verschwörerischem Ton in sein Ohr:
„Bildung und
Forschung. Behältst es aber bitte für
dich, ich habe nichts gesagt.“ Zu Ulla gewandt: „Ich sage nichts mehr, ist das
in Ordnung?“
„Auf gar
keinen Fall sagst du noch etwas. Das war meiner Ansicht nach schon alles viel
zu viel.“
Wolfgang
nickte verständnisvoll mit dem Kopf wie man es von den Wackeldackeln auf der
Hutablage älterer Ford oder Opel Modelle kennt. Sein Gesicht verriet
allerdings, dass da noch etwas offen war zwischen uns.
Wir
verabschiedeten uns ziemlich schnell von unseren „Freunden“ mit der Begründung,
dass wir morgen früh auf die Piste wollten und noch ziemlich angestrengt von
der langen Anreise aus Norddeutschland seien.
Draußen auf
der Straße fiel Ulla über mich her.
„Sag mal,
hast du sie nicht mehr alle? Warum hast du das gemacht?“
Wahrheitsgemäß
antwortete ich:
„Ich weiß es
selber nicht. Aber wahrscheinlich konnte ich das prahlerische Gebabbel von dem
Kerl nicht ertragen und plötzlich gab es kein Zurück mehr. Ich bin ja froh,
dass mir der Trick mit der Geheimhaltung noch eingefallen ist.“
Ich glaube,
dass sie mich nach der ersten Aufregung ganz gut verstehen konnte.
Was wohl aus
Wolfgang und Christa geworden sein mag?
Ich habe sie
am nächsten Tag noch einmal vom Lift aus gesehen, wie sie sich anschickten, die
rote Piste anzugehen. Der Zufall wollte es, dass wir uns nicht mehr über den
Weg liefen. Wolfgang wird sicherlich im Internet oder über die IHK Stade
versucht haben, herauszubekommen, welch großes Unternehmen in der Gegend der
Elbfähre Wischhafen Glückstadt im Sektor Bildung und Forschung arbeitet.
Vielleicht wird es ihn stutzig machen, dass er keine brauchbaren Ergebnisse
gefunden hat. Aber, soooo schlau, wie
der Geschäftsführer der Stadthalle von Wupperfeld ist, wird er seine
Negativrecherche dadurch erklären, dass das Unternehmen ja offensichtlich mit
geheimen Aufträgen befasst ist. Ist ja logisch, dass Firmen, die Geheimaufträge haben, nicht im Branchenbuch
aufgeführt sind und dass die IHK über
derartige Betriebe keine Auskunft geben darf.
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