„Und du besorgst Sonnenblumen. Einen
schönen großen Strauß. Der soll auf der Bühne stehen und muss ordentlich zur
Geltung kommen.“
Ein bisschen klang es so, als wollten
sie mich los sein.
„Hinterm Sommerdeich da wachsen
welche am Feldrand.“
„Und die kann man da einfach so
abschneiden?“
„Stell dich nicht so an, da sind so
viele. Die Bienen merken das doch gar nicht, wenn da ein paar weniger sind.“
Ich habe mir dann ein scharfes Messer
geholt und bin los in den ehemaligen Außendeich. Nach der Beschreibung musste
ich einen Weg nehmen, der nur für Landwirtschaft freigegeben war. Gerne mach
ich das nicht. Polizei ist hier draußen allerdings noch seltener als die
Trauerseeschwalbe – und die, die gibt es hier so gut wie gar nicht.
Ist ja für einen guten Zweck.
Es war schön im Außendeich, reichlich
Sonne und ein schöner Wolkenhimmel dazu – nur Sonnenblumen fand ich nicht, wo
sie nach der Beschreibung hätten sein sollen.
Was tun? In Hamelwörden am Köckweg
hatte ich Sonnenblumenstreifen am Feldrand gesehen. Auf dem Weg dahin hatte ich
dann eben noch bei Gundi und Klaus reingeschaut, liegt ja auf dem Weg.
Die Sonnenblumen entlang des
Köckweges standen in vollster Blüte. Ich stellte das Auto in einer
Ausweichstelle ab und begab mich in das gelbe Blütenmeer.
Gar nicht so einfach, wenn man sich
bei so einem Angebot entscheiden muss. Eigentlich hätte ich rund um mich zu
schneiden können. Da hatte ich allerdings nicht die Rechnung mit dem Jäger in
mir gemacht.
Vielleicht gab es ja doch noch
schönere Blütenstiele weiter drin im Blühstreifen.
Aus der Ferne hörte ich eine Stimme.
Ein älteres Paar näherte sich auf Fahrrädern. Das erste, was ich verstehen
konnte war:
„Ick hebb di dat ja schon secht. Dor
is een in´ne Sünnblooms vun Gundi und Klaus. Klaut sick de Bloomen, Erwin.“
Dann hielten sie auf meiner Höhe kaum
10 Meter von mir entfernt.
„Hallo, Sie wissen aber, dass das
nicht geht?“ rief die Frau rüber.
„Wie? Was nicht geht? Ich habe eine gutes
Messer dabei. Doch, das geht schon ganz gut“, antwortete ich der silberhaarigen
Radlerin.
Halblaut aber gerade noch
verständlich sprach sie zu Erwin:
„Is de dusselig, ick meen doch nich
dat Afsnieden.“
Und dann wieder lauter an mich
gerichtet:
„Sie können doch nicht einfach hier
Sonnenblumen abschneiden.“
„Warum nicht, sind doch genug hier.
Ob da nun ein paar fehlen.“
„Erwin, hest dat heueert? De is nich
nur dösig, de is ook noch utverschoomt. Schriew di mol de Autonummer op.
Aber junger Mann (da war ich 64) die
Blumen gehören doch jemanden zu. Mögen Sie das denn, wenn bei Ihnen jemand die
Blumen im Vorgarten pflückt?“
„Nein, das geht natürlich nicht. Sind
ja auch viel weniger als hier.“
„Nu heueert sick oober alln´s op.
Secht Se mool, also, Sie sind doch der Lehrer aus Freiburg? Jo, Se sünd de
Peiters ut Freiborch. Schoomt Se sick gor nich?
Erwin, brukst dat Kennteeken nich
noteern.
Wir wissen ja nun, wer sich hier
bedient, Herr Peeterrrsen. Sie wissen aber, dass Sie Vorbild sein sollten?“
„Ja“, antworte ich, „ich versuche es
auch möglichst immer zu sein.“
„Oober Bloomen klaun is doch allns
annert as Vörbild. Ick bitt Se!
Das tut man nicht!
Erwin, wat sechst du dor tau?“
Erwin secht nix!
„Ich klau doch nicht. Ich schneide
mir nur einen Strauß Sonnenblumen und trampel auch nichts kaputt.“
„Errwien, hör sick dat een an! De Schoolmester
klaut nich, hei snied sick bloots ´n poor Sünnbloom. Also, junger Mann, wenn
dat keen klaun is, dann sünd wi ook nich mit´n Rad ünnerwegens. Ick bün
enttäuscht vun Se, Herr Petersen.“
„Nun mal nicht so fix, gute Frau.
So´n schlechten Kirl bün ick nu ook nich. Also taumindst wat dat Klaun
angeiht.“
Unbemerkt bin ich in ihre Sprache
geraten. Das hat sie vielleicht ermuntert, zum entscheidenden Schlag.
„Dat sleit dat Fat doch den Böön ut!
Erwin, hest dat heueert? Sech nix, Erwin. Wi föhrt furts no Klaus und Gundi
Wist hin“, und zu mir gewandt „dat sünd nämlich Wistns Bloomen. Lehrer hin,
Lehrer her, ji mööt ook weeten wo man
sick tau beneehm het.“
„Schöne Grüße an Klaus und Gundi vom
Schulmeister aus Freiburg.“
„Hest dat heueert Erwin? Noch het hei
de Nees ganz scheun no booben. Dat ward anners, wenn hei de Bloomen
trüchbringen mööt. Wi föhrt, Erwin.“
„Ach so, wat ick noch seggen wull,
Gundi het mi heuchstpersönlik de Erlaubnis geven, dat ick mi hier ´n grooten
Struß Sünnbloom förn Spieker in Freiborch holen dröff.“
Sie stieg wieder vom Rad.
„Harrn Se dat nich glieks seggen
kunnt?“
„Ick wull dat woll, ober Se geev mi
jo keen Chance mit all ehre Verdächtigungen.“
Nun schlägt Erwins große Stunde. Wer
bis jetzt noch glaubte, dass Erwin stumm sei, muss sich eines Besseren belehren
lassen.
„Un, hebb ick nich secht, dat uus dat
all nix angeiht? Nu het hei noch nich mool klaut. So is se nu mool, Herr
Peiters“, meinte er schulterzuckend an mich gerichtet.
„Erwiiien, keen het di secht, dat du
dien Muul oprieten schallst?“
Als ich den Arm voller Sonnenblumen
den Kofferraum meines Autos öffnete, waren Erwin und seine Frau nur noch kleine
Punkte am Ende des Köckweges.
Ach so, irgendwann erzählte ich Gundi
von meiner Begegnung am Köckweg.
„Und“, fragte sie mich, „wer waren
die Leute?“
„Das wüsste ich auch gerne!“
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