Donnerstag, 8. November 2018

Das tut man aber nicht


„Und du besorgst Sonnenblumen. Einen schönen großen Strauß. Der soll auf der Bühne stehen und muss ordentlich zur Geltung kommen.“
Ein bisschen klang es so, als wollten sie mich los sein.
„Hinterm Sommerdeich da wachsen welche am Feldrand.“
„Und die kann man da einfach so abschneiden?“
„Stell dich nicht so an, da sind so viele. Die Bienen merken das doch gar nicht, wenn da ein paar weniger sind.“

Ich habe mir dann ein scharfes Messer geholt und bin los in den ehemaligen Außendeich. Nach der Beschreibung musste ich einen Weg nehmen, der nur für Landwirtschaft freigegeben war. Gerne mach ich das nicht. Polizei ist hier draußen allerdings noch seltener als die Trauerseeschwalbe – und die, die gibt es hier so gut wie gar nicht.
Ist ja für einen guten Zweck.
Es war schön im Außendeich, reichlich Sonne und ein schöner Wolkenhimmel dazu – nur Sonnenblumen fand ich nicht, wo sie nach der Beschreibung hätten sein sollen.
Was tun? In Hamelwörden am Köckweg hatte ich Sonnenblumenstreifen am Feldrand gesehen. Auf dem Weg dahin hatte ich dann eben noch bei Gundi und Klaus reingeschaut, liegt ja auf dem Weg.

Die Sonnenblumen entlang des Köckweges standen in vollster Blüte. Ich stellte das Auto in einer Ausweichstelle ab und begab mich in das gelbe Blütenmeer.
Gar nicht so einfach, wenn man sich bei so einem Angebot entscheiden muss. Eigentlich hätte ich rund um mich zu schneiden können. Da hatte ich allerdings nicht die Rechnung mit dem Jäger in mir gemacht.
Vielleicht gab es ja doch noch schönere Blütenstiele weiter drin im Blühstreifen.

Aus der Ferne hörte ich eine Stimme. Ein älteres Paar näherte sich auf Fahrrädern. Das erste, was ich verstehen konnte war:
„Ick hebb di dat ja schon secht. Dor is een in´ne Sünnblooms vun Gundi und Klaus. Klaut sick de Bloomen, Erwin.“
Dann hielten sie auf meiner Höhe kaum 10 Meter von mir entfernt.
„Hallo, Sie wissen aber, dass das nicht geht?“ rief die Frau rüber.
„Wie? Was nicht geht? Ich habe eine gutes Messer dabei. Doch, das geht schon ganz gut“, antwortete ich der silberhaarigen Radlerin.
Halblaut aber gerade noch verständlich sprach sie zu Erwin:
„Is de dusselig, ick meen doch nich dat Afsnieden.“
Und dann wieder lauter an mich gerichtet:
„Sie können doch nicht einfach hier Sonnenblumen abschneiden.“
„Warum nicht, sind doch genug hier. Ob da nun ein paar fehlen.“
„Erwin, hest dat heueert? De is nich nur dösig, de is ook noch utverschoomt. Schriew di mol de Autonummer op.
Aber junger Mann (da war ich 64) die Blumen gehören doch jemanden zu. Mögen Sie das denn, wenn bei Ihnen jemand die Blumen im Vorgarten pflückt?“
„Nein, das geht natürlich nicht. Sind ja auch viel weniger als hier.“
„Nu heueert sick oober alln´s op. Secht Se mool, also, Sie sind doch der Lehrer aus Freiburg? Jo, Se sünd de Peiters ut Freiborch. Schoomt Se sick gor nich? 
Erwin, brukst dat Kennteeken nich noteern.
Wir wissen ja nun, wer sich hier bedient, Herr Peeterrrsen. Sie wissen aber, dass Sie Vorbild sein sollten?“
„Ja“, antworte ich, „ich versuche es auch möglichst immer zu sein.“
„Oober Bloomen klaun is doch allns annert as Vörbild. Ick bitt Se!
Das tut man nicht!
Erwin, wat sechst du dor tau?“
Erwin secht nix!
„Ich klau doch nicht. Ich schneide mir nur einen Strauß Sonnenblumen und trampel auch nichts kaputt.“
„Errwien, hör sick dat een an! De Schoolmester klaut nich, hei snied sick bloots ´n poor Sünnbloom. Also, junger Mann, wenn dat keen klaun is, dann sünd wi ook nich mit´n Rad ünnerwegens. Ick bün enttäuscht vun Se, Herr Petersen.“
„Nun mal nicht so fix, gute Frau. So´n schlechten Kirl bün ick nu ook nich. Also taumindst wat dat Klaun angeiht.“
Unbemerkt bin ich in ihre Sprache geraten. Das hat sie vielleicht ermuntert, zum entscheidenden Schlag.
„Dat sleit dat Fat doch den Böön ut! Erwin, hest dat heueert? Sech nix, Erwin. Wi föhrt furts no Klaus und Gundi Wist hin“, und zu mir gewandt „dat sünd nämlich Wistns Bloomen. Lehrer hin, Lehrer her, ji mööt ook weeten  wo man sick tau beneehm het.“
„Schöne Grüße an Klaus und Gundi vom Schulmeister aus Freiburg.“
„Hest dat heueert Erwin? Noch het hei de Nees ganz scheun no booben. Dat ward anners, wenn hei de Bloomen trüchbringen mööt. Wi föhrt, Erwin.“
„Ach so, wat ick noch seggen wull, Gundi het mi heuchstpersönlik de Erlaubnis geven, dat ick mi hier ´n grooten Struß Sünnbloom förn Spieker in Freiborch holen dröff.“

Sie stieg wieder vom Rad.
„Harrn Se dat nich glieks seggen kunnt?“
„Ick wull dat woll, ober Se geev mi jo keen Chance mit all ehre Verdächtigungen.“
Nun schlägt Erwins große Stunde. Wer bis jetzt noch glaubte, dass Erwin stumm sei, muss sich eines Besseren belehren lassen.
„Un, hebb ick nich secht, dat uus dat all nix angeiht? Nu het hei noch nich mool klaut. So is se nu mool, Herr Peiters“, meinte er schulterzuckend an mich gerichtet.
„Erwiiien, keen het di secht, dat du dien Muul oprieten schallst?“

Als ich den Arm voller Sonnenblumen den Kofferraum meines Autos öffnete, waren Erwin und seine Frau nur noch kleine Punkte am Ende des Köckweges.

Ach so, irgendwann erzählte ich Gundi von meiner Begegnung am Köckweg.
„Und“, fragte sie mich, „wer waren die Leute?“
„Das wüsste ich auch gerne!“



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