Wer mich
kennt, weiß dass ich in Sachen Kleidung nicht gerade der Anspruchsvollste bin.
Nicht, dass mir völlig egal ist, was ich anziehe. Nur bin ich wohl in der Wahl
meiner Kleidung etwas anspruchsloser als die meisten Menschen um mich herum.
Das heißt aber noch lange nicht, dass nicht auch ich meine Lieblingsstücke im
Kleiderschrank oder am Garderobenhaken habe. Wenn ich also so oft im blau-weiß
gestreiften Hemd zu sehen bin, bedeutet das noch lange nicht, dass ich nichts Anderes
besitze. Ich mag es einfach am liebsten.
So geht es
mir auch mit meinen Schals. Ein halbes Dutzend liegt in der Kommode und doch
darf mich meistens nur der eine, der gute, der weiche Schal mit der
Kaschmirwolle begleiten.
„Willst du
dir den nicht lieber für besondere Anlässe aufheben?“ werde ich gelegentlich
mal gefragt, bevor der Schal mit mir das Haus verlässt.
Das will ich
natürlich nicht. Nicht ohne Grund fällt meine Wahl meistens gerade auf diesen
Schal.
Ich stehe
ausgehbereit in der Tür und will zur Jahreshauptversammlung des Yachtclubs. Sie
findet im „Deutschen Haus“ statt und alles deutet darauf hin, dass meine
Kleidung nach der Versammlung den gleichen Geruch haben wird, wie das „Deutsche
Haus“. Da werden nämlich viele Traditionen gepflegt die anderswo längst schon
Geschichte sind. So wird der Duft von Fritten und Currywurst oder auch anderen
Speisen durch Vermeiden von regelmäßigem Lüften noch lange über den
Verzehrzeitpunkt in den Räumen konserviert. Von der Umgehung des Rauchverbotes
in Gaststätten ganz zu schweigen.
Das alles
wissend habe ich mir schon die Segeljacke angezogen, die dann, nach der
Versammlung, im Keller auslüften kann. Bloß nicht den guten Wollmantel
mitnehmen. Der nimmt nämlich die Gerüche des „Deutschen Hauses“ noch viel
dankbarer an wie die synthetische Segeljacke.
„Willst du
wirklich mit der Jacke los?“
„Ja, du
weißt doch, wie die Klamotten riechen, wenn man im „Deutschen Haus“ war.“
„Und der
gute Schal?“
„Den hänge
ich raus, wenn ich zurück bin. Tschüß!“
Angenehme
Überraschung im „Deutschen Haus“. Die Versammlung findet auf dem Saal statt,
die Garderobe befindet sich auf dem Flur, der durch die Nähe der Ausgangstür
erstaunliche neutrale Luft hat. Meine Jacke findet einen Platz auf dem
Kleiderbügel. Der Saal ist rauchfrei! Erstaunlich, hätte ich nicht erwartet
nach all meinen Vorerfahrungen der letzten Jahrzehnte. Die Versammlung verläuft
nach traditionellem Muster, wie ich sie schon kenne unter Leitung des
vorherigen Vorsitzenden und dem noch davor. Beschlüsse werden fast immer
einstimmig gefasst und nach Entlastung des Vorstandes oder bei Neuaufnahmen
gibt es nicht selten eine Runde Schnaps. Tumultartig wird es dann, und auch das
nichts Neues, unter dem Punkt „Verschiedenes“. Hier werden Punkte abgearbeitet,
die nicht mehr den Weg auf die Tagesordnung gefunden haben, weil deren
Fürsprecher nie die Antragsfristen einhalten. Also nicht anders als in den
vergangenen Jahren. Nach zwei Stunden verlasse ich das Lokal. Für das nach der
Sitzung anstehende gemütliche Beisammensein bin ich zu müde und außerdem habe
ich mein Geld zu Hause vergessen.
Ich verlasse
das “Deutsche Haus“ gemeinsam mit Gerdi Henken. Frostluft löst fast schon einen
Schmerz in der Lunge aus, es trifft ein eiskalter Wind auf meinen Hals.
Ich habe
keinen Schal um!
Er muss noch
an der Garderobe sein.
Gerdi muss
alleine weitergehen. Ich kehre um. Zweimal gehe ich die Bügelreihen durch. Mein
Kaschmirschal, der „Gute“, ist weg. Das ist bitter, hätte ich doch bloß einen
von den minderwertigen Schals aus der Kommode genommen.
Der Hals
wird kalt. Im Auto überlege ich, ob ich denn wirklich den guten Schal
umgebunden hatte. Doch, wir hatten ja noch darüber gesprochen, ob es der „Gute“
sein müsse.
Es gibt doch
ganz schön schlechte Menschen. Gehen an einer Garderobe vorbei, entdecken, dass
der Schal mit der Kaschmirwolle sich so schön anfühlt, und schon wird ein
blitzartiger Besitzerwechsel vorgenommen. Nein, woran soll man denn noch
glauben? Aus dem „Deutschen Haus“ kommt
man nie ohne dessen haustypisches Aroma heraus aber bislang immer noch mit seinen Anziehsachen.
Oder hatte
ich den Schal doch noch zurück gehängt?
Ich mache
jetzt immer öfter mal Dinge, die ich später gar nicht mehr genau weiß.
Aber der
Schal? Der war doch mit. Oder?
Zu Hause
öffne ich die Stubentür und melde mich zurück.
„Wie war´s?“
„Wie immer.
Mein Schal ist weg oder hast du ihn hier irgendwo gesehen?“
„Der
„Gute“?“
„Ja der.“
„Den hattest
du doch um, als du gingst!“
„Ja, das
meinte ich eigentlich auch. Aber in der Garderobe im „Deutschen Haus“ habe ich
ihn nicht mehr gefunden.“
„Schade.
Habe ich dir mal zum Geburtstag geschenkt.“
Ich hänge
die Jacke auf und gehe in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. Auf dem
Weg zur Stube glaube ich meinen Augen nicht zu trauen. Da liegt er, der gute
Schal mit der Kaschmirwolle, auf dem Fußboden. Als hätte ihn jemand dahin
geworfen.
Noch nicht ganz in der Stube frage ich schon:
„Wo hast du
ihn gefunden?“
„Wen?“
„Den guten
Schal.“
„Wieso? Ich
habe nichts gefunden, saß die ganze Zeit hier. Ist er also wieder da?“
„Ja, er lag
auf dem Boden im Flur, als ich aus der Küche kam.“
So schlimm
ist es also doch noch nicht hier bei uns auf dem Lande. Mit der Kriminalität meine ich.
Und was war
nun mit dem Schal?
In der
Garderobe hatte ich ihn jedenfalls nicht vergessen. Sonst wäre er ja nicht
hier.
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