Mittwoch, 30. November 2016

Ich habe den russischen Botschafter getroffen



Ich sitze bei Norbert am Stubentisch.
„Na, haste mal wieder eine neue Geschichte?“
„Ja, aber du glaubst mir meine Geschichten ja nicht mehr.“
„Na ja, ich weiß manchmal wirklich nicht mehr. Also die mit Merkel die hast du dir doch ausgedacht?!“
Ich zucke mit der Schulter.
„Na und, gibt es eine  Geschichte?“
„Ja. Ich habe den russischen Botschafter getroffen.“
„Ne, hier in Freiburg, oder. Da hast du aber schon bessere Geschichten gehabt.“
„Du bist ja schon genau so, wie Hans-Werner Hellwege.“
„Wie ist der denn?“
„Na eben, wie du. Glaubt mir auch nicht. Dabei ist die Geschichte mit dem Botschafter total wahr.“
Seine, also Hans-Werners Frau erinnert sich, dass ich tatsächlich in der letzten Woche zwei Tage allein verreist war.
„Das ist doch kein Beweis. Los erzähl!“
Und dann habe ich ihm erst einmal von Hans-Werner erzählt.

Also, ich treffe Hans-Werner Hellwege vor dem EDEKA. Wir haben uns schon länger nicht gesehen und tauschen die üblichen Floskeln aus.
„Na, Hans-Werner, wie geht´s denn so?“
„Muscha. Und selber?“
„Ooch, immer viel um die Ohren.“
„Speicher, oder?“
„Ja, Speicher.“
„Du liest da am Sonntag ja Geschichten vor. Vielleicht kommen wir.“
„Ja, kommt mal.“
„Und sonst?“
„Ich fahre morgen zum russischen Botschafter.“
„Hm. –
Wohin fährst du?“
„Zum russischen Botschafter.“
„Schade, können wir nicht zusammen fahren. Ich fahre morgen zum Papst.“
Hans-Werner freut sich über seinen Gag, lacht,  wünscht gute Reise und geht weiter in Richtung Sparkasse.

Ja so ist Hans-Werner. Man muss ihm allerdings zugutehalten, dass er mir gegenüber schon einige Male zu leichtgläubig war. Nachdem ich ihn das letzte Mal verladen hatte, hat er mir geschworen, dass er mir nie, nie wieder glauben würde.  Ja, so ist das eben, wenn man seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt hat.

Ich sitze im Zug von Berlin nach Hamburg und rufe zu Hause an, um mitzuteilen, dass alles nach Plan läuft. Ulla sagt mir, dass noch 4 Anmeldungen für meine Lesung von Hans-Werner Hellwege und seinen Nachbarn reingekommen sind.
„Hans-Werner  wollte dich sprechen.“
Hans-Werner gehört noch zu den Männern, die ihre Angelegenheiten grundsätzlich lieber mit einem Geschlechtsgenossen regeln.
„Jörg ist nicht da.“
„Wann kommt er denn wieder?“
„Morgen, der ist beim russischen Botschafter.“
Dann, sagte sie,  wurde es still auf der anderen Seite.
„Beim russischen Botschafter ?“
„Ja beim russischen Botschafter irgendwo bei Dresden.“
Pause
„Ne, beim russischen Botschafter. Ne nich!
 Ich wollte noch 4 Personen für Sonntag anmelden.“
Und dann hat er „Tschüß“ gesagt. Das mit dem russischen Botschafter hat ihn irgendwie umgehauen. Mir ist das auch einfach so rausgerutscht, weil ich in den letzten Tagen so oft erklären musste, wo du bist.
„Ist schon gut, ich erzähl dir zu Hause mehr. Der russische Botschafter, Hans-Werner Hellwege und ich haben seit vorgestern eine eigene, gemeinsame  Geschichte.“

Botschafter Wladimir Grinin



Sonntag.
Der russische Botschafter und über 1200 Kilometer Bahnfahrt sind seit gestern schon wieder  Geschichte. Ich sitze am Eingang zur Gaststube im Speicher und kassiere für die Lesung. Hans-Werner kommt mit seiner Frau und seinen neuen Nachbarn, die vor vier Monaten aus Iserlohn zugezogen sind.
„4 Mal. Hatte ich bei deiner Frau angemeldet. „
„Moin Hans-Werner, habe ich hier auf der Liste.“
Seine Leute sind schon ein paar Schritte weiter gegangen.
„Hier, 40 Euro, stimmt doch oder.“
„Ja, ist genau richtig.“
„Und wie war´s?“
„Was?“
„Na, mit dem Botschafter da, dem russischen.“
„Gut, das war sehr gut. Und was hat der Papst so gesagt?“
„War ich doch gar nicht. Aber deine Frau hat mir gesagt, dass du beim russischen Botschafter warst.“
„Hab´ ich dir doch auch schon gesagt.“
„Hab ich aber nicht geglaubt.“
„Glaubst du es denn jetzt?“
„Wenn du deine Frau nicht angeschmiert hast. Ihr glaube ich das schon, aber bei dir weiß ich das immer noch nicht so richtig.“
„Mensch Hans-Werner, wenn es stimmt, was sie dir gesagt hat, dann muss das auch stimmen, was ich dir gesagt habe.“
„Ja, irgendwie schon. Und du warst da? Ich meine bei diesem Botschafter?“
„Ja, sag ich doch die ganze Zeit.“
„Hans-Werner, wo bleibst du?“
„Komme schon! Und, was hast du da gemacht?“
„Kann ich dir nicht so schnell erzählen. Vielleicht nachher. Nun trink erst einmal Kaffee und dann gibt es ein paar Geschichten.  Vielleicht haben wir ja nachher noch ein wenig Zeit.“

Die Zeit hatten wir dann aber nicht. Eine gute Woche später, beim Treffen der Vereine im Speicher kommt Hans-Werner an meinen Tisch.

„Du, das mit dem Botschafter stimmt ja.“
„Habe ich dir doch schon am Sonntag gesagt. Wieso bist du dir nun so sicher, dass es stimmt?“
„Guschi Tecklenborg hat mich gefragt, ob ich schon weiß, dass du beim russischen Botschafter warst.“
„Ja, wenn der dir das erzählt hat, dann muss es ja stimmen.“
Es stimmte ja tatsächlich. Was Hans-Werner allerdings nicht wusste: Guschi hatte die Info von mir bekommen, als er mich am Donnerstag fragte, warum ich heute vom Putzbüdel komme wo ich doch sonst immer am Sonnabend gehe.
Weil mir auf die Schnelle nichts Besseres einfiel, habe ich ihm gesagt, dass ich morgen zum russischen Botschafter will.

Ja, Guschi ist da ganz anders als Hans-Werner.
 „Ach so!“ hat er nur gesagt und ist weitergegangen.

Norbert lacht.
„Coole Geschichte. Ich kenne die Typen ja nicht, aber die haben dir die Geschichte mit dem Botschafter abgenommen.“
„Ja und, die stimmt ja auch.“
„Früher hätte ich sie dir auch geglaubt.“

Ich setze mein ernsthaftestes Gesicht auf und erzähle von der Einladung vom Ost West Forum, den Biografiegesprächen. Bis ins letzte Detail beschreibe ich, wie das Treffen mit dem russischen Botschafter aussehen sollte, welche Ziele das OWF mit dessen Vortrag erreichen will.

 Ich habe Norbert wieder eingefangen.  Er glaubt mir und erklärt mir und seiner Frau, welche Indizien ihn bewegen plötzlich das zu glauben, was er soeben noch ins Reich der Märchen und Fabeln verbannen wollte.
 Das ging mir eigentlich ein wenig zu einfach und ich setzte noch einen drauf.
„Muss dir noch erzählen, wie ich Mama Tenga im Speisewagen zwischen Berlin und Leipzig getroffen habe. Mama Tenga kommt aus Burkina Faso.“
„Woher?“
„Burkina Faso. Westafrika, Sahel. Weißt ja. Sie setzt sich zu mir an den Tisch. Wir unterhalten uns über die Speisekarte. Das ging ganz gut, sie spricht echt gut Deutsch. Und dann der Hammer. Sie fragt mich auf Platt:
„Wat wüllt se denn eeten?“
„Weet ick noch nich“, antworte ich und denke im nächsten Moment, wieso schnackt een platt, de vun Burkina Faso wech is?
Sie und ihre Begleitung, eine jüngere Frau, wählen Folienkartoffeln und ich entscheide mich für drei Nürnberger Bratwürstchen. War dann nicht so gut, die Entscheidung. Ich bestelle bei der Bedienung die drei Bratwürste, die auf der Speisekarte abgebildet sind.“
„Ham wir nich. Ham nur sechs.“
Ich zeige mit dem Finger auf das Bild in der Karte.
„Dreie nur als Frühstücksbeilage. Mittags mit Sauerkraut nur sechse!“
„Na dann eben nur sechse statt nur dreie.“
Mama Tenga und die Frau aus Plön lachen.
Norberts Blick verrät, dass Mama Tenga aus Burkina Faso ihm alle soeben noch gewonnene Sicherheit genommen hat.
„Das stimmt jetzt aber nicht mit dieser Mama Temba oder, wie sie heißt. Die da aus Afrika. Die reden kein platt, wenn sie aus Afrika sind. Ich glaube dir nix mehr! Ich weiß gar nicht, was ich glauben soll. Russischer Botschafter und nun Mama Dingsda aus Westafrika und redet platt!.“
Ach Norbert! Du tust mir schon ein wenig leid.
„Das ist ja noch nicht alles.“
„Was? Womit?“
„Mit Mama Tenga. Meine Würstchen waren leider nicht so, wie ich sie mir in meiner Phantasie vorgestellt hatte. Genau nach 2 2/3 Würsten verebbte jeglicher Appetit. Die drei, die es nur zum Frühstück gibt, hätten ausgereicht.“
„Und, was hat das mit dem Botschafter und Mama Tenja zu tun?“
„Warte ab, lass mich doch zuende erzählen.“
Und nun versetzte ich meiner mühsam zurückeroberten Glaubwürdigkeit den Todesstoß.

„Also ich schiebe meine Würstchen in die Tischmitte, um etwas mehr Tischauflage für die Arme zu bekommen. Mama Tenga aus Burkina Faso hat soeben die Folienkartoffel mit doppelter Portion Lachs abgearbeitet. Unsere Blicke kreuzen sich und sie fragt:
„Darf ich?“
Ohne meine Antwort ganz abzuwarten kommt sie mit ihrer Gabel diagonal über den Tisch und angelt sich eine der drei unversehrten Nürnberger Bratwürstel. Während sie genüsslich kaut, teilt sie mir mit leicht verschwörerischer Stimme mit, dass sie so etwas ja in Burkina Faso nicht bekomme.“
Eine Minute später musste die Bedienung überzeugt gewesen sein, dass die Würstchen voll meinen Geschmack getroffen hätten. Andernfalls wäre mein Teller ja nicht leer gewesen.

Norbert lacht.
„Dass ich immer wieder auf dich reinfalle! Fast hätte ich dir die Geschichte schon abgekauft. Aber das mit den Würstchen hättest du nicht erzählen dürfen. Damit hast du alles kaputt gemacht, was du vorher aufgebaut hast.“

Ach Norbert. Wie kann ich dir beweisen, dass alles ungelogen ist? Google mal  Mama Tenga und du wirst eine Menge erfahren über eine sehr interessante Frau! Und die habe ich getroffen und sie hat meine Würstchen gegessen, hat mich, ja mich, charmant genannt.
Und das mit dem Botschafter, Norbert, das stimmt natürlich auch. Was sollte ich denn sonst im Zug nach Leipzig, in dem ich Mama Tenga getroffen habe.

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