Sonntag, 22. Oktober 2017

Magst du schwabbelige Eier



Manfred, mein Schwager, ist zu Jodi, einer New Yorkerin, gezogen.  Beide reisen für  ihr Leben gerne. Gerade haben sie beschlossen, dass sie ihr Hobby zum Beruf machen wollten und haben kurzerhand ein Reise Start Up  gegründet. Sie planten junge Deutsche mit Kleinbussen und Campingausrüstung quer durch die USA von der Ost- bis zur Westküste bringen ohne auch nur einen einzigen der großen Nationalparks auszulassen.
Vernetzung ist alles. Irgendwo in NY durften sie bei Freunden von Verwandten eine kleine Ecke eines Büros benutzen. Es wurde nicht mehr als ein Schreibtisch mit zwei Stühlen und einem Telefon benötigt. Wohnen konnten sie vorerst mietfrei in einem Nobelappartement in Manhattan. Verwandte hatten die Wohnung geerbt und freuten sich, dass sie mit Jodi und Manfred Bewohner gefunden hatten, die potentiellen Einbrechern signalisierten, dass die Wohnung belebt sei.
Was für ein Glück in dieser Stadt, wo die Mieten längst schon jedes gesunde Maß überschritten hatten.  Leider war es eine etwas unsichere Angelegenheit. Das Ende ihres Glückes  würde irgendwann mit dem Glück ihrer Verwandten zusammenfallen, wenn die nämlich die Wohnung zu dem gewünschten Preis an den Mann oder die Frau gebracht hätten.
Glück  für   Ulla und mich. Wir wurden nach NY eingeladen und konnten mitten in Manhattan wohnen. So wurde unsere erste USA Reise für uns überhaupt erst erschwinglich. Mehrere Tage erschlossen wir uns diese neue, aufregende Welt, hin und wieder auch gemeinsam mit Jodi und Manni. Einen Tag waren wir im Central Park auf einer Liegewiese zum Picknick verabredet. Dank guter Beschreibung fanden wir uns schnell. Die Decke mit den Picknick Utensilien war schon ausgebreitet.
„Wir müssen noch etwas warten, Amos ist noch nicht da.“
Amos ist ein Freund unserer Gastgeber, der auch gelegentlich in der Firma aushalf.
Und dann kam Amos. Ein freundlicher Junge, der sich gleich völlig unkompliziert auf der Decke niederließ.
„Gutten Tak, I´m Amos.“
Amos war auf die Begegnung mit uns Deutschen vorbereitet. Er zeigt auf das  Essen.
„Picnic,  you understand?“
„Ja, wir sagen auch Picknick. Do you speak German?“
„Yes …ja!“
„Wo lebst du? Auch hier in New York?“
„Magst du schwabbelige Eier?“
„Wie bitte?“
„Magst du schwabbelige Eier?“
„Meinst du, ob ich schwabbelige Eier mag?“
Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich richtig verstanden hätte.
„Magst du schwabbelige Eier?“
„Nein, das ist eher nicht so mein Ding.“
Amos unterhält sich mit Jodi und Manni. Plötzlich kreuzen sich unsere Blicke. Er lächelt freundlich und fragt:
„Magst du schwabbelige Eier?“
Ich habe wohl etwas irritiert geguckt. Jodi und Manni lachten, was mich nur noch mehr verunsicherte.
Als Amos dann in diesen Moment noch einmal in bestem Deutsch fragte:
„Magst du schwabbelige Eier?“ löste Manni das Rätsel um die schwabbeligen Eier auf.
Amos war vor einigen Jahren als Student durch Europa gereist – auch durch Deutschland. Im engen Abteil einer fränkischen Regionalbahn guckte er einer alten Frau zu, wie sie sich ihren Reiseproviant zubereitete. Als sie sich gerade ein gekochtes Ei auspellte, bemerkte sie, dass Amos ihr zusah.
Er lächelte, was sie als Aufforderung zum Dialog auffasste.
„Magst du schwabbelige Eier?“
Amos versuchte ihr auf Englisch klarzumachen, dass er sie nicht verstehe.
Das wiederum verstand die Frau nicht. Sie wollte dem fremden Jungen, der nicht einmal eine verständliche Sprache sprach, etwas Gutes tun und reichte ihm das frischgepellte Ei entgegen.
Etwas lauter als zuvor, der Junge versteht sie ja sonst nicht, fragte sie ihn:
„Magst du schwabbelige Eier?“
Amos guckte auf die runzeligen grauen Hände der Frau, vielleicht eine Kleinbäuerin, zumindest eine Gärtnerin, und hatte nicht so großen Appetit auf das großzügige Angebot seiner Reisebegleiterin. Die wiederum wiederholte ihr Angebot noch einmal etwas lauter und eindringlicher.
„Magst … du …  schwabbelige …  Eier?“
Amos ist nicht sprachunbegabt und es reizte ihn, die immer wiederholten Worte nachzusprechen. Etwas unbeholfen wiederholte er die Worte der Frau.
„Magst … du …..  schwabbel--ige …  Ei--er?“
„Nein, ich nicht aber du? Magst … du …  schwabbelige …  Eier?“
Amos nimmt endlich das ihm entgegengestreckte Ei und macht noch einen Versuch in die fremde Sprache einzusteigen.
„Magst … du …..  schwabbel--ige …  Ei--er?“
„Nein, mein Junge. Magst du ein bisschen Salz?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ sie einige Salzkörner auf das gepellte Ei rieseln.
„Thank you.“ Und dann schnell noch hinterher, gerad so, als wollte er seiner Lehrmeisterin beweisen, was für ein guter Schüler er sei, wiederholte er noch mit hartgekochtem Ei im Mund:
„Magst du schwabbelige Eier?“
Die Frau lachte. Sie mag wohl gedacht haben, was diese Ausländer doch blöd sind. Andernfalls  müssten sie ja wohl etwas besser Deutsch können. Dann packte sie ihre Sachen zusammen, schob die Abteiltür auf, drehte sich noch einmal zu dem netten aber dummen Jungen um und nickte ihm mit einem freundlichen Abschiedslächeln zu.
Und der dumme Junge aus Amerika, der trotz acht Semester Betriebswirtschaft und Politik kein Deutsch konnte, verabschiedete sich mit einem „ Bye“.
Und, als wolle er seine Abschlussprüfung in Deutsch ablegen, haute er noch einmal  sein nahezu gesamtes Repertoire der Sprache des Landes, das er gerade bereiste, raus:
„Magst du schwabbelige Eier?“

Das erzählte uns Manni auf Deutsch. Amos verfolgte das Geschehen mit wachem Blick. Er verstand natürlich ohne Probleme, worum es ging. Nachdem unsere Heiterkeit sich gelegt hatte, wandten wir uns endlich dem Picknick zu.

Ach so, schwabbelige Eier waren nicht dabei.

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