Auch schon
mal ein bisschen schlechtes Gewissen gehabt, weil du genau weißt, was man
eigentlich der Umwelt zuliebe nicht tun sollte, es aber dennoch gerade tust?
Mir passiert
das schon häufiger. Licht im Raum angelassen, Heizung nicht abgedreht, Auto
benutzt statt Fahrrad oder die Auffahrt mit Round Up bearbeitet. Gib mir etwas
Zeit und es fallen mir noch viel, viel mehr Beispiele ein.
Ganz
verunsichert bin ich immer in Gegenwart von den Menschen, die alles (fast)
immer richtig machen. Sie haben kein oder kein eigenes Auto, bewegen sich mit
dem Fahrrad oder dem ÖPNV, kaufen nur Bio- oder Fair Trade Produkte. Sie tragen
Wolle oder Baumwolle, haben Sonnenkollektoren für Stromerzeugung und
Warmwasserproduktion auf den Dächern und die Wände ihres Hauses sind aus
Lehmputz. Fast hätte ich es vergessen: Sie haben nicht nur die freundliche
Atomsonne auf Fahrrad, Haustür oder Briefkasten. Aus ihren Steckdosen fließt
ausschließlich der teurere Ökostrom! Philo hat versucht, es mir zu erklären.
Trotz seiner gründlichen Bemühungen ist mir bis heute noch nicht ganz klar, wie
man verhindert, dass nicht doch das eine oder andere Kilowattchen aus Brokdorf
an der Unterelbe sich unter den grünen oder gelben Strom mischt. Treffen mit
diesen, zugegeben meist sehr sympathische Zeitgenossen, strengen mich an.
Ständig muss ich aufpassen, nichts Falsches zu tun, zu sagen. Immer eine
halbwegs passable Erklärung im Ärmel haben, warum wir noch Auto fahren oder in
vier Wochen trotz Mülltrennung immer noch 60 Liter im Restmüllbehälter haben.
Über unsere Wanderung im Taurus Gebirge spreche ich nicht. Alle Erklärungen,
warum wir in die Türkei geflogen sind, statt mit der Bahn in den Thüringer Wald
zu fahren (Originalton Hedwig: „Ihr glaubt gar nicht, wie schön man vor der
Haustür wandern kann!“), würden sofort mit unschlagbaren Ökoargumenten
widerlegt.
Echt
anstrengend, oder etwa nicht?
Vielleicht
geht es ja nur mir so!
Aber, es
gibt da noch die gemäßigten Ökos, die hart für eine lebenswertere Umwelt
kämpfen und dabei nicht vergessen haben, gelegentlich über sich zu lachen und
hin und wieder auch einmal den eigenen Grundsätzen untreu werden.
Tom und Drea
zum Beispiel, aus Nürnberg. Die fliegen nach Kolumbien! Fahrrad, das sieht
jeder ein, geht nicht: Atlantik! Und überhaupt, einfach zu weit. Mit dem
Schiff? Sehr fragwürdig bei den fiesen Schwerölabgasen, die die Schiffsdiesel
ungefiltert in die Luft abgeben. Außerdem haben auch Ökos nur so wenig Jahresurlaub,
dass sie ihn nicht so gerne nur für die Fahrt mit dem Schiff nach Kolumbien und
zurück verbrauchen. Ich kann auch verstehen, dass man mal etwas anderes als das
Nördlinger Ries oder das fränkische Umland sehen will.
Also bei den
beiden, bei Tom und Drea, kann man sich trotzdem wohlfühlen. Vielleicht, weil
sie uns nicht immer durch die Blume zu verstehen geben, wo bei uns
Entwicklungschancen bestehen, unsere ganz persönliche Ökobilanz zugunsten einer
verbesserten Umwelt zu verändern.
Ja, wir sind
wirklich gerne mit den beiden zusammen, wir kennen uns gut. Das heißt aber
nicht, dass eine Begegnung mit den beiden ohne Überraschungen abläuft.
Vor zwei,
drei Jahren beispielsweise wurde mein Glaube an die ökologische Integrität der
beiden heftig und noch dazu zu meinem ganz persönlichen Nachteil erschüttert.
Obwohl wir
eigentlich alle vier, also Ulla, Drea, Tom und ich schon längst aus dem Alter
heraus sind, in dem man bis „in die Puppen“ im Bett bleibt, bin ich der
einzige, für den die Nacht je nach Abendprogramm meist bei 6 oder 7 Uhr morgens
zuende ist.
Was tun in
der fremden Wohnung?
Erst einmal
umdrehen, zur Decke gucken, nachdenken,… Irgendwann wird es mir zu bunt. Leise
schleiche ich zum Bad. Komme zurück. Sie schlafen immer noch alle. Ich
beschließe Brötchen zu holen, vielleicht lebt die Wohnung, wenn ich
zurückkomme.
In der
Nebenstraße gibt es einen Bäcker. Es ist kein Biobäcker und es gibt keine
Werbung für Dinkel-, Emmerbrote oder andere Produkte irgendwelcher
Getreidesorten, deren Nutzung durch die Menschheit bis in die Jungsteinzeit
zurückgeht. Schon beim Eintreten sehe ich eine bemerkenswerte Vielfalt von
Körnerbrötchen. Brötchen, die das Herz eines jeden Körnerfreundes und
Ökojunkies höher schlagen lassen müssen!
Denke ich!
Es gelingt
mir relativ leicht, eine Mischung zusammenzustellen, für die ich mich nicht am
Frühstückstisch schämen muss. Als dann die Frage der jungen
Bäckereifachverkäuferin, wegen heftigen fränkischen Dialektes noch einmal in
einem Hochdeutschverschnitt wiederholt gestellt wird, ob es denn noch etwas
sein dürfe, werde ich weich. Für mich kaufe ich zwei schöne, helle Brötchen,
die hier aber ganz anders heißen; mir aber trotzdem viel besser schmecken als
die vielen Vollwert- und Körnerbrötchen.
Und wenn sie
über mich herfallen, ich werde zu meinem Einkauf stehen: Zähne zusammen und
durch!
Ach ja, das
ist noch nicht alles. Schnell noch ein Pfund Jacobs Krönung kaufen. Bei denen
gibt es nämlich keinen echten Kaffee, der sich filtern lässt. Sie brühen sich
immer nur kleine Tässchen mit elendig schwarzem, dickem Kaffee, der dann mit
viel heißer Milch gestreckt wird. Die Tüte, aus der der Kaffee kommt, hat
keinen Markennamen. Ist wahrscheinlich eine Fair Trade Abfüllung vom Ebi, dem
Bio Supermarkt um die Ecke.
Nix für
mich, also nichts für ein 100%iges Frühstück. Ich habe in der Küche einen
Filtertrichter und Filterpapier gesehen. Das gibt keinen Ärger, das können sie
ab, die beiden. Sind ja tolerant fast ebenso, wie umweltbewusst.
Zurück in
der Wohnung, inzwischen scheint schon die Sonne über die gegenüberliegenden
Häuser in die Zimmer, finde ich immer noch niemanden vor. Also beschließe ich
das Wagnis, ein Frühstück in einer fremden Wohnung vorzubereiten. Wenn mein
Agieren nicht immer ganz geräuscharm ablief, war das durchaus beabsichtigt.
Kaum, dass die Krönung in wohlduftenden Kaffee verwandelt ist, geht die Tür zu
Dreas Zimmer auf. Noch etwas verschlafen setzt sie sich an den Tisch und
schenkt sich, oh Wunder, vom Filterkaffee ein.
„Oh, frische
Brötchen gibt es auch schon!“
Ich glaubte
meinen Augen nicht zu trauen. Sie greift in den Brötchenkorb und nimmt eines von
meinen hellen Brötchen aus dem Korb. Keine vorwurfsvolle Predigt! Sie schneidet
das Brötchen auf, bestreicht die Hälften mit Butter und Marmelade und beißt
genussvoll in das „ungesunde“ Weißmehlbrötchen.
Ich hätte
mein Gesicht sehen mögen. Was geht hier ab. Bevor ich endgültig realisiere, was
hier gerade passiert, öffnet sich die Tür, Tom kommt rein.
„Tomorrow
(„morgen“, Frankenenglisch, von Tom fälschlicherweise immer wieder gerne im Sinne
von „Moin, Moin“ oder „Guten Morgen“ verwendet)! Oh, leckere Semmeln!“
Er greift in
den Korb und mein zweites helles Brötchen landet auf Toms Teller.
Etwas
fassungslos muss ich zur Kenntnis nehmen, dass ich heute Körnerbrötchen essen
muss. Wer hätte das gedacht? Keine weißen Brötchen! Dafür aber hat der
Ökoschein, der bis heute Drea und Toms Häupter umgab, spürbar an Glanz
verloren.
Aber, wir
sind uns noch einmal deutlich näher gekommen.
Alles Öko,
oder was??!!!
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