Es war die
Zeit, als Gerd noch jeden Freitag in seinem Holzofen das unschlagbar leckere
Brot für sich und seine Freunde buk. Gleich neben dem Katzenhaus, das Gudrun
als Herberge für herrenlose und pflegebedürftige Katzen aus dem halben
Landkreis eingerichtet hat, stand der von Gerd handgemauerte Backofen. Jeden
Freitag wurde eingeheizt und ab 18 Uhr lagen 12 runde und unglaublich duftende
Brotlaibe zur Abholung bereit. Sie warteten auf Personen aus dem Bekannten- und
Freundeskreis.
Nun wurde
das Brot nie einfach so abgeholt. Gerd nutzte die beträchtliche Restwärme
seines Ofens, um damit köstlich gewürzte Hähnchenteile in einer schweren,
schwarzen Eisenpfanne zu garen. Ab 18 Uhr trafen die ersten Brotabnehmer ein, wählten
sich eines der im Holzregal liegenden Brote aus und entrichteten ihren Obulus
für Brot und Bewirtung in das bereitstehende Spendenglas. Dann suchte man sich
einen Platz am massigen Holztisch im Wintergarten der Gastgeber. Auf dem Tisch
befanden sich lauter ausgesuchte Leckereien und die große schwarze Pfanne mit
den zerkleinerten Hähnchen. Der Duft des frischen Brotes, der Hähnchenpfanne,
verschiedener Wurst- und Käsesorten erfüllte den Wintergarten mit seinen
kleinen Zitronenbäumchen und selbstgezogenen Paprika Pflänzchen. Nach gut zwei
Stunden Genuss mit Essen, Trinken und lauten Diskussionen über die wichtigen
und weniger wichtigen Ereignisse des Dorfes und der Welt löste sich die Runde
auf.
Brotholen
hatte höchsten Genuss- und Unterhaltungswert. Nur, wenn es gar nicht anders
ging, verpasste ich einen dieser Abende. Mir waren sie bald so lieb, wie meiner
Schwester ihre Tatortsendungen am Sonntagabend.
Terminüberschneidungen
am Freitag ließen sich nie ganz
vermeiden. Trat der Fall ein, begab ich mich am Sonnabendmorgen zu Gudrun und
Gerd, packte mein Brot in den Jutebeutel und setzte mich zu Gudrun und Gerd an
den Tisch. Während stets eine der zur Hausgemeinschaft zählenden Katzen sich
schnurrend an mein Bein schmiegte, nahm ich den Bericht vom Vorabend entgegen.
An einem
dieser Sonnabende komme ich in den Wintergarten und ein großer, schwarzer Kater
liegt mit geschlossenen Augen anscheinend völlig teilnahmslos auf dem Stuhl,
den ich mir zum Sitzen ausgeguckt hatte. Während ich mich auf dem Nebenstuhl
niederließ, stellte Gudrun mir den Neuzugang vor.
„Das ist B 73, den Namen hat er von Gerdi
bekommen. Er ist sehr aggressiv im Umgang sowohl mit den anderen Katzen als
auch uns gegenüber. Schlechte Zeiten muss er hinter sich haben, anders kann ich
mir sein Verhalten nicht erklären.“
„B 73, ein
ungewöhnlicher Name“, meinte ich und streckte gleichzeitig meinen Arm aus, um,
wie ich es bei allen Katzen tat, das Tier durch Streicheln und Kraulen für mich
einzunehmen. Zeitgleich mit Gudruns Warnung erwachte B 73 aus seinem
scheinbaren Schlaf, fauchte mich an und schlug mit seiner Tatze gegen meine
ausgestreckte Hand, die ich erschrocken im allerletzten Moment zurückzog.
„Du darfst
ihn nicht anfassen. Das dürfen nicht einmal Gerd und ich. Er hat einen extrem schwierigen
Charakter, muss schlimme Zeiten durchgemacht haben.“
Noch
beeindruckt von der Blitzattacke des Katers fragte ich nach dem Grund für
diesen etwas ungewöhnlichen Katzennamen.
Gudrun, die
Katzenmutter des Nordkreises, hatte B 73 aus irgendeinem Grunde in ihre Obhut
genommen. Weil sie natürlich nicht alle herrenlosen und hilfsbedürftigen Katzen
beherbergen kann, bekommen sie bei ihr nur ein Zuhause auf Zeit, bis sie wieder
genesen sind und in liebevolle Hände abgegeben werden. B 73 fiel etwas aus dem
Rahmen. Er zeigte keinerlei Dankbarkeit für
das schöne Zuhause, das er bei Gudrun und Gerd vorfand. Ganz im
Gegenteil, jeder Versuch, sich ihm liebevoll zu nähern, wurde mit einer Attacke
beantwortet. Da reichte dann auch bald die Katzenliebe von Gudrun und Gerd
nicht mehr. Dieser unsoziale Kater musste schnellstmöglich das Haus verlassen.
Per Anzeige sollte B 73 ein neues Zuhause bekommen. Die Zeitungsanzeige war ein
kleines Kunstwerk. Sie erweckte Mitleid mit dem Tier verschwieg jedoch auch
nicht, dass der Kater nicht ganz problemlos sei.
„…, deswegen
nur in fürsorglichen Haushalt ohne Kleinkinder gegen Schutzgebühr abzugeben.“
Wer holt
sich schon gerne freiwillig ein Problem ins Haus? Tagelang gab es keine
Reaktion auf die Anzeige und keinerlei Anzeichen, dass sich an B 73 Verhalten
irgendetwas zum Guten entwickeln würde. Rat- und Hilflosigkeit begannen sich in
dem sonst so katzenfreundlichen Haus breit zu machen. Als eine Woche
verstrichen war, schien sich eine Lösung des Problems anzubahnen.
Eine etwas
älter klingende Männerstimme meldete sich per Telefon.
„Ich ruf´
wegen die Katze in´e Zeitung an, issie noch zu haben?“
Gudruns Herz
begann zu klopfen. Jemand fragt wegen des schwererziehbaren Katers an.
Gleichzeitig rührt sich ihr Gewissen.
„Ja, aber Sie
haben doch gelesen, dass er nicht ganz einfach ist?“
„Ja,
hab´ich.“
„Passt er
den in Ihre Familie?“
„Ich bin
allein.“
„Er ist aber
nicht sehr zahm.“
„Macht nix,
brauch´ wieso alle paar Wochen ´ne neue Katze.“
Die
Alarmglocken der Katzenmutter schrillten.
„Wieso
brauchen Sie alle paar Wochen eine neue Katze?“
„Ach wissen
Sie, ich wohn direkt an´e B 73, die leben nie lange bei mir.“
Gudrun
beendete das Gespräch nicht ohne dem Mann mitgeteilt zu haben, dass der Kater ein liebevolles Zuhause und nicht
den frühen Tod auf der Bundesstraße B 73 zwischen Hamburg und Cuxhaven sucht.
Als sie Gerd von dem Interessenten erzählte war auch für ihn sofort klar, dass
der Kater auf keinem Fall zu diesem Mann „an´e B 73“ darf.
Es gab keine
weiteren Anrufe, niemand interessierte sich für die Problemkatze. Der Kater
fand irgendwie einen Weg mit den übrigen Hausbewohnern auszukommen, Katzen und
Menschen respektierten seine Marotten.
Er hatte
nicht nur ein neues Zuhause sondern auch einen neuen Namen bekommen:
B 73!
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