Mittwoch, 28. September 2016

Dingsdach kümmt de Woogen



Horst von Rönnen, Schipper, ist tot. Dass er gesundheitlich nicht mehr auf der Höhe war, hatte ich schon in den letzten Jahren mitbekommen.  Aber er lief durchs Dorf, ich traf ihn beim Einkaufen und unsere kurzen Wortwechsel erinnerten mich an andere Tage. Tage, an denen Horst  und ich uns in seinem  Malergeschäft begegneten.
Eine heimtückische Krankheit, vielleicht durch tausende Zigaretten und giftige  Dämpfe von Farben und Verdünnern hervorgerufen, hat sein Leben beendet nur wenige Tage, nachdem ich gehört hatte, dass es ihm nicht so gut gehe. An Tod hatte ich nicht gedacht. Die Anzeige  in der Zeitung kam überraschend. Sein Tod hat mich berührt und nachdenklich gestimmt.
 Warum eigentlich?
Wir waren keine „Freunde“ nach den Maßstäben unseres Dorfes. Wir haben nicht gemeinsam gekegelt, gesegelt, gesungen, geschossen, und gefeiert.
Und doch hat uns etwas verbunden, was ganz entfernt an Freundschaft erinnert. Zumindest hat sein Tod das Gefühl ausgelöst, etwas verloren zu haben.

So lange, wie ich in Freiburg wohne, benötigte ich Farben, Kleister und Tapeten für die Schule und zu Hause. Bei Horst bekam ich alles, wenn auch nicht immer sofort. Und den Rat des Fachmannes gab es noch gratis obendrauf.
Ich habe ihn plötzlich vor Augen, als stünde ich in seinem Laden. Aus seinem kleinen Büro guckt er über den Schreibtisch, wen es durch die klingelnde Ladentür  zu ihm gebracht hat. Der Nebel seiner Zigaretten ist nicht zu dick, um noch etwas zu erkennen. Er erhebt sich und kommt in den Laden. In jedem anderen Geschäft hätte jetzt der Bedienvorgang eingesetzt. Nicht bei Horst. Er empfing seine Kunden meist mit Handschlag – einem kurzen aber nur, denn die Hände hatten noch einen anderen Platz. Die eine in der Hosentasche seiner mit Farbe verzierten Malerhose und die andere musste die filterlose Zigarette mit irgendeinem Virginiatabak halten. Players vielleicht? Geraucht wurden sie jedenfalls bis zum Anschlag. Das heißt, bis die Glut kurz davor war, die vom Nikotin verfärbten Finger zu verbrennen.
Hand in der Hosentasche, Kreuz leicht nach hinten guckt er mich durch seine meist dunkle Hornbrille an und eröffnet dann das Gespräch:
„Na, Schörgli, was gibt´s Neues?“ Oder „Sech mool, ??“ oder auch „Hest all hört?“
Manchmal kündigte sich auch etwas ganz Aufregendes an.
„Du kannst doch swiegen, Schörgli?“ und nicht selten endeten seine Ausführungen dann mit dem Hinweis „Vun mi hest du dat oober nicht, weetst Bescheed?!“
Meistens haben wir dann gemeinsam geraucht.
Waren alle Fragen von wirklicher Bedeutung geklärt, begann der berufliche Part.
Beratung und Verkaufsgespräch.
„Kiek mool hier, düsse Farbe mötst nehmen, ganz best, nemm ick ook.“
Wie ich diese Unterhaltungen geliebt habe. Gibt es so in keinem Baumarkt.
„Nein, Horst, ich möchte Bondex tannengrün haben.“
„Nee, muss nich nehm, mien Djschung. Taucht nix.“
„Letztes Jahr war das aber noch die beste Farbe!“
„Heb ick dat secht? Nee, nimm man disse hier. Ist das Beste auf dem Markt.“
„Nein ich will bei Bondex bleiben.“
„Jau, schlecht is de nich! Heb ick oober nich door.“
Und dann kommt, was ich zu meiner Freude und manchmal auch Kummer schon so oft gehört habe:
„Dingsdach kummt de Woogen.“
Ja, Dienstag kommt der Lieferant, irgendein Großhändler aus dem Münsterland. Also noch eine Galgenfrist, bis ich an die Arbeit muss. Bis Dienstagmittag höchstens Vorarbeiten. Und dann ist Dienstag und der Wagen war da, aber Dienstagnachmittag ist der Laden leider geschlossen. Wenn Horst nicht zufällig in seiner Werkstatt rumrührte, also noch einmal Aufschub bis Mittwoch.
Ein Einkauf bei Horst war immer mehr als ein Einkauf! Es war auch immer richtig unterhaltsam.

Fällt mir gerade doch Horst Umgang mit der Farbentabelle ein. Binderfarbe soll es sein. Ein Olivton, war mal mordsmodern.
„Kann ick di mischen, Schörgli. Musst nur sagen, welchen Farbton.“
Den habe ich dann aus der Farbtabelle herausgesucht.
„Mach´ ich dir fertig, kannst nachher rausholen.“
Drei Stunden später. Ich schau mir die Farbe an.
„Nee, Horst, das ist doch nicht der Farbton, den wir ausgesucht haben.“
„Hast recht, Schörgli. Oober töf man lütt beten af, wenn se afdröcht is, denn stimmt dat schon.“
Nein, so richtig stimmen tat es dann doch nicht, aber die Farbe blieb auf der Wand. Vielleicht hatte ich den Farbton aus der Tabelle doch nicht mehr so in Erinnerung.
Problematisch wurde es dann immer, wenn die Farbe nicht ausreichte.
„Keen Probleem, mien Dschung, misch ick di trech!“
Wirklich kein Problem nur passte der Farbton meistens nicht genau.
Ich wieder zu Horst und berichte von meinem Problem.
„Hmm, hm,“ haucht er heraus mit einer kleinen Wolke Zigarettenqualm. „Hm, verstoh mien Dschung. Weets du wat? Du rullst eenfach de ganze Wand mit de neege Farv. Schasst mool seihn markst keen Ünnerscheed tau de anner Wan´n.“
Ja, so war es dann meist auch. Und wenn nicht, war es auch nicht so schlimm.

Ja, Einkaufen bei Horst war mehr als nur einkaufen. Immer, wenn ich an seinem ehemaligen Laden vorbeifahre, ertappe ich mich beim Seitenblick in der Erwartung, dass Horst irgendwo an seinem Haus herumpusselt. Daran hat auch die Todesanzeige nichts geändert. Bruchteile einer Sekunde nur habe ich ihn vor Augen mit Pinsel und Zigarette in der Hand oder tief im Gespräch mit jemandem auf dem Bürgersteig.
Dann realisiere ich wieder. Es gibt ihn nicht mehr, meinen Malermeister. Schipper ist im Himmel. Vielleicht treffen wir uns da ja. Ich sehe ihn schon  vor mir: Immer noch ein paar Farbreste aber keine Nikotinspuren an den Fingern.  Im Himmel wird nicht geraucht. Eine Hand in der Hosentasche und er strahlt mich an:
„Na, Schörgli, ward jo ook mool Tied bi lütten, dat du hier opsleihst.“

Hinnerk Röndigs Knochenjob



 Ich treffe Hanna König im EDEKA Markt und bin im Nu in einen sehr merkwürdigen Dialog verwickelt
„Weißt du, wo man Knochen verkaufen kann?“, fragt sie mich.
„Wie? Knochen verkaufen? Ich habe noch nie Knochen verkauft. Wer kauft denn so etwas?“
„Habe gehört, dass dafür Superpreise gezahlt werden.“
Ich weiß nicht, Hanna König aus Weidenfleth wird immer sonderlicher.
Will sie nun groß ins Knochengeschäft einsteigen?
Der Betrieb vielleicht?
Königs Betrieb ist über die Jahre stetig gewachsen mit Dienstleistungen am Bau. Den geht es sichtbar gut genug.
Was will sie mit Knochen?
Schade, wie Hanna sich über die Jahre entwickelt hat. Je besser es den Königs ging, desto mehr wurde und wird zusammengerafft und gegeizt.
Dem Harzvierempfänger  wird der Monatscheck nicht gegönnt und der Mindestlohn, der nicht einmal ausreicht, eine Familie zu ernähren geschweige denn mehrere Familienurlaube auch über die Ozeane hinweg zu ermöglichen, droht jahrhundertaltes Handwerk zu zerstören. Allen geht es besser und alle, allen voran Vater Staat, wollen den Königs die mühsam zusammengetragenen Euros wieder abnehmen.
Hanna, was hat das Leben aus dir gemacht?
Du warst als junges Mädchen so fröhlich und unbeschwert. Und nun diese stete Angst vor Verlust des Lebensstandards, unverhohlener Egoismus, Missgunst und Neid.
Wenn dein Name in Weidenfleth und Umgebung fällt, kann jeder eine Geschichte über dich erzählen.  Die Geschichten stimmen nicht immer alle zu hundert Prozent.  Allen gemein ist aber, dass sie zu 100% auf Hanna zutreffen könnten. In ihnen überwiegen die weniger schmeichelhaften Tugenden von denen ihre Erzähler fast nie ohne maßlose Übertreibung und eine schadenfrohe Häme berichten.
Hanna richtet gerne Feste aus. Seltsamer Weise ist sie dann recht spendabel und es geht nie jemand durstig oder hungrig aus ihrem Haus.
Oh Hanna, merkst du eigentlich gar nicht, was du dir antust?

Ich sitze mit Hinnerk Röndigs, dem Schlachter von Weidenfleeth zusammen. Wir nehmen ihn gerne mal als Caterer, weil er nicht nur gute Ware hat. Er verfügt über ein tolles Team und die Zusammenarbeit ist stets von hoher Zuverlässigkeit bestimmt.
Wir verhandeln über einen Auftrag größeren Umfangs. Nach 30 Minuten liegen wir mit unseren Vorstellungen nur noch 60 € auseinander. Nichts scheint mehr zu gehen, ich kenne das schon. Hinnerk schweift ab auf einen Nebenschauplatz. Nein, was er für Probleme hat:
„Zu viel Arbeit, zu wenig Personal, zu geringe Einnahmen und dann musst du dich auch noch mit zickigen Kunden rumschlagen.“
„Ja, Hinnerk, ich weiß wovon du sprichst. Ich kenne auch diese Typen. Jetzt mal ohne Namen. Die Frau bestellt sich das Essen, mäkelt rum und hat noch diverse Sonderwünsche. Alles wird zu ihrer Zufriedenheit geregelt, obwohl der Zusatzservice bei Weitem den Kalkulationspreis ihres Gerichtes übertroffen hat. Und dann, beim Bezahlen, will sie zwei Euro weniger zahlen, weil der Reis zu körnig war und die Serviette erst zu spät an den Tisch kam.“
„Die Frau kenne ich. Sie fährt einem Geländewagen mit dem Stuttgarter Stern .  Seh´  schon an deinem Gesicht, dass ich nicht ganz verkehrt liege.“
Ich schmunzle äußere mich aber nicht dazu.
„Ich hatte ihr vor einigen Monaten ein Buffet mit Koteletts und Hähnchenbeinen geliefert. Du glaubst es nicht, als alles in Sack und Tüten war, wollte sie 15% Rabatt, weil wir ja schon so oft zusammengearbeitet hätten.“
„Und, was hast du gemacht?“
„Darüber können wir reden, wenn der veranschlagte Stundenlohn   für mein Personal wie bei euch in der Firma 45 € plus 19% Mehrwertsteuer und nicht bei 12,50 € liegt.“
„Und?“
„Kannst doch nicht Äpfel mit Birnen vergleichen hat sie gesagt und ist raus aus dem Laden. Was denkt sich diese Person eigentlich? Ich hatte ihr wirklich schon einen guten Preis gemacht.“
„Tscha, das kriegst du nicht raus aus ihr.“
Das war aber noch nicht alles. Hinnerk ereifert sich förmlich:
„Und, weißt du was das Schärfste war? Nach der Feier bringt sie mir die Platten zurück. Ungewaschen und auf der oberen Platte türmt sich ein Riesenhümpel Knochen. Ich fragte sie, was das denn solle, warum sie die Knochen nicht beseitigt habe.“
„Und“, frage ich, „was hat sie geantwortet?“
„Die Knochen kommen von dir und dann kannst du sie auch zurücknehmen.“
Hinnerk macht eine kurze Pause und fährt mit Schalk im Blick fort:
„Nachdem ich für Sekundenbruchteile fassungslos war  meinte ich ganz cool zu ihr: Na klar, wenn du das Geschäft nicht machen willst, behalte ich die Knochen. Nun hättest du Hanna König sehen sollen. „Wieso Geschäft? Was für ein Geschäft?“ und ich antwortete ihr beim Heraustragen der Platten:
„Du weißt wohl nicht, was Knochen derzeit bringen. Werden dringend zur Seifenherstellung benötigt. Wenn du noch mehr davon hast, nur her damit!“

Ich weiß nun zwar immer noch nicht, wo man Knochen verkaufen kann, aber ich weiß jetzt, warum Hanna König mich Mitte Mai danach gefragt hatte.
Ach Hanna, lass es mich wissen, wenn du inzwischen erfolgreich ins Knochengeschäft eingestiegen bist.
Erfolgreich hatte ich dann aber noch meine Verhandlungen mit Hinnerk abgeschlossen. Manchmal braucht es eben einen kleinen Umweg und sei es ein Gespräch über Hinnerks „Knochenjob“.