Horst von Rönnen, Schipper, ist tot. Dass er gesundheitlich
nicht mehr auf der Höhe war, hatte ich schon in den letzten Jahren
mitbekommen. Aber er lief durchs Dorf,
ich traf ihn beim Einkaufen und unsere kurzen Wortwechsel erinnerten mich an
andere Tage. Tage, an denen Horst und ich
uns in seinem Malergeschäft begegneten.
Eine
heimtückische Krankheit, vielleicht durch tausende Zigaretten und giftige Dämpfe von Farben und Verdünnern hervorgerufen,
hat sein Leben beendet nur wenige Tage, nachdem ich gehört hatte, dass es ihm
nicht so gut gehe. An Tod hatte ich nicht gedacht. Die Anzeige in der Zeitung kam überraschend. Sein Tod hat
mich berührt und nachdenklich gestimmt.
Warum eigentlich?
Wir waren
keine „Freunde“ nach den Maßstäben unseres Dorfes. Wir haben nicht gemeinsam
gekegelt, gesegelt, gesungen, geschossen, und gefeiert.
Und doch hat
uns etwas verbunden, was ganz entfernt an Freundschaft erinnert. Zumindest hat
sein Tod das Gefühl ausgelöst, etwas verloren zu haben.
So lange,
wie ich in Freiburg wohne, benötigte ich Farben, Kleister und Tapeten für die
Schule und zu Hause. Bei Horst bekam ich alles, wenn auch nicht immer sofort.
Und den Rat des Fachmannes gab es noch gratis obendrauf.
Ich habe ihn
plötzlich vor Augen, als stünde ich in seinem Laden. Aus seinem kleinen Büro
guckt er über den Schreibtisch, wen es durch die klingelnde Ladentür zu ihm gebracht hat. Der Nebel seiner
Zigaretten ist nicht zu dick, um noch etwas zu erkennen. Er erhebt sich und
kommt in den Laden. In jedem anderen Geschäft hätte jetzt der Bedienvorgang
eingesetzt. Nicht bei Horst. Er empfing seine Kunden meist mit Handschlag –
einem kurzen aber nur, denn die Hände hatten noch einen anderen Platz. Die eine
in der Hosentasche seiner mit Farbe verzierten Malerhose und die andere musste
die filterlose Zigarette mit irgendeinem Virginiatabak halten. Players
vielleicht? Geraucht wurden sie jedenfalls bis zum Anschlag. Das heißt, bis die
Glut kurz davor war, die vom Nikotin verfärbten Finger zu verbrennen.
Hand in der
Hosentasche, Kreuz leicht nach hinten guckt er mich durch seine meist dunkle
Hornbrille an und eröffnet dann das Gespräch:
„Na,
Schörgli, was gibt´s Neues?“ Oder „Sech mool, ??“ oder auch „Hest all hört?“
Manchmal
kündigte sich auch etwas ganz Aufregendes an.
„Du kannst
doch swiegen, Schörgli?“ und nicht selten endeten seine Ausführungen dann mit
dem Hinweis „Vun mi hest du dat oober nicht, weetst Bescheed?!“
Meistens
haben wir dann gemeinsam geraucht.
Waren alle
Fragen von wirklicher Bedeutung geklärt, begann der berufliche Part.
Beratung und
Verkaufsgespräch.
„Kiek mool
hier, düsse Farbe mötst nehmen, ganz best, nemm ick ook.“
Wie ich
diese Unterhaltungen geliebt habe. Gibt es so in keinem Baumarkt.
„Nein,
Horst, ich möchte Bondex tannengrün haben.“
„Nee, muss
nich nehm, mien Djschung. Taucht nix.“
„Letztes
Jahr war das aber noch die beste Farbe!“
„Heb ick dat
secht? Nee, nimm man disse hier. Ist das Beste auf dem Markt.“
„Nein ich
will bei Bondex bleiben.“
„Jau,
schlecht is de nich! Heb ick oober nich door.“
Und dann
kommt, was ich zu meiner Freude und manchmal auch Kummer schon so oft gehört
habe:
„Dingsdach
kummt de Woogen.“
Ja, Dienstag
kommt der Lieferant, irgendein Großhändler aus dem Münsterland. Also noch eine
Galgenfrist, bis ich an die Arbeit muss. Bis Dienstagmittag höchstens Vorarbeiten.
Und dann ist Dienstag und der Wagen war da, aber Dienstagnachmittag ist der
Laden leider geschlossen. Wenn Horst nicht zufällig in seiner Werkstatt
rumrührte, also noch einmal Aufschub bis Mittwoch.
Ein Einkauf
bei Horst war immer mehr als ein Einkauf! Es war auch immer richtig
unterhaltsam.
Fällt mir
gerade doch Horst Umgang mit der Farbentabelle ein. Binderfarbe soll es sein.
Ein Olivton, war mal mordsmodern.
„Kann ick di
mischen, Schörgli. Musst nur sagen, welchen Farbton.“
Den habe ich
dann aus der Farbtabelle herausgesucht.
„Mach´ ich
dir fertig, kannst nachher rausholen.“
Drei Stunden
später. Ich schau mir die Farbe an.
„Nee, Horst,
das ist doch nicht der Farbton, den wir ausgesucht haben.“
„Hast recht,
Schörgli. Oober töf man lütt beten af, wenn se afdröcht is, denn stimmt dat
schon.“
Nein, so
richtig stimmen tat es dann doch nicht, aber die Farbe blieb auf der Wand.
Vielleicht hatte ich den Farbton aus der Tabelle doch nicht mehr so in
Erinnerung.
Problematisch
wurde es dann immer, wenn die Farbe nicht ausreichte.
„Keen
Probleem, mien Dschung, misch ick di trech!“
Wirklich
kein Problem nur passte der Farbton meistens nicht genau.
Ich wieder
zu Horst und berichte von meinem Problem.
„Hmm, hm,“
haucht er heraus mit einer kleinen Wolke Zigarettenqualm. „Hm, verstoh mien
Dschung. Weets du wat? Du rullst eenfach de ganze Wand mit de neege Farv.
Schasst mool seihn markst keen Ünnerscheed tau de anner Wan´n.“
Ja, so war
es dann meist auch. Und wenn nicht, war es auch nicht so schlimm.
Ja, Einkaufen
bei Horst war mehr als nur einkaufen. Immer, wenn ich an seinem ehemaligen
Laden vorbeifahre, ertappe ich mich beim Seitenblick in der Erwartung, dass
Horst irgendwo an seinem Haus herumpusselt. Daran hat auch die Todesanzeige
nichts geändert. Bruchteile einer Sekunde nur habe ich ihn vor Augen mit Pinsel
und Zigarette in der Hand oder tief im Gespräch mit jemandem auf dem
Bürgersteig.
Dann
realisiere ich wieder. Es gibt ihn nicht mehr, meinen Malermeister. Schipper
ist im Himmel. Vielleicht treffen wir uns da ja. Ich sehe ihn schon vor mir: Immer noch ein paar Farbreste aber
keine Nikotinspuren an den Fingern. Im
Himmel wird nicht geraucht. Eine Hand in der Hosentasche und er strahlt mich
an:
„Na,
Schörgli, ward jo ook mool Tied bi lütten, dat du hier opsleihst.“